Ein Tropfen vom Glück. Antoine Laurain
am Computer und machte sich Notizen zu einer Cocktail-Neuschöpfung. Er dachte an das Veilchenparfum, das Magalie trug und das er gerochen hatte, als er sie vorhin zum ersten Mal auf beide Wangen geküsst hatte, als sie sich verabschiedeten.
Sie hatten die Flasche bis auf den letzten Tropfen geleert, der Wein hatte die Zungen gelöst, und Hubert hatte schon lange keinen so netten Abend mehr verbracht. Er hatte sogar sein Familienalbum hervorgeholt und für seine Gäste die Fotos aus dem Jahr 1954 gesucht. Wie Magalie vermutete, hatte das Wohnzimmer sich kaum verändert. Man sah auf den Bildern seine Großeltern, seinen Vater als Unteroffizier, der 1954 seinen Militärdienst leistete, Kinder der Familie, die im Wohnzimmer mit dem Hund Pitch spielten – es hieß, der Basset seines Großvaters pinkelte nie beim Spazierengehen, sondern wartete, bis er zurück war, um seine Notdurft auf der Fußmatte zu verrichten. Hubert war drauf und dran gewesen, allen einen grünen Chartreuse anzubieten, als den drei Hausbewohnern einfiel, dass ihr amerikanischer Freund sich vielleicht etwas ausruhen müsste. An der Tür hatte Hubert Julien die Hand geschüttelt und wollte gerade mit Bob dasselbe tun, als dieser sagte: »Hug, Hubert!«, Hubert in die Arme schloss und ihm auf den Rücken klopfte. Diese Amerikaner wussten wirklich, wie man es machen musste: Wenn sie jemanden mochten, nahmen sie ihn in die Arme und drückten ihn wie Kinder ihr Kuscheltier. Es war spontan und warmherzig. Sehr weit entfernt von unserem kalten europäischen Händeschütteln und einem kalten, konventionellen »Vielen Dank, Monsieur«. Da er schon mal dabei war, hatte Hubert sogar Abby auf die Wangen geküsst – und dabei bemerkt, dass sie nach Veilchen roch. Ein amerikanischer Harley-Fahrer, eine Nachbarin im Gothic-Look und ein Barmann aus Harry’s Bar. »Das sind mal originelle Leute! Das sind Freunde!«, sagte Hubert vor sich hin, während er die Weingläser mit lauwarmem Wasser spülte. In der Sofreg würde er sicher keine solchen Bekanntschaften machen. Seit achtzehn Jahren war er in einer der größten Immobilienverwaltungsfirmen Frankreichs für die Abteilung »Paris intra muros« verantwortlich. Ihm unterstanden fünf Mitarbeiter, und er brachte seine Tage damit zu, die Marktentwicklung zu verfolgen, Mieteingänge zu überwachen und für seine Kunden den Erwerb neuer Immobilien in der Hauptstadt zu betreuen. Am nächsten Morgen hatte er um zehn Uhr einen Termin mit Archibald Van Der Broeck, einem Belgier, der im Einzelhandel zu Geld gekommen war und seit Jahren in Pariser Immobilien investierte. Einmal im Jahr reiste Van Der Broeck an, um mit Hubert über seine französischen Geschäfte Bilanz zu ziehen. Übergewichtig und kurzatmig, wie er war, geruhte der Belgier nicht, zum Sitz der Sofreg zu kommen, sondern lud zum Geschäftsfrühstück in seine Suite im Hotel Meurice ein. Die Dalí-Suite. Die größte der Luxusherberge, ausgestattet mit Kopien von Gemälden des verstorbenen Genies des Surrealismus sowie mit einer riesigen Terrasse mit Blick auf die Tuilerien. Mietunterlagen und laufende Kaufverträge befanden sich wohlsortiert in Huberts Aktentasche und warteten nur noch auf die Unterschrift des Belgiers. Würden sie auf der Terrasse frühstücken können? Er ging zum Fenster, zog die Gardine beiseite und schaute aufs Thermometer. Neun Grad um elf Uhr abends. Vielleicht wäre es am nächsten Morgen schön und warm genug. Sein Blick fiel auf die Straße und das Ladenschild Bouvier – Metzgerei und Feinkost – seit 1954. Das Geschäft war seit drei Monaten geschlossen. Man hatte die Schaufenster mit großen Spanplatten verschlossen und begonnen, innen alles herauszureißen. Hubert lächelte traurig. 1954, das war das Jahr, aus dem der Wein stammte – es würde wirklich bald nichts mehr übrig sein aus dieser Zeit. Der Laden sollte von einem Mobilfunkhändler übernommen werden, hatte er gehört.
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