Welche Schweiz für morgen?. Andreas Schild

Welche Schweiz für morgen? - Andreas Schild


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Diese und der Shareholder-Value tauchten plötzlich im Gleichschritt auf. Was Werner K. Rey unternahm, nämlich der Aufkauf von Firmen und nachfolgend ein Asset Stripping durch Veräusserung weniger rentabler Teile zwecks Optimierung der Kapitaleinkünfte, wurde damals noch als Skandal empfunden, läutete aber doch ein Umdenken ein. Im 21. Jahrhundert wurde es gang und gäbe, weniger die langfristige Stellung eines Unternehmens ins Auge zu fassen, sondern den kurzfristigen Gewinn des Kapitaleigners, der Kapitaleignerin. Damit fasste die Praxis der USA auch in der Schweiz allmählich Fuss. Entscheidend für die erfolgreiche Führung einer Unternehmung waren nicht mehr der Fachmanager oder die Fachmanagerin, sondern Finanzleute mit einer soliden Ausbildung als MBA in den USA oder wenigstens in St. Gallen.

       1.3 Der Übergang ins 21. Jahrhundert

      Das 21. Jahrhundert begann möglicherweise bereits mit dem Untergang der Sowjetunion. Für die Schweiz bedeutetet das letzte Jahrzehnt richtiggehend eine Zäsur. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der deutschen Wiedervereinigung verlor die bipolare Welt einen Pol, so wenigstens schien es. Das Ende der Sowjetunion nahm innen- und aussenpolitischen Druck weg. Planwirtschaft und Staat wurden diskreditiert. Freiheit, Eigenverantwortung und Kapitalismus hiessen die Schlagwörter. In der Schweiz erfolgte der Ruf nach einem schlanken Staat, zusammengefasst im Slogan: «Weniger Staat, mehr Freiheit».

      Kommunismus und alles, was nach staatlicher Planung roch, wurde zum Anathema. Die Welt trat in die Ära der Pax Americana. Demokratie und Liberalismus gemeinsam mit Kapitalismus galten als goldener Pfad in die Zukunft.

      In der Schweiz wurde die Abstimmung über die Beteiligung am Europäischen Wirtschaftsraum anfangs der 90er Jahre knapp verworfen, so dass wirtschaftlich gesehen der bilaterale Weg die einzige Alternative blieb. Die Schweiz wollte neutral und unabhängig bleiben, aber wo immer möglich zeigen, dass sie aktiv an den Weltproblemen mitzuarbeiten bereit sei. Internationales Mainstreaming, das Ende des Sonderfalles Schweiz und eine Relativierung der Neutralität standen plötzlich im Vordergrund. Man wollte das Gleiche tun wie die andern, nur besser und gleichzeitig keine Bindungen eingehen. Da das spezifisch Schweizerische dabei in den Hintergrund zu treten drohte, erfand man die «Swissness» als neue Mode, welche kulturell, politisch und sozial gepredigt wurde. Die Entwicklungszusammenarbeit wurde nun zur Internationalen Zusammenarbeit, welche in den europäischen Ländern in die Aussenpolitik integriert wurde. Tiers-mondisme und partnerschaftliche Zusammenarbeit wurden ersetzt durch konkrete aussenpolitische und aussenwirtschaftliche Interessenpolitik. Die Schweiz passte sich schrittweise dieser Tendenz an. Nach dem Ende des Kalten Krieges musste eine neue Mehrheit für die Internationale Zusammenarbeit gefunden werden. Erst im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zog man mit den likeminded Ländern - den Niederlanden und Skandinavien - gleich und integrierte die alte Entwicklungszusammenarbeit ins Aussenministerium.

      Nach der Ablehnung des EWR-Beitritts blieb die Beziehung zur späteren EU die wichtigste aussenpolitische und innenpolitische Herausforderung für die Schweiz. Das Verhältnis zur EU als wichtigstem aussenwirtschaftlichen Partner musste geklärt werden.

      Das Ziel der Schweiz blieb, auf möglichst grosse Distanz zur EU zu gehen, aber trotzdem die eigenen Interessen nicht zu beeinträchtigen. Mit der Erweiterung der EU nach Osten erwiesen sich die ständigen Anpassungen als immer komplizierter und das Verständnis für den Sonderfall Schweiz nahm innerhalb der Mitgliedsländer der EU ab. Die EU suchte deshalb ein verbindliches Rahmenabkommen mit der Schweiz. Die Schweiz ihrerseits tat alles, um ihren Zugang zum EU-Markt zu sichern und schwankte zwischen dem autonomen Nachvollzug der europäischen Gesetzgebung und verbindlichen internationalen Verträgen.

      Die Zurückhaltung gegenüber der EU wurde seit den 90er Jahren kompensiert durch ein erhöhtes Engagement im Rahmen der Vereinten Nationen. Als Neues Mitglied benahm sich die Schweiz ab 2002 als Musterschülerin. Empfehlungen der UNO wurden von der schweizerischen Aussenpolitik regelmässig übernommen, was zum Anschluss an das internationale Mainstreaming führte. Ende des Jahrhunderts war die Reduktion der weltweiten Armut bis 2015 beschlossen worden und im Anschluss an den Erdgipfel 2012 wurden die Sustainable Development Goals 2030 verabschiedet. Die Schweiz gehörte zu den wichtigsten Promotoren dieser Ziele und ihre Vertreter spielten in den relevanten Gremien eine zentrale Rolle, die allerdings innenpolitisch nicht abgesichert war. Die Schweiz wurde mindestens vorübergehend zur klaren Verfechterin der internationalen Nachhaltigkeitsziele. Obwohl innenpolitisch keine Bereitschaft bestand, diese Ziele auch wirklich umzusetzen, sonnte sich die aussenpolitische Schweiz am internationalen Lichtstrahl, der auf uns fiel.

      Die Jahrtausendwende war gekennzeichnet durch die weitere Expansion der schweizerischen Wirtschaft, das Wachstum einzelner Unternehmen in neue Märkte und die damit verbundene Internationalisierung. Die hohe Exportorientierung machte die Schweiz wohl zu der am stärksten globalisierten Volkswirtschaft. Damit verbunden war ein Wandel in den Unternehmungen. Immer mehr Firmen erhielten ausländische Aktionäre, Manager und Kader. Gleichzeitig fand eine Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer statt. In der Schweiz blieben nur die Filetstücke (Forschung, Konzeption und Planung). Günstige Rahmenbedingungen, inklusive Steuern, sowie das unternehmensfreundliche politische und wirtschaftliche Klima zogen und ziehen internationale Firmen an. Die Schweiz verstärkte ihre Rolle als internationale Handelsplattform für die Rohstoffe.

      Die zunehmende Globalisierung von Kommunikation, Verkehr, Finanzwesen und Industrie brachte das Land immer mehr in globale Zwänge und Abhängigkeiten. Wegen der innenpolitischen Konzentration auf das Verhältnis zur EU blieben die globalen Trends von der Mehrheit weitgehend unbeachtet. Das Problem der wachsenden Unterschiede zwischen Arm und Reich wurde von den Themen Migration, Endlichkeit der Ressourcen und Klimawandel zurück gedrängt. Von Seiten der USA und der OECD aber auch durch soft laws der UNO entstand ein internationaler Druck, dem sich der Kleinstaat Schweiz nicht entziehen konnte. Das Bankgeheimnis wurde geopfert, die Steuerprivilegien mussten internationalen Standards angepasst werden. Der Umbau der schweizerischen Wirtschaft führte zu einem schleichenden Wandel auch der Gesellschaft. Die Bedeutung des klassischen Industriearbeiters aber auch der fachlich gut vorbereiteten Berufsperson nahm ab. Die Hochschulreform Bologna mit ihrer markanten Akademisierung der Ausbildung wurde Trumpf. Die Bedeutung von Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Schule, Gastronomie nahm zu. Der klassische Mittelstand, Träger unserer Stabilität und unseres Bürgertums, verlor an Bedeutung. Dafür wuchs die Zahl der höheren Kader, der Leute, die konzeptionell und in der Planung arbeiten. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur erlaubte ein weitmaschiges Pendeln. Die Agglomeration wurde zum gesellschaftlichen Siedlungsmittelpunkt. Gleichzeitig ersetzte der Gegensatz Stadt – Land den alten Gegensatz zwischen Arbeitsgebenden und Arbeitsnehmenden. Der Agglobewohner, die Agglobewohnerin sind fortschrittlich, geprägt durch den Beruf, schätzen aber gleichzeitig Brauchtum und Folklore und eine gewisse Bodenständigkeit in einer dynamischen Welt.

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