bye bye SPD. Reinhard Vieth

bye bye SPD - Reinhard Vieth


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sah die Gewerkschaft zu leben. Aber auch als Soldat hat man eine Interessenvertretung, also trat ich in den Bundeswehrverband ein. Quasi eine Ersatzgewerkschaft für Soldaten, aber der für meinen Bereich zuständige Vorsitzende des Verbandes war ein Hauptbootsmann, der diesen Job wohl als Ruheposten für alte Portepeeunteroffiziere betrachtete und der ganz sicher keine Veranlassung sah, sich auf Mannschaftsdienstgradniveau zu begeben. Also entweder es gilt der solidarische Grundgedanke, der jeden Gewerkschafter beflügelt: Einer für alle und alle für einen, aber nicht Dienstgradabhängig und darum währte meine Mitgliedschaft nicht lange.

      Politisch bewegten wir uns in einer Zeit des Umschwungs. Nachdem Ludwig Erhard als Kanzler gescheitert war, hatten die Unionsparteien unter dem Kanzler Kurt Georg Kiesinger beschlossen, mit der SPD eine große Koalition einzugehen. Die SPD, die bisher sozusagen die Underdogs waren, wurden regierungsfähig. Der tiefere Hintergrund lag allerdings darin, dass zum ersten Mal auch die FDP der SPD eine Regierungsmachbarkeit anbot, aber egal von welcher Seite man es betrachtete, weder die SPD bekam mit der FDP eine komfortable Mehrheit hin, noch die CDU mit der FDP. So kam es zum ersten Mal zur großen Koalition mit Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler und dem Vizekanzler Willy Brandt. Damals teilten sich noch vier Parteien die Macht, die CDU mit der CSU (dem bayowarischen Spezifikum), die SPD und die FDP. Wobei die FDP immer das Zünglein an der Waage war.

      Schon lange zuvor hatte sich die SPD mit ihrem Godesberger Programm vom Marxismus abgewendet und damit den Wandel von der sozialistischen Arbeiterpartei, hin zu einer Volkspartei vollzogen. Das Godesberger Programm wurde bereits im November 1959 in Bad Godesberg verabschiedet und gilt immerhin als das längst gültige Programm der SPD, das erst 1989 durch das Berliner Programm abgelöst wurde. Mit dem Godesberger Programm hatte die SPD ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft und zur Landesverteidigung abgelegt. In der Einleitung wird gesagt, dass der demokratische Sozialismus eine neue und bessere Ordnung anstrebt, die allen in friedlichen Verhältnissen einen gerechteren Anteil am gemeinsam geschaffenen Reichtum verschaffen soll. Mit den Grundsätzen und Programmen der SPD, die später in kürzeren Abständen folgten werde ich mich noch auseinandersetzen. Doch zunächst zurück zu meiner Bundeswehrzeit.

      Mein oberster Dienstherr, der damalige Verteidigungsminister war Dr. Gerhard Schröder, der ganz sicher nicht mit dem späteren Kanzler der 2000er Jahre verwandt war. Damit will ich nur sagen, dass die Bundeswehr, der ich zu der Zeit immer noch angehörte, nicht unter die freiheitliche Regie der Sozialdemokraten geriet, sondern immer noch sehr konservativ geführt wurde. Im weiteren Verlauf der Legislaturperiode, der ersten großen Koalition wurde jedoch dem Kanzler Kurt Georg Kiesinger seine Nazi-Vergangenheit zum Verhängnis. Es kam bei einem öffentlichen Auftritt zu einem Eklat, Kurt Georg Kiesinger wurde von Frau Beate Klarsfeld, öffentlich geohrfeigt. Nach diesem Auftritt wurde Kiesingers Nazi-Vergangenheit immer deutlicher und die von ihm geführte Regierung geriet immer mehr unter öffentlichen Druck. Dadurch wurde dann auch die Wende zur sozialdemokratischen Regierungsübernahme eingeleitet, denn Kiesinger musste zurücktreten und es kam zu Neuwahlen, aus denen Willy Brandt als neuer Kanzler hervorging. Willy Brandt war mit dem Kernsatz angetreten: „ Mehr Demokratie wagen.“ Dieser Satz hat sich bis heute in den Köpfen vieler Sozialdemokraten fest verankert.

      Wie gesagt, es war eine bewegte, bewegende Zeit. Eine Zeit großer Liberalisierungen und Demokratisierungen, praktisch eine Zeit neuen Aufbruchs. Gegen den Springer Konzern, insbesondere die BILD-Zeitung, wurde demonstriert, in Vietnam tobte ein schrecklicher, schmutziger Krieg in dem die Amerikaner erstmalig nicht nur fürchterliche Napalmbomben einsetzten, sondern auch ein Entlaubungsmittel, mit dem Namen „Agent Orange“. Beides schreckliche Waffen, Napalm hört sich so brav nach Palmen und Meeresrauschen an, bezeichnet aber eine Brandbombe großen Ausmaßes. Diese Bomben haben ganze Dörfer in Brand gesetzt und die Feuerwalzen haben Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt. Wenn ich daran denke habe ich immer noch das schreckliche Bild vor Augen, wie ein etwa 10, 11 Jahre altes Mädchen nackt, mit Brandmalen und schreckensweit aufgerissenen Augen vor der Feuerwalze flieht und dabei von einem Kriegsreporter fotografiert wird. Dieses Bild wurde ausgezeichnet und ging um die Welt, als eines der Schreckensbilder dieses Krieges.

      Agent Orange hört sich so nach James Bond und Agentenmilieu an, war aber leider auch eines der perfidesten Mittel, um ganze Regionen auf einen Schlag chemisch zu entlauben, damit man vom Hubschrauber aus die Bodenbewegungen des Feindes erkennen konnte. Erst viel später stellte sich heraus, dass dieses Mittel auch schreckliche Krebserkrankungen nach sich zog, von denen dann auch die eigenen Soldaten betroffen wurden. Dieses Mittel wurde in großen Mengen und ohne Rücksicht auf am Einsatzort vorhandenes Leben, von den Amerikanern in riesigen Wolken über bewachsenem und bewaldetem Gebiet eingesetzt. Man wollte damit die versteckten Versorgungspfade der Kriegsgegner, des Vietcong, aufdecken. Der Vietcong nutzte verständlicherweise das Laub des Urwaldes als Deckung und war so für Kampfeinsätze der Luftwaffe nicht sichtbar. Dieser Krieg war brutal und dreckig, fürchterliche Bilder umkreisten erstmals die damals eigentlich gerade befriedete Welt. Und nach dem Krieg, als die Amerikaner sich praktisch ohne Sieg zurückziehen mussten, wurden die ersten Klagen amerikanischer Soldaten bekannt, die auf Entschädigung klagten, weil sie als Folgeschäden aus dem Urwaldeinsatz und den Einsatz des Entlaubungsmittels, eine Krebserkrankung erlitten hatten. Natürlich bestritt der amerikanische Staat den Kausalzusammenhang, aber mit einigen guten Rechtsanwälten konnte wenigstens einigen der erkrankten Soldaten zumindest eine Teilanerkennung zugesprochen werden. Andere, inzwischen verstorbene Soldaten hatten diese Chance nicht mehr.

      Dieser Krieg war einer der Gründe, weshalb sich eine mächtige Protestbewegung diesseits und jenseits des Atlantiks gründete. Ein Nebenprodukt des Protestes gegen diesen Krieg ist auf der musikalischen Bühne das Musical „Hair“. Irgendwann, in dieser Zeit sollte die Bundesrepublik von dem amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey besucht werden und der zuvor bereits erwähnte Rainer Langhans hatte aus diesem Anlass ein „Puddingattentat“ geplant. Er wollte den amerikanischen Vizepräsidenten mit Pudding bewerfen. Leider hatten irgendwie die Geheimdienste von „einem Attentat“ Wind bekommen und so wurde dieses Attentat im Vorwege verhindert, indem man Langhans „vorbeugend“ unter Arrest setzte. Die „Puddingbombe“, mit der Langhans den amerikanischen Vizepräsidenten bewerfen wollte, sollte dazu dienen, auf den Vietnamkrieg hinzuweisen und die USA lächerlich zu machen. Auch die „BILD-Zeitung“ bekam im Vorwege Wind von der Sache aber anstatt auf die Ironie der Aktion zu verweisen titelte sie in einem Artikel dazu nicht etwa auf die Lächerlichkeit, sondern die BILD schrieb nur einfach „Bombenattentat geplant“. Bei einer Gerichtsverhandlung, sollte Langhans aufstehen, als der Richter den Saal betrat. Nachdem er das aber nicht tat, wurde eine Ordnungsstrafe verhängt und er wurde erneut angewiesen, aufzustehen, was er dann mit mir unvergessenen Worten tat: „ Na gut, wenn es denn der Wahrheitsfindung dient“.

      Die Welt war politisch und die Jugend, der ich mich durchaus auch noch zurechnete, war im Widerspruch zum Establishment und weil auch ich schon vom politischen Virus angesteckt war, wollte ich nun auch für meine politische Einstellung aktiv werden. Also überlegte ich, in welche Partei ich eintreten wollte. Die konservative CDU war in meinem Elternaus so ausgeprägt, dass sie schon deshalb nicht in Frage kam. Durch meinen Onkel hingegen wurde ich, wie ich eingangs schon berichtete, gewerkschaftlich geprägt. Vor diesem Hintergrund kam für mich daher eigentlich nur die SPD in Betracht. Hier oben, in Schleswig-Holstein ist allerdings auch der SSW, der Südschleswigsche Wählerverband (das ist die Partei der dänischen Minderheit) durchaus respektabel vertreten und traditionell bundespolitisch eher der SPD zugeneigt. Wäre also auch eine Option gewesen, aber ohne dänischen Hintergrund keine ernsthafte Überlegung. Aber in meinem Herzen war und bin ich Arbeitnehmer und Gewerkschafter und so lag es nahe, dass ich mich entschloss, in die SPD einzutreten. Schließlich verbindet die Geschichte der Arbeiter und Arbeitnehmer eine lange, inzwischen wechselvolle Geschichte mit der SPD also trat ich in die SPD ein.

       Der Parteieintritt

      1970 trat ich in die Schleswig-Holsteinische SPD ein. Hier war man links, nicht liberal, nicht linksliberal, sondern ehrlich links und mehrheitlich mit Arbeitnehmern vertreten. Hier war die Gewerkschaft noch verwurzelt, – aber im Grunde auch nur oberflächlich, denn unterschwellig war immer eine Abgrenzungstendenz im Gange. Ich will nicht bei Adam und Eva, der Vorgeschichte der Parteichronik einsteigen, dennoch sei hier zumindest die Tradition des Mannheimer Abkommens erwähnt, das zwischen


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