Auf der Reise zu Dir selbst. André M. Richter
mich. Alles, was mir wichtig ist, passt in einen einzigen Koffer. Alles Übrige ist ersetzbar! Ich wäre nie dazu bereit, mehrere Tausend Euro für einen Container zu bezahlen, der mir unnütze Dinge aus meinem alten Leben bringt. Je weniger ich mitnehme, desto freier bin ich in meinen Entscheidungen!
Ja, und die Menschen von früher … mein Umfeld hat sich stark verändert. Natürlich gibt es noch meine Ex und meine Tochter … aber die sehe ich höchstens einmal im Jahr. Soll ich deshalb in Deutschland bleiben? Weiter einem Beruf nachgehen, der mir keinen Spaß mehr macht? Und Freunde? Die meisten Menschen waren da, solange es mir gut ging und sie durch mich einige Vorteile hatten. Als ich nicht mehr wie früher funktioniert habe, wurden die Freunde weniger. Aber weniger ist mehr! Ich habe noch ein paar gute Freunde – und die besuchen mich auch hier!
Ich habe hier nicht die Hektik, die Verbissenheit, die Ellenbogen-Mentalität und die Unzufriedenheit um mich herum wie früher. Ich genieße es, in Ruhe hier sitzen zu können, mich zu unterhalten, zu lachen und mich über Dinge zu freuen, die ich schon völlig vergessen hatte. Mit jedem Spaß, jedem Lachen und jeder Freude fühle ich mich jünger, gesünder und glücklicher!“
Sandra schluckt. Es ist, als könne Maik ihre Gedanken lesen. Mit jedem seiner Worte fühlt sie sich leichter. Er lebt das, was er sagt und anscheinend geht es ihm wirklich gut dabei.
„Aber Du hast alles aufgegeben! Wozu hast Du Dir jahrelang etwas angeschafft und aufgebaut, wenn Dir plötzlich alles egal ist? Deine ganze Arbeit muss doch einen Sinn gehabt haben!“
„Du willst mir damit sagen, dass meine Arbeit sinnlos war. Aber wie kommst Du darauf? Es mag Deine Sicht der Dinge sein. Meine Sicht dagegen ist eine völlig andere. Früher war es einmal für mich okay, jetzt ist es das nicht mehr. Jeder entscheidet für sich allein, worin der Sinn seines Lebens liegt. Was seine Erfüllung ist, womit er glücklich ist und wie er leben will. Das kann sich mit den Jahren ändern. Hauptsache, man bemerkt es und zieht die Konsequenzen für sich. Es zu ignorieren ist für mich, als wenn Dir ein Arzt ein Schmerzmittel gibt, um Deine Beschwerden zu unterdrücken anstatt Dich zu heilen!
Für mich hat der Sinn erst mit meinem neuen Leben begonnen!“, antwortet Maik. „Ich weiß ja nichts über Dich. Aber wenn Du möchtest, dann sage ich Dir, was für einen Eindruck Du auf mich machst. Als Du hier angekommen bist, warst Du angespannt und gestresst. Keine Spur von Erholung! Inzwischen wirkst Du ein wenig gelassener. Deine Gesichtszüge sind entspannter. Aber etwas arbeitet in Dir. Offensichtlich stellt meine Denkweise Dein Weltbild völlig auf den Kopf.“
Sandra nickt stumm. Maik fährt fort. „Du trägst teure Kleidung, teuren Schmuck und fährst ein teures Auto, das für diese Gegend völlig unpassend ist. Frage Dich einfach mal, ob Dir das wirklich gefällt. Fühlst Du Dich in Deinem Designerkleid wohl oder wäre es nicht viel bequemer, Jeans zu tragen und damit im Sand sitzen zu können?
Stelle Dir die Frage bei allem, was Du tust! Fühlst Du Dich besser mit einer sündhaft teuren Armbanduhr, für die Du einen Safe brauchst? Brauchst Du immer das neueste Smartphone oder reicht nicht auch das Vorjahresmodell?
Offensichtlich hast Du viel gearbeitet und bist jetzt an einem Punkt angelangt, wo sich etwas in Deinem Leben verändert hat. Jetzt suchst Du nach einer Antwort und nach Lösungen – aber was Du brauchst, ist in erster Linie Klarheit. Klarheit über Dich selbst, über Dein Leben und über Deine wahren Wünsche und Ziele!“
„Bin ich so leicht zu durchschauen?“, fragt Sandra.
„Ja!“, sagt Maik. „Zumindest für jemanden, der die Augen offen hat! Ich habe jetzt jede Menge Zeit für mich. Zeit zum Nachdenken und Zeit zum Genießen! Wenn es mir mal wirklich zu ruhig ist, dann fahre ich in die Hauptstadt, kaufe ein paar Dinge, die ich sowieso brauche und habe nach spätestens einer Stunde genug von der Hektik und dem ganzen Lärm. Ich sehe mich nicht als Aussteiger, sondern als Umsteiger.
Aber was genau versprichst Du Dir von Deinem Urlaub? Wie lange bist Du hier, wie wohnst Du hier und was willst Du für Dich erreichen?“
Sandra schluckt. Die Antwort ist ihr peinlich. „Ich habe drei Wochen in einem 5-Sterne-Resort gebucht und will in dieser Zeit planen, wie ich mein Leben ändere, damit es wieder funktioniert. Danach muss ich wieder fit sein und Energie haben für mein nächstes Projekt!“
„Aha!“, lächelt Maik sie an. „Und daran glaubst Du? Das schafft kein Mensch! Danach bist Du noch mehr frustriert als zuvor! Außerdem solltest Du nicht planen, sondern etwas ändern! Meinst Du denn, dass Du in einem Luxushotel zwischen Champagner, Hummer und Golfen zur Normalität findest? Und denkst Du, dass ein Leben nur funktionieren soll? Wie wäre es mit etwas Spaß im Leben, mit Zufriedenheit und Glücksgefühlen? Mit den Dingen, die ich jetzt täglich in meinem Leben habe!“
„Ich habe bereits bei meiner Ankunft bemerkt, dass etwas anders ist als bisher. Aber was soll ich machen? Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll! Im Augenblick ist mir alles zu viel. Es ist wie ein Karussell, das sich immer schneller dreht und das ich nicht ausschalten kann! Überall sind Aufgaben, Kosten und Verpflichtungen. Ich muss funktionieren!“
„Das kannst Du so lange machen bis Du umfällst. Und Du bist kurz davor! Du bist doch hier, weil Du eine Auszeit brauchst! Ein Mensch ist keine Maschine! Also nimm Dir Zeit für Dich! Was möchtest Du noch alles erleben? Wie fühlt sich der Gedanke an, weitere 25 Jahre zu funktionieren und dann irgendwann in Rente zu gehen? Dazwischen vielleicht mal eine Zwangspause wegen Magengeschwür oder Bandscheibenvorfall? Was hast Du zu verlieren? Dein eigenes Leben, wenn Du so weitermachst!
Du musst mal komplett abschalten! Und das schaffst Du nicht in einem Luxushotel! Du musst deshalb nicht gleich mit einem Rucksack durch Indien trampen. Du brauchst Ruhe und Normalität. Beides kannst Du nahezu überall finden!
Wenn Dein Urlaub hier vorbei ist, dann nimm Dir eine Auszeit! Wenn Du Deine Kosten reduzierst, wie lange kannst Du dann von Rücklagen leben? Nimm Dir ein Sabbatjahr, wenn Du kannst! Vermiete Deine Wohnung, verkaufe Dein Auto, genieße das Leben und lebe Deine Träume!
Konzentriere Dich nicht auf einzelne Personen oder Gegenstände, die Dir gefallen. Das alles kann sich plötzlich ändern. Vieles ist austauschbar und verliert an Bedeutung. Wenn Du glücklich sein willst, dann suche Dir Ziele und arbeite daran! Wenn Du ein wirkliches Lebensziel, ein Traumziel gefunden hast, dann hast Du es immer vor Augen!“
Maik hat Recht. Sandra fragt sich, was Kollegen, Freunde und Nachbarn denken würden. Aber ist das wichtig? Sie ist jetzt Single und ihr fehlt jegliche Freude im Leben. Sie ist härter und härter geworden – auch gegen sich selbst. Was hat sie sich da nur angetan ohne es zu bemerken? Sie lebt und arbeitet in einer Stadt, die ihr nicht wirklich gefällt. Sie wohnt in einem überteuerten Nobelviertel, zahlt eine unverschämte Miete, hat hohe Leasingraten für ihren Wagen und gibt Geld aus, weil sie gefrustet ist und sich trösten oder belohnen will. Und was ist in 20 oder 30 Jahren? Sandra läuft es bei dem Gedanken daran kalt den Nacken hinunter.
„Ich denke, ich fahre jetzt zurück zum Hotel!“, sagt sie zu Maik. „Unser Gespräch hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich muss das erst mal verarbeiten. Aber danke für Deine ehrlichen Worte! Ich würde mich sehr gerne weiter mit Dir unterhalten. Was Du sagst, gefällt mir wirklich, aber es macht mir auch Angst. Wann bist Du wieder hier? Können wir unsere Telefonnummern austauschen?“
„Ich bin telefonisch kaum erreichbar. Ich gönne mir den Luxus, mein Telefon nur einzuschalten, wenn ich es wirklich brauche. Es tut verdammt gut, auf Technik verzichten zu können. Aber gewöhnlich ich bin jeden Tag um diese Zeit auf einen Kaffee hier. Zumindest so ungefähr, denn ich trage auch keine Uhr mehr. Die würde mir nur zeigen, wie meine Zeit abläuft!
Übrigens will ich Dich nicht verletzen. Aber Dir ist nur mit einer ehrlichen Meinung geholfen!“
Sandra bedankt sich, steigt in ihr Cabrio und fährt davon. Im Hotel angekommen checkt sie ihre Mails, Nachrichten und ihren Anrufbeantworter zuhause. Plötzlich muss sie lachen. Ihr fallen Maiks Worte ein. Was hat er gesagt? „Es tut verdammt gut, auf Technik verzichten zu können.“ Wieso zum Henker dann dieses Gefühl, ständig über alles informiert sein zu müssen? Schließlich