Aus dieser schweren Zeit. Änne Gröschler

Aus dieser schweren Zeit - Änne Gröschler


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Kampf gegen NS-Deutschland zu leisten.

      Sie lebte anschließend im Hause des Bruders Fritz Steinfeld und dessen Ehefrau Sonja in Jerusalem. 1947 nahm Walter in England eine Berufsausbildung auf und seine Mutter ging für fast ein Jahr zu ihrer Schwägerin Thesie Braunsberg geb. Gröschler und deren Mann Julius Braunsberg nach New York. 1948 kehrte die inzwischen 60jährige aus den USA in die Niederlande zurück. Die Tochter, der Schwiegersohn und auch dessen Mutter Dini hatten die Jahre der Verfolgung untergetaucht in der Groninger Innenstadt überlebt und waren im April 1945 von den Alliierten befreit worden. Dort konnte Änne Gröschler auch ihren Anfang 1946 geborenen Enkel Bob auf die Arme nehmen. Im Frühjahr 1950 kehrte sie für einige Monate nach Jerusalem zurück, um den gleichzeitig unheilbar erkrankten Fritz und Sonja Steinfeld beizustehen.

      Die folgenden 32 Groninger Jahre waren durch intensive Kontakte zu den Verwandten und Freunden vor Ort und regelmäßige Besuche der Kinder und Enkel aus England und manchmal auch aus Kanada, wo inzwischen Walter lebte, gekennzeichnet. Sie reiste auch selbst zumindest einmal nach England und Kanada. Die Rentnerin lebte in einer Eigentumswohnung am Floris­plein. Ihr Enkel Bob Löwenberg charakterisiert sie folgendermaßen: „Die Nazi-Zeit, ihr gestörtes Leben, hatte eine erkennbare Auswirkung auf sie. Sie sprach oft über die Vergangenheit, aber nicht nur negativ, sondern sie hatte auch positive Erinnerungen. Sie sprach über ihre Familie und Freunde und liebte deutsche Literatur und sie las zum Beispiel Rilke und Heine. In keiner Art und Weise wurde sie eine verbitterte Person, obwohl sie so viele geliebte Verwandte und Freunde verloren hatte und obwohl ihr Leben in dem Sinne zerstört wurde, dass die Kontinuität auf dem Höhepunkt ihres Lebens gebrochen wurde. Ich fand es beeindruckend zu erleben, dass sie und meine andere Großmutter Dini niemals die Last der Tragödie und ihre Geschichte uns aufgebürdet haben. Obwohl sie oft von ihrem Leben in Deutschland sprachen und von Bedrohungen durch den Krieg und die Verfolgungen und von der deutschen Besetzung Hollands, hatten sie eine positive Einstellung, ohne die Geschichte zu tabuisieren.“2 Deutschland und Jever wollte Änne Gröschler jedoch nie wieder sehen. Sie starb am 23. September 1982 im Alter von 94 Jahren.

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      6 | Änne mit ihren Kindern Trude, Walter und Käthe (von links), Groningen, um 1965.

       Historische Rahmenbedingungen des „Transports 222“

      Die Wissenschaft spricht vom „dritten deutsch-palästinensischen Zivilgefangenenaustausch“.3 Dieser wird meist griffig als „Transport 222“ bezeichnet. In Wirklichkeit gelangten durch ihn jedoch 282 Menschen nach Palästina. In Wien kamen nämlich 61 Juden mit britischen und amerikanischen Staatsangehörigkeiten aus den Internierungslagern Vittel und Laufen zu den 222 aus Bergen-Belsen hinzu. Eine 77jährige Frau musste nach einem Schlaganfall in einem Istanbuler Hospital zurückgelassen werden, wo sie später starb.

      Wegen der widrigen und komplexen Rahmenbedingungen und der Vielzahl der beteiligten Akteure mag es uns heute unglaublich erscheinen, dass der „Transport 222“ seinerzeit überhaupt stattfand. Zwar bestand seit Herbst 1943 eine grundsätzliche Übereinkunft der Kriegsgegner für den Austausch, doch eine Vielzahl von staatlichen Stellen war zu beteiligen. Für Deutschland sind außer dem verhandelnden Auswärtigen Amt Heinrich Himmler in seiner Doppelfunktion als „Reichsführer-SS“ und „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“ (RKF), das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in den Abteilungen „Ausländerpolizei“ und „Judenangelegenheiten“ sowie auch die nachgeordneten SS-Dienststellen in den Niederlanden zu nennen. Auf der britischen Seite waren gleich drei Ministerien – Ausland, Krieg und Kolonien – sowie die Mandatsverwaltung der britischen Regierung in Palästina involviert. Von den beteiligten Nichtregierungsorganisationen besaßen das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf und die Jewish Agency mit Dienststellen in London, Genf, Istanbul und Palästina gewissen Einfluss auf das Verfahren. Auch der „Joodsche Raad voor Amsterdam“ setzte sich 1943 für die Aufnahme von Personen auf die „Palästina-Liste“ ein. Die Hauptakteure Großbritannien (die Mandatsmacht von Palästina) und Deutschland kommunizierten wegen des Kriegszustands nur über die neutrale Schweiz, die dafür in ihrer Berliner Gesandtschaft die Abteilungen „Schutzmacht“ und „Austausch“ eingerichtet hatte. Zudem können die zeitraubenden Postwege einen Teil der monatelangen Verzögerungen seit der Übereinkunft und der ständigen, nur schwer nachvollziehbaren Änderungen an der Austauschliste erklären.

      Gerade in der Zeit des Austauschs Mitte des Jahres 1944 ging der 2. Weltkrieg in seine dramatische Endphase. Die Deutschen hatten durch die Niederlage von Monte Cassino Italien verloren, die Rote Armee zerschlug die Heeresgruppe Mitte, die Westalliierten hatten am 6. Juni, also gut drei Wochen vor Fahrtantritt, die Invasion in der Normandie begonnen. Wenig später wäre die interkontinentale Aktion kaum mehr möglich gewesen, zumal im August 1944 die Türkei die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland einfror. Die Fahrt führte durch Gebiete, die durch Partisanenkrieg und Luftangriffe gefährdet waren, und durch die Machtbereiche Deutschlands, der Türkei und Großbritanniens. Dennoch lief die Logistik der Züge, Fahrpläne, Versorgung und administrativen Begleitung nahezu perfekt. Auch in der „Gegenrichtung“ Palästina – Deutschland funktionierte der Austausch, soweit bekannt, gut.

      Welches Interesse an einer Freilassung von Juden lag überhaupt vor, wenn das unausgesprochene deutsche Staatsziel seit 1941 die „Auslöschung der jüdischen Rasse“ war? Deutschlands verbrecherische, rassenideologische Position war zwar dominant, aber in diesem Fall auch widersprüchlich, weil beeinflusst durch die Interessen der beteiligten staatlichen Organe und Kompetenzen. So gab es eine realpolitische Linie des Auswärtigen Amts (AA) unter Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop. Diese wollte es sich in Kriegszeiten nicht mit jedem Staat der Welt verderben, von dem sich Staatsbürger zufällig im Machtbereich befanden – und Juden waren. Deshalb waren jüdische Bürger neutraler oder befreundeter Staaten von der Ermordung zurückgestellt. Diese deshalb seit 1941/42 an verschiedenen Orten gefangen gehaltenen Juden wollten AA und SS gegen von Kriegsgegnern internierte Deutsche oder dringend benötigte Devisen austauschen. So hatte ein Jude amerikanischer oder britischer Staatsangehörigkeit Überlebenschancen im Gegensatz zu den Juden mit der Staatsangehörigkeit der okkupierten Länder Europas, die meist sofort ermordet wurden.

      Der mörderische Staatsrassismus wurde also in Randbereichen mit dem pragmatischen Primat der Politik abgeglichen. Heinrich Himmler – nach Hitler der machtstärkste Nationalsozialist – hatte spätestens nach der Niederlage von Stalingrad Anfang 1943 erkannt, dass das Reich jetzt verstärkt Devisen zum Ankauf von Rohstoffen benötigte. Deshalb gestaltete er das frühere Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen zum zentralen Austauschlager um und benutzte jüdische Menschen als Druckmittel und Handelsware. Bekannt sind die ca. 1.700 sogenannten Kastner-Juden aus Ungarn, die die SS von Bergen-Belsen aus im August und Dezember 1944 gegen Lösegeld – angeblich 1.000 $ pro Person – in die Schweiz transferierte.

      Himmler war aber gleichzeitig auch „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums“ (RKF) und wollte, wie auch der Chef der Auslandsorganisationen der NSDAP, SS-Gruppenführer Ernst Wilhelm Bohle, alle „arischen“ Auslandsdeutschen in das Deutsche Reich „heimführen“ bzw. sie im Rahmen der deutschen „Großraumpolitik“ in den besetzten Gebieten Osteuropas ansiedeln. 1942 führte der RKF aus: Das Klima Palästinas werde „…dieses wertvolle deutsche Blut zugrunde gehen“ lassen und in „der fremdvölkischen – heute noch zu einem erheblichen Teil jüdischen – Umwelt […] diese Volksgenossen auf die Dauer der nationalsozialistischen Weltanschauung entfremden“.4 Im Gespräch für die Umsiedlung war unter anderem die Krim.

      Während also aus rassenideologischen Motiven heraus die Juden in fast ganz Europa ermordet wurden, bedeutete gleichzeitig die „rassenhygienische“ Paranoia vom gefährdeten deutschen Blut in fremdvölkischer Umwelt in der Perspektive „arisierender Großraumpolitik“ eine Chance für einige wenige Juden. Diese bestand darin, tatsächlich ausgetauscht zu werden – oder als „austauschwertig“ nicht sofort, sondern erst später, wenn der Austausch nicht zustande kam, umgebracht zu werden. Fast wäre der Transport noch am Einspruch des Großmufti Al-Husseini von Jerusalem gescheitert, der sich in seinem Berliner Exil als alleiniger Vertreter aller


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