Die Angst reist mit. Eric Ambler

Die Angst reist mit - Eric  Ambler


Скачать книгу
ein Streifschuss. Nichts Ernstes. Ich fühlte mich ein bisschen schwach auf den Beinen, aber abgesehen davon, geht es mir gut. Es ist wirklich sehr nett von Ihnen, dass Sie gekommen sind. Die Hoteldirektion hat mir eine Flasche Whisky spendiert. Setzen Sie sich und trinken Sie! Ich selbst trinke Kaffee.«

      Kopejkin sank in den Sessel. »Erklären Sie mir genau, wie es passiert ist.«

      Graham erklärte es ihm. Kopejkin stemmte sich hoch und ging hinüber zum Fenster. Plötzlich bückte er sich, hob etwas auf und hielt es in die Höhe: Es war eine kleine Patronenhülse.

      »Eine automatische Pistole, Kaliber neun Millimeter«, sagte er. »Unangenehme Sache!« Er ließ die Patrone wieder fallen, öffnete das Fenster und sah hinaus.

      Graham stöhnte. »Ich glaube, es hat wirklich keinen Sinn, hier den Detektiv zu spielen, Kopejkin. Der Mann war im Zimmer, ich habe ihn überrascht, deshalb hat er auf mich geschossen. Los, machen Sie das Fenster wieder zu und genehmigen Sie sich einen Whisky!«

      »Gern, mein Lieber, gern. Entschuldigen Sie meine Neugier.«

      Graham wusste, dass er ein wenig dankbarer sein sollte. »Es ist wirklich sehr nett von Ihnen, Kopejkin, dass Sie sich so viel Mühe geben. Ich habe wegen einer Lappalie ein großes Theater gemacht.«

      »Das war auch gut so.« Er runzelte die Stirn. »Leider muss noch sehr viel mehr Theater gemacht werden.«

      »Sie meinen, wir sollten die Polizei verständigen? Ich wüsste nicht, was uns das nützen sollte. Außerdem, mein Zug geht um elf. Ich möchte ihn nicht verpassen.«

      Kopejkin trank etwas Whisky und stellte das Glas heftig auf den Tisch. »Mein Freund, Sie können keinesfalls mit dem Elf-Uhr-Zug abreisen.«

      »Was zum Teufel soll das heißen. Natürlich kann ich. Es geht mir bestens.«

      Kopejkin sah ihn neugierig an. »Zum Glück. Aber das ändert nichts an den Fakten.«

      »Fakten?«

      »Haben Sie bemerkt, dass sowohl Ihr Fenster als auch die Fensterläden von außen aufgebrochen wurden?«

      »Nein. Ich habe nicht nachgesehen. Na und?«

      »Wenn Sie aus dem Fenster schauen, werden Sie feststellen, dass sich darunter eine Veranda befindet, die zum Garten hin liegt. Über der Veranda ist ein Stahlgerüst, das fast bis zu den Balkonen des zweiten Stockwerks reicht. Im Sommer ist dieses Gerüst mit Strohmatten bedeckt, sodass man auf der Terrasse sitzen und im Schatten essen und trinken kann. Der Kerl ist offensichtlich am Gerüst hochgeklettert. Eine kinderleichte Sache. Sogar ich würde das vielleicht schaffen. Er könnte auf diesem Weg alle Zimmer dieses Stockwerks erreichen. Aber können Sie mir verraten, warum er ausgerechnet in eines der wenigen Zimmer eingebrochen ist, deren Läden und Fenster fest verschlossen waren?«

      »Natürlich nicht. Es heißt doch immer, dass Verbrecher nicht besonders klug sind.«

      »Sie sagen, dass nichts gestohlen wurde. Ihr Koffer wurde nicht einmal geöffnet. Zufällig kamen Sie genau in dem Moment zurück, als er es probieren wollte.«

      »Ein glücklicher Zufall. Meine Güte, Kopejkin, lassen Sie uns über etwas anderes sprechen. Der Mann ist entkommen, und damit basta.«

      Kopejkin schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nein, mein Freund. Finden Sie das Ganze nicht sehr kurios? Der Mann verhält sich nicht wie andere Hoteldiebe. Er bricht ein, sogar durch ein geschlossenes Fenster. Wenn Sie im Bett gelegen hätten, wären Sie mit Sicherheit aufgewacht. Er muss also gewusst haben, dass Sie nicht im Zimmer waren. Er muss auch Ihre Zimmernummer herausgefunden haben. Besitzen Sie irgendwelche Dinge, die so offensichtlich wertvoll sind, dass ein Dieb diese Vorbereitungen für lohnend halten muss? Nein. Ein merkwürdiger Dieb! Außerdem hat er eine Pistole dabei, die mindestens ein Kilo wiegt und mit der er drei Schüsse auf Sie abgibt.«

      »Na und?«

      Kopejkin sprang erregt hoch. »Mein lieber Freund, ist Ihnen noch nicht aufgegangen, dass dieser Mann gezielt auf Sie geschossen hat und aus keinem anderen Grund hier war?«

      Graham lachte. »Dann kann ich nur sagen, dass er ein miserabler Schütze war. Und jetzt passen Sie mal gut auf, Kopejkin. Kennen Sie die Legende von den Amerikanern und Engländern? Sie hält sich überall dort auf der Welt, wo kein Englisch gesprochen wird. Die Legende besagt, dass alle Amerikaner und Engländer Millionäre sind und dass sie immer viel Bargeld herumliegen lassen. Und jetzt, wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich mich ein paar Stunden aufs Ohr hauen. Es war sehr nett von Ihnen herüberzukommen, Kopejkin, und ich bin Ihnen wirklich dankbar, aber jetzt …«

      »Haben Sie schon mal versucht, mit einer schweren Pistole in einem dunklen Zimmer auf einen Mann zu schießen, der gerade zur Tür hereinkommt?«, entgegnete Kopejkin. »Im Korridor ist kein direktes Licht, nur ein schwacher Schein. Haben Sie es schon mal probiert? Nein. Sie würden den Mann vielleicht sehen, aber ihn zu treffen, das steht auf einem ganz anderen Blatt. In dieser Situation würde selbst ein guter Schütze beim ersten Mal danebenschießen, wie dieser Mann auch. Das macht ihn nervös. Sie könnten ja das Feuer erwidern. Er weiß vielleicht nicht, dass Engländer gewöhnlich keine Waffen tragen. Er schießt rasch ein zweites Mal und trifft Ihren Handrücken. Sie schreien wahrscheinlich vor Schmerzen auf. Er nimmt wahrscheinlich an, dass er Sie schwer verwundet hat. Er schießt noch einmal aufs Geratewohl und verschwindet dann.«

      »Unsinn, Kopejkin! Sie sind ja nicht ganz bei Trost. Aus welchem Grund sollte irgendjemand mich umbringen wollen? Ich bin der harmloseste Mensch von der ganzen Welt.«

      Kopejkin funkelte ihn mit unbewegter Miene an. »Wirklich?«

      »Was soll jetzt das heißen?«

      Doch Kopejkin ignorierte die Frage und trank seinen Whisky aus. »Ich hatte Ihnen doch erzählt, dass ich einen Freund von mir anrufen wollte. Ich habe mit ihm gesprochen.« Betont langsam knöpfte er sich den Mantel zu. »Ich muss Ihnen leider sagen, mein Freund, dass wir jetzt sofort zu ihm fahren. Ich habe versucht, es Ihnen schonend beizubringen, aber jetzt muss ich ganz offen sein. Jemand hat heute Nacht versucht, Sie umzubringen. Es muss sofort etwas geschehen.«

      Graham erhob sich. »Sind Sie verrückt?«

      »Nein, mein lieber Freund, keineswegs. Sie fragen, weshalb irgendjemand Sie umbringen sollte. Ich wüsste einen ausgezeichneten Grund. Leider kann ich nicht deutlich werden. Ich habe meine Anweisungen.«

      Graham setzte sich wieder. »Kopejkin, noch eine Minute, und ich drehe durch. Würden Sie mir freundlicherweise erklären, was Sie da alles zusammenfaseln. Ihr Freund? Mord? Anweisungen? Was soll der ganze Quatsch?«

      Kopejkin schien sehr verlegen. »Es tut mir leid, mein Freund. Ich kann verstehen, wie Ihnen zumute ist. Ich will nur so viel sagen. Dieser Freund ist eigentlich kein Freund von mir. Tatsächlich finde ich ihn sehr unsympathisch. Sein Name ist Oberst Hakki, er ist der Chef der türkischen Geheimpolizei. Sein Büro liegt in Galata, er erwartet uns dort, um mit uns über den Vorfall zu sprechen. Übrigens habe ich schon geahnt, dass Sie nicht mitkommen würden, und ihm davon erzählt. Daraufhin meinte er – mit Verlaub – wenn Sie nicht freiwillig kämen, würde er Sie holen lassen. Mein Freund, es ist sinnlos, sich aufzuregen. Die Verhältnisse sind außergewöhnlich. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es in Ihrem und in meinem Interesse notwendig ist, ihn zu verständigen, hätte ich es nicht getan. Also, mein Bester, draußen wartet ein Taxi auf uns. Gehen wir.«

      Graham stand langsam auf. »Na gut. Ich muss schon sagen, Kopejkin, Sie überraschen mich. Freundliche Besorgnis, das kann ich verstehen und würdigen. Aber das … Hysterie hätte ich bei Ihnen am allerwenigsten erwartet. Den Chef der Geheimpolizei um diese Uhrzeit aus dem Bett zu holen, kommt mir ziemlich verrückt vor. Ich kann nur hoffen, dass es ihm nichts ausmacht, wenn man ihn zum Narren hält.«

      Kopejkin lief rot an. »Ich bin weder hysterisch noch verrückt, mein Freund. Ich habe etwas Unangenehmes zu tun, und ich werde es tun. Verzeihen Sie, aber ich finde, Sie …«

      »Ich kann fast alles verzeihen. Nur Dummheit nicht«, fuhr Graham ihn an. »Na gut, es ist Ihre Sache. Helfen Sie mir bitte in den Mantel.«

      In


Скачать книгу