SoKo Heidefieber. Gerhard Henschel

SoKo Heidefieber - Gerhard Henschel


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      Gerhard Henschel

      SoKo Heidefieber

      Ein Überregionalkrimi

      Roman

      Hoffmann und Campe

      1

      In der Buchhandlung Patz in Bad Bevensen klirrten die Gläser.

      »Liebe Freundinnen und Freunde des gepflegten Buches«, rief der Geschäftsführer Detlev Patz in die Runde, »normalerweise stoßen wir hier ja erst nach dem Ende einer Veranstaltung miteinander an, aber wie Sie alle wissen, ist es schon Tradition, daß die Lesungen des Autors Armin Breddeloh bei uns auf seinen Wunsch mit einem Sektempfang beginnen. Also Prost!«

      Die Büchertische und die Ständer waren beiseite geräumt worden, damit genug Stuhlreihen Platz fanden, und ganz hinten wurden immer noch weitere Klappstühle aufgestellt, denn der Andrang war immens. Nach »Heideblut« und »Heidejagd« spielte auch Breddelohs dritter Kriminalroman »Heidefieber« in Bad Bevensen, einem Städtchen in der Lüneburger Heide, das in Wirklichkeit nur selten als Tatort grausamer Verbrechen von sich reden machte. Vielleicht gefielen diese Krimis den Einwohnern gerade deshalb so gut. In Breddelohs Büchern gingen Mörder mit Eispickeln und Kettensägen auf einheimische Orthopäden, Kassiererinnen, Bäcker, Busfahrer und Bademeister los, und das Blut sprudelte an Orten, die jeder kannte – im Rosenbad, am Elbeseitenkanal, im Kloster Medingen, im Baumarkt an der Ludwig-Ehlers-Straße oder auf der Klein Bünstorfer Heide. Und zwar in Strömen, denn Breddeloh war »kein Kind von Traurigkeit«. Das hatte er in einem Interview mit dem Uelzener Anzeiger betont.

      Auch in seinem neuen Roman, aus dem er jetzt las, richtete jemand gleich auf der ersten Seite ein Blutbad an. In der Jod-Sole-Therme am Kurpark schlich der Täter sich an eine Rentnerin heran, die nichts Böses ahnte: »Sie hatte es sich in ihrer Wickelpackung auf der Thermo-Spa-Liege bequem gemacht und genoß mit geschlossenen Augen den Duft der Aromaöle«, las Breddeloh vor. »Die Wärme, die harmonische Musik und die sanften Schwingungen der Liege verliehen ihr die Illusion der Schwerelosigkeit. Einen Moment lang dachte sie noch an ihre nächste Wurzelkanalbehandlung und an den Appetitmangel ihres geliebten Zwergschnauzers Kalimo, aber dann überkam sie eine Seligkeit, neben der alles andere verblaßte. Die Klangwellen flossen so zart über sie hinweg wie Mondlicht, und ihr war, als schwebte sie nun selbst so leicht dahin wie der Samenfaden einer Pusteblume im Sommerwind. Sie sah sich über eine grüne Wiese gleiten, auf den Horizont zu, der in Blau und Gold erstrahlte. Und so tief war sie in diesen Tagtraum versunken, daß sie nicht merkte, wie der Schatten eines Hammerbeils auf ihre Lider fiel. Der erste Hieb durchtrennte den Kehlkopf, die Halsschlagader, die Luftröhre, die Speiseröhre und sämtliche Halsmuskelstränge, und der zweite teilte auch die Nackenwirbelsäule in zwei Hälften. Dieser Vorgang hatte nur ein paar Sekunden gedauert, aber einen großen Schwall von Blut verursacht. Es ergoß sich auf den Boden, und es tropfte von dem Beil. Der Mann wischte die Klinge an der Aromawickelpackung ab. ›Das hast du davon, daß du mich damals auf Gomera mit Aids angesteckt hast‹, sagte er zu der Leiche. ›Und jetzt kümmere ich mich um deine Kinder. Und um deine Enkelkinder. Die lieben Kleinen freuen sich bestimmt schon auf den Mann mit dem Hackebeilchen …‹«

      Breddeloh blickte auf. Und er konnte zufrieden sein: In den Gesichtern malten sich Abscheu und Angstlust.

      In dem Kapitel, das er vortrug, schlug der Mörder am Ende ein zweites Mal zu, doch die Tatwaffe war eine andere. Diesmal bediente er sich eines Bolzenschußgeräts, um den jüngsten Sohn der geköpften Rentnerin, einen Jugendtrainer, im Vereinsheim des BSV Union Bevensen von allen Sorgen zu erlösen.

      »Nach getaner Tat«, las Breddeloh weiter vor, »trat der Mann einen Schritt zurück, um sein Werk zu begutachten. Es behagte ihm ganz ausgezeichnet. Vor allem das gespenstische Grinsen, zu dem sich der Mund des Opfers verzogen hatte. ›Saubere Arbeit‹, dachte der Mann. ›Ich werde immer besser …‹ Er nahm dieses Bild in sich auf und schloß einen Moment lang die Augen. Dann drehte er sich um, verließ das Stadion an den Sandschellen und ging pfeifend die paar hundert Meter zum DRK-Waldkindergarten hinüber, wo es auch noch etwas zu tun gab. Allerdings erst später. In den nächsten Tagen würde es hier von Polizisten wimmeln, und für das, was der Mann sich vorgenommen hatte, brauchte er ein wenig Abgeschiedenheit. Heute wollte er nur schon einmal das Gelände sondieren. Denn es sollte ja eine gelungene Überraschung werden, wenn er aus sicherer Entfernung die Armbrust auf die kleine Emilia anlegte. Oh, wie würden sie da staunen, die Erzieherinnen, wenn der Pfeil einschlug! Und Emilia selbst erst! Und die anderen Kinder! Es sollte für sie alle ein unvergeßlicher Tag werden. Und für Emilia der letzte ihres Lebens.«

      Breddeloh klappte das Buch zu und trank einen Schluck Sekt, während das Publikum applaudierte.

      Detlev Patz erhob sich. »Vielen Dank, Herr Breddeloh, für diesen schaurigen Einblick in die Unterwelt von Bad Bevensen, in der es offenkundig gefährlicher zugeht, als die Polizei erlaubt! Und vielen Dank auch Ihnen, meine Damen und Herren, daß Sie so zahlreich erschienen sind. Gestatten Sie mir noch den Hinweis auf die nächste Veranstaltung: Am Freitagabend nächster Woche wird der renommierte Hamburger Schriftsteller Frank Schulz hier bei uns aus seinem Kriminalroman ›Onno Viets und der Irre vom Kiez‹ lesen. Beehren Sie uns dann bitte wieder! Und bevor ich gleich das kleine Büfett eröffne, das wir für Sie angerichtet haben, wird Herr Breddeloh gewiß gern einige Bücher signieren. Oder möchten Sie vorher vielleicht noch die eine oder andere Frage an ihn richten? Ja? Der Herr dort hinten in dem grünen Jackett?«

      Ein Mittfünfziger stand auf und sagte: »Herr Breddeloh, in dem Abschnitt, den Sie heute vorgelesen haben, kommt zweimal die Formulierung ›einen Moment lang‹ vor. Ist das Absicht oder Einfallslosigkeit?«

      Breddeloh lief rot an. »Sie scheinen zu glauben, daß Sie meine Romane besser schreiben könnten als ich selbst«, erwiderte er. »Aber das Urteil über meine literarischen Fähigkeiten können Sie getrost meinen Leserinnen und Lesern überlassen!«

      Dafür gab es abermals Beifall, und als Breddeloh die Bücher signierte, bekam er viele Komplimente zu hören. »Sie haben so eine samtige Stimme«, sagte eine freundliche ältere Dame, die sich auf ihren Rollator stützte. »Machen Sie auch Hörbücher, Herr Breddeloh?« Ein junger Mann teilte ihm mit, daß er niemals etwas Geileres gelesen habe als die Schilderung des Amoklaufs in der Fritz-Reuter-Schule in dem Roman »Heidejagd«. »Wie da die Lehrer in der Mensa umgenietet werden – das hätte nicht mal Stephen King besser hingekriegt!« Und eine Buchhändlerin aus Lüneburg, Ende zwanzig, sommersprossig und strohblond, reichte ihm ihre Visitenkarte, lud ihn zu einer Lesung ein und fragte ihn, ob denn auch schon ein vierter Roman in Arbeit sei.

      »Oja«, sagte Breddeloh. »Der wird ›Heidegold‹ heißen. Da geht es um die Verwicklung eines Juweliers aus Bad Bevensen in illegale Geschäfte mit Edelmetallen aus dem Amazonasbecken. Ich arbeite mich gerade in diese Materie ein …«

      Trotz des Zuspruchs konnte man ihm deutlich ansehen, daß ihm eine Laus über die Leber gelaufen war. In Gestalt des Herrn mit dem grünen Jackett. Der nun auch noch die Frechheit besaß, die nette Buchhändlerin aus Lüneburg in ein Gespräch zu ziehen, obwohl Breddeloh ihr gern noch etwas mehr von seinen Recherchen für das neue Buch berichtet hätte.

      Leise grummelnd ging er zum Büfett und angelte sich eine Cocktailtomate.

      »Und?« sagte Detlev Patz. »Geht’s jetzt auf große Lesereise?«

      »Erst Dienstag. Deutschland, Österreich und die Schweiz. Vier Wochen lang.«

      »Ist das nicht langweilig, immer dieselben Sachen vorzulesen?«

      Breddelohs Miene verdüsterte sich weiter. Ein Wort der Bewunderung für die Reichweite seiner Lesetour hätte ihm besser gefallen. Was sollte er auf diese unverschämte Frage antworten?

      Ihrer Ansicht nach, warf eine keck frisierte Dame ein, sei Harry Rowohlt ja der beste Vorleser aller Zeiten gewesen. »Haben Sie den mal kennengelernt?«

      »Nein«, sagte Breddeloh, wobei es ihm mühelos gelang, seine Stimme eisig klingen zu lassen.

      »Und Sie haben auch nie eine Lesung von ihm besucht?«

      »Nicht daß ich wüßte.« Die Stimme


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