Die Zukunft kann wieder weiblich werden .... Karin Werner
die Männer auf die Künste der Frauen angewiesen.
Grundsätzlich bestand in der Altsteinzeit eine Gemeinschaftsökonomie und keine individuelle Wirtschaftsweise wie bei uns heute in der Kleinfamilie.
Auf der sozialen Ebene war die altsteinzeitliche Gesellschaft gleichwertig.
„Die deutlichsten Belege für die Egalität (Gleichwertigkeit) der Geschlechter liefern die Gräber aus der Altsteinzeit (z.B. La Ferrassie in Frankreich und Es-Skhul im Karmel-Gebirge in Palästina/Israel). Die Toten wurden gleichmäßig z.B. mit Schmuck aus Muscheln, Schneckenhäusern und Tierzähnen ausgestattet.“ 7
Es gab auch eine gleichwertige Wohnweise in den Behausungen. „Es gibt aus der Altsteinzeit ein Beispiel von mehreren Zeltstellplätzen, wobei das Innere der Zelte in zwei völlig gleiche Seiten, die weibliche und die männliche, aufgeteilt war. In der einen Hälfte fand man männliche Gerätschaften und in der anderen weibliche Gerätschaften einschließlich Frauenstatuetten. Frauen und Männer saßen also bei den gemeinsamen Zusammenkünften in getrennten Hälften, was man auch für paläolithische (altsteinzeitliche) Lager in anderen Gebieten annimmt. Diese Sitzordnung stimmt mit den heutigen Gebräuchen in mongolischen Jurten und in den Zelten der Tuareg überein; sie hat sich bis in die großen Clanhäuser erhalten, wie bei gegenwärtigen, matriarchalen Ackerbaugesellschaften, z.B. den Mosuo in Südwestchina, zu sehen ist.“ 7
Die elementare soziale Form ist in allen Gesellschaften die Mutter-Kind-Gruppe. Sie entsteht durch Geburt und eine jahrelange Pflegephase. Aus der Mutter-Kind-Gruppe entwickelte sich die soziale Intelligenz der Frauen, die Grundlage der Gemeinschaft wurde.
Frauenverbindungen stellten eine dauerhafte Sozialform dar, die durch ein gemeinsames Wissen eine starke Solidarität unter Frauen bewirkte. Sie beinhalteten die Geburtshilfe, die Mitbetreuung der Kinder sowie die Regelung der sozialen Angelegenheiten der gesamten Gruppe.
Die zentrale Stellung der Frauen in der sozialen Organisation, der Gruppe oder dem Clan geht damit weit über das Behausen, Beköstigen und Bekleiden hinaus. Die Frauen bildeten den stabilen Kern der gesamten Gesellschaft. Sie garantierten durch ihre soziale Intelligenz deren Zusammenhalt. Frauen achteten auf das Teilen von Nahrung und Behausung, damit alle gut versorgt waren.
Aus der vertrauten Intimität zwischen Mutter und Kind entwickelte sich die früheste Sprache: „Das zärtliche Lallen, das einlullende Singen, der warnende Zuruf bei Gefahr für das Kind, und zunehmend bildeten sich auf diese Weise artikulierte Silben und Wörter. Die Kinder ahmten es nach, wodurch ihre Sprachfähigkeit sich in jeder Generation steigerte. Es ist die „Muttersprache“, die auf diese Weise entstand, denn jedes Kind lernt zu allen Zeiten die Sprache von der Mutter.“ 8
Die Liebesbeziehungen zwischen Frauen und Männern waren offen und konnten wechseln.
„Männliche Personen können als ältere Söhne oder Liebhaber in den Hütten der Frauen gewohnt haben, aber sie sind hier Helfer oder Gäste statt Besitzer.“9
Die altsteinzeitlichen Menschen waren immer mobil. Sie wechselten die Orte teils nach Jahreszeiten, teils für neue Sammel- und Jagdgründe. Besondere Steine und Objekte nahmen sie mit und nutzten sie als Geschenke bei zufälligen oder regelmäßigen Zusammentreffen mit anderen Gruppen. So wurde Frieden gesichert und etwaiger Streit frühzeitig beigelegt.
Auf der Ebene der Kultur und Religion besaß die altsteinzeitliche Gesellschaft eine umfassende Wiedergeburtsreligion. Die Erde wurde als Urmutter angesehen. Die Frau stand als ihr Abbild im Zentrum. Das immer wiederkehrende Leben von Pflanzen, Tieren und Menschen sowie die Wiederkehr von Sonne, Mond und Sternen wurde verehrt. Aufgrund dieser Wiedergeburtsreligion bezeichnet Heide Göttner-Abendroth diese Gesellschaften als mutterzentriert.
Zusammenfassung:
Die altsteinzeitliche Gesellschaft war gleichwertig bezüglich des Zusammenlebens von Frauen und Männern und Männern untereinander von 200.000 bis 10.000 Jahren v.u.Z.
Auf der ökonomischen Ebene entwickelte sich eine Sammel- und Jagd-Ökonomie und auf der sozialen Ebene eine mutterzentrierte Altersklassengesellschaft ohne Verwandtschafts-Beziehungen.
Auf der Ebene der Kultur und Religion glaubten die Menschen an die Wiedergeburt alles Lebendigen.
Noch heute nach altsteinzeitlicher Art lebende Völker: Die Pygmäen und die San
Die Pygmäen leben im Urwald Zentralafrikas. Bei ihnen gilt: Zur Gruppe gehört, wer gerade anwesend ist. Die Gruppe gilt als „Familie“, was nichts mit Blutsverwandtschaft zu tun hat. In jeder Altersgruppe benennen sich die Personen untereinander als „Schwestern“ und „Brüder“, was eine Zugehörigkeit zu Personen ähnlichen Alters bedeutet. „Auf dieselbe Weise sind alle Frauen mit Kindern kollektiv „Mütter“, und die Gruppe der älteren Frauen, die den Müttern hilft, heißt kollektiv „Großmütter“. 10
„Die Gruppen der San und Pygmäen gliedern sich deshalb in Altersklassen: die Kinder, die Jugendlichen, die Erwachsenen und die Ältesten. Eine Vorstellung von Blutsverwandtschaft fehlt, deshalb ist nicht die Genealogie (der Stammbaum), sondern die Mitgliedschaft zur Gruppe und dort zur jeweiligen Altersklasse das ordnende Prinzip der Gesellschaft.“ 10
Ähnlich leben die San in der Kalahari-Wüste in Gruppen von ein paar Dutzend Personen zusammen. Sie haben kein Oberhaupt. Ältere Frauen und Männer genießen große Achtung auf Grund ihrer Erfahrung. Sie haben eine gleichwertige Gesellschaft. Die Gruppen sind durchlässig; Einzelne wechseln hin und her. Wenn bei den San eine Frau einen Mann gewählt hat, schließt sich der Mann ihrer Gruppe an und hilft dort mit. Die Frauen sind autonom und achten auf das gerechte Teilen der Nahrung.
Jegliche Angeberei und Gewalt zwischen Personen wird abgelehnt, ebenso jedes Konkurrenzgehabe unter den San-Männern. Verpönt sind offen gezeigter Ärger sowie Versuche, höheren Status und materiellen Besitz zu erlangen. In den kleinen Gruppen der San-Gesellschaft fällt dies sofort auf und führt zum Ausschluss aus der Gruppe.
Was sagt der Anthropologe Richard Wrangham?
Hinsichtlich der Gleichwertigkeit der Menschen untereinander sind die Arbeiten von Richard Wrangham, einem britischen Anthropologen, interessant. Er ging der Frage nach, wie Naturvölker in ihrer Gemeinschaft heute mit einem aggressiven Mitglied, welches mit Gewalt herrschen will, umgehen.
Die Antwort war eindeutig und unumstößlich: der Gewalttäter wird getötet.
Die Männer des Stammes treffen gemeinsam die Entscheidung zur Exekution (Hinrichtung) und führen sie auch gemeinsam aus. Diese Maßnahme sichert der Gemeinschaft des Volkes die Gleichwertigkeit der in ihr lebenden Menschen. Gewalttätige Herrschaftsverhältnisse und Hierarchien etablieren sich nicht.
In seinem Buch „Die Zähmung des Menschen. Warum Gewalt uns friedlicher macht“ von 2019 unterscheidet Richard Wrangham zwischen reaktiver und aktiver Aggression.
„Reaktive Aggression könnte man als „heißblütig“ bezeichnen, man verliert die Kontrolle und schlägt zu. Aktive Aggression ist dagegen „kaltblütig“, sie wird bewusst und geplant ausgeführt.“ 12
„Reaktive Aggression lässt sich als Versagen der Kontrolle über Emotionen wie Angst oder Wut verstehen.“ 13
„Im Unterschied zu reaktiv aggressiven Impulsivtätern sind Psychopathen eher aktiv aggressiv.“ 14
„Psychopathen gibt es in aller Welt. So wirken sie zum Beispiel oberflächlich charmant, sie lügen häufig, wechseln oft ihre Sexualpartner und sind schnell gelangweilt. Für die Gedanken und Gefühle anderer sind sie unempfänglich. Ihr Selbstvertrauen wirkt auf andere attraktiv. Sie sind bereit, sich das zu nehmen, was sie wollen, egal mit welchen Mitteln. Psychopathen sind also egozentrische und gefühllose Menschen mit eingeschränktem