Bullenhitze. Volker Sebold

Bullenhitze - Volker Sebold


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Das Opfer ist eindeutig durch Erwürgen ums Leben gekommen. Das Sperma, das auf dem Hintern platziert war, ist wohl mit Absicht dort, ähm, abgelegt worden. Ein Analverkehr fand zwar statt, jedoch mindestens vierundzwanzig Stunden vor Eintritt des Todes. Das Sperma war noch nicht ganz getrocknet. Ich bin gespannt, ob es die gleiche dna aufweist wie die des Toten. Das dürfte für Sie ein interessanter Ermittlungsansatz werden. Aber ich sehe schon, wie ihre Gedanken kreisen. Die Todesursache, meine Dame, meine Herren, ist eindeutig Ersticken. Es gab am Tatort und kurz davor mit Sicherheit keinen Analverkehr. Der Körper zeigt keine typischen Kampfspuren. Keine Hämatome oder Risswunden. Das Zungenbein ist gebrochen, der Kehlkopf weist Bruchstellen auf. Die Würgemale am Hals haben Sie ja selbst dokumentiert. Ich werde Ihnen schnellstmöglich einen Bericht zukommen lassen. Viel Glück, Frau Rust. Meine Herren. Kaffee?“

      Ohne die Antwort abzuwarten, goss Professor Schwacke vier Becher ein, während sich drei Ermittler verdutzt anblickten.

      Im Büro, das sie sich mit Roland teilte, hatte sie über der Tür einen Spruch angebracht: Lupus pilum mutat, non mentem (Ein Wolf ändert sein Haar, aber nicht seine Absicht).

      René, der bei der Spurensicherung, im Fotolabor, seinen Platz hatte, erhielt den Auftrag, in die Wohnung Langners zu fahren.

      Das Zweizimmerappartement war bieder eingerichtet und penibel sauber. Offensichtlich war Langner Einzelgänger. Zudem hatten Nachforschungen ergeben, dass er keine Schulden hatte. Die Eltern waren vor einigen Jahren gestorben. Die Anwohner sagten, der Vater hätte die Andersartigkeit seines Sohnes nicht ausgehalten.

      Im Schlafzimmer fanden sie ein paar Schwulenpornos. Nichts deutete auf ein extravagantes Leben des Toten hin. Er lebte als Single und hielt wenig Kontakt zu seinen Nachbarn.

      Die Kollegen der Bereitschaftspolizei verhielten sich ihnen gegenüber reserviert. Ja, man hatte gemunkelt, dass Herr Langner homosexuell sein könnte. Na und! Er war beliebt und kollegial. Was einer in seiner Freizeit machte, ging niemanden etwas an. Als sie zum Auto zurückkehrten, stolperte Rebecca über einen Stein, der vom Aushub für das neue Sportzentrum auf die Straße gerollt war. Die Luft flirrte über dem Asphalt.

      „Ich wette, wenn wir hier draußen sind, zerreißen sie sich die Mäuler. Und dann wussten sie schon immer, dass Langner mal so enden würde. Diese Scheinheiligen!“ René kommentierte mal wieder unaufgefordert.

      Roland bog Büroklammern zurecht, um sich die Fingernägel zu putzen. Rebecca hasste das, vermied aber, ihn darauf anzusprechen. Sie holte zwei Becher Kaffee. Fluchte, da die Maschine nebenan schon wieder defekt war und sie in den obersten Stock gehen musste.

      „ICH, was glaubst du, René? Hast du eine Ahnung, was es bedeuten soll?“

      René hob die Schultern an und legte den Kopf zur Seite.

      „ICH bin das Opfer oder ICH bin der Täter. Allmachtsfantasien eines Psychopathen, wenn du mich fragst. Vielleicht auch: ICH bin schwul?“

      René stutzte. Rebecca lächelte nicht.

      „Vielleicht auch nur ein unvollständiges Gebilde. Da kommt noch was auf uns zu. Da bin ich mir sicher.“

      „Die Buchstaben sind am Computer geschrieben. Akkurat und ohne Satzendzeichen.“

      „Es ist noch viel zu früh, uns auf irgendwas festzulegen. Es wäre reine Spekulation. Warten wir doch mal die Laborproben ab.“

      „Wir haben bis dato auf den Bildern vom Tatort nichts Verdächtiges gefunden. Die Nummern an den Wänden sind abtelefoniert. Meistens waren die Angerufenen verblüfft und erstaunt, dass sie nicht nur im Telefonbuch, sondern auch im Schwulenklo auftauchen. Ich lasse es mir nicht nehmen. Der Mörder kann nur in der Szene zu finden sein. Überleg doch mal. Schwulenklo. Opfer: schwul. Sperma auf dem Hintern. Was wollen wir denn noch? Ich denke, wir müssten die Jungs in der Szene mal gehörig aufmischen!“

      So war René. Geradeheraus. Direkt. Aber manchmal, das musste Rebecca sich eingestehen, blieb nur die Wahl, seinen einfachen Gedanken zu folgen. Unter anderem deshalb war er auch in ihrem Team.

      Eine Woche später war die Analyse da: Das Sperma, das der Täter auf dem Anus von Langner platziert hatte, wies eine differente dna auf. Demnach war es das erste wirkliche Beweismittel, das sie hatten. Ein Abgleich in den Datenbanken des bka verlief allerdings ohne greifbares Ergebnis. Die Laune sank wieder. Rebecca sah sich gezwungen, Renés Vorschlag zu folgen und die Schwulenszene zu überprüfen.

      Ihr war nicht wohl in ihrer Haut. Als junge Beamtin musste sie im Rahmen ihrer Ausbildung unter Gauweilers Innenministerherrschaft Homosexuelle an Szenetreffs aufspüren, ihre Namen notieren, um sie aktenkundig zu machen. Die AIDS-Hysterie hatte die Gesellschaft erfasst und ließ manchen Politiker zu überzogenen Handlungen hinreißen. Halbwahrheiten und Lügen vermischten sich zu einem unseligen Gebräu.

      Auch wenn sie mit Bauchschmerzen das Gespräch mit Rufer bestritt, war der auf ihrer Seite. Sie einigten sich auf so wenig Unterstützungsbeamte wie notwendig und beschränkten sich auf den Bahnhofsbereich, die öffentlichen Toiletten und den Ringpark.

      Rebecca forderte in der Einsatzbesprechung Fingerspitzengefühl bei Menschen, denen sie nun, nur aufgrund von deren Veranlagung, auf die Pelle rücken mussten. Selbst im Jahr 2003 mussten sie sich verstecken, um einer Veranlagung nachzugehen, für die sie nichts können. Sie würden die Leute aufscheuchen, aus ihrer Anonymität holen, da führte kein Weg daran vorbei. Der Mord an Langner war ein zu hoher Preis.

      Rebecca und René schritten auf das Kriegerdenkmal im Ringpark zu und überlegten gerade, die Aktion erfolglos abzubrechen, als ein junger Mann aus dem Buschwerk sprang. Er erstarrte vor Schreck, als er die Ermittler erblickte.

      „Ihr Scheiß-Bullen! Macht mal hier nicht so ’nen Rabatz! Haut endlich ab! Scheiß Faschistenpack!“

      Bevor er Fersengeld geben konnte, war René schon bei ihm und packte ihn am T-Shirt. Doch der Junge war geschmeidig. Riss sich los und rannte weg. René war aufgrund seines Alters schnell aus der Puste. Rebecca versuchte, den Weg abzuschneiden. Doch dann stolperte der Flüchtende über eine Baumwurzel und schlug brutal zu Boden. René war über ihm und schlug die Faust in seine rechte Niere, worauf der Junge laut aufschrie. Vor dem zweiten Schlag hielt Rebecca Renés Arm und schüttelte energisch den Kopf.

      „Du verstehst, dass wir dich jetzt mitnehmen, Junge!“

      Rebecca und Ronny Koslowski saßen sich gegenüber. Der Junge zitterte und blickte zu Boden. Das Blut im Gesicht begann zu verkrusten. Mit zitternden Händen trank er einen Schluck Wasser. In seinem Rücken stand Roland und passte auf, dass er nicht überreagierte. René war duschen und musste sich von dem Ereignis erst einmal erholen.

      „Um was geht es hier eigentlich genau? Ist es in Würzburg etwa verboten, schwul zu sein, oder was?“

      „Hier gehen die Uhren seit ewigen Zeiten anders. Mach dir doch nichts vor.“

      „Und ihr lasst jetzt meine Uhr ablaufen, ja? Ich bin Berliner. Ostberliner, um genau zu sein. Darauf bin ich auch stolz. Bin von zu Hause abgehauen. War siebzehn. Wollte weit weg. Wir wurden verraten im Osten. Weißte? Von wegen blühende Landschaften und so ’n Scheiß. Keine Arbeit. Die Alte nur besoffen, und immer ein anderer Typ zu Hause. Mir hat’s einfach gelangt. Klaro?!“

      „Kennst du Christian Langner?“

      „Wer soll denn das sein? Ein Schauspieler?“ Ronny grinste.

      „Lieber Ronny. Uns ist das ernst hier. Wir verfolgen euch Schwuchteln nicht so zum Spaß. Uns ist es völlig gleichgültig, wer welche Neigungen hat. Verstehst du? Du bist hier bei der Kripo. Wir ermitteln in einem Mordfall. Und du könntest uns vielleicht wertvolle Hinweise geben. Denk mal nach. Du kannst das Befragen hier abkürzen, wenn du kooperierst. Uns tut auch leid, dass dein Leben nicht zu deiner Zufriedenheit verlaufen ist. Aber wir können da auch nichts für. Klaro?!“

      „Ich kenne keine Typen, die Lager oder Langner heißen! Mord, was? Scheiße, Leute, damit habe ich wirklich nichts zu tun. Das könnt ihr mir aber glauben. Ich bin froh, wenn


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