bye bye SPD. Reinhard Vieth

bye bye SPD - Reinhard Vieth


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hätte man die Grundlagen längst auch wieder novellieren müssen, das heißt der Zeit anpassen müssen.

      Andererseits muss man zur Ehrenrettung der Politik sagen, dass diese Einschnitte notwendig und hoch Zeit wurden, denn auch und gerade an der Basis war erkennbar, dass es so wie bisher nicht weitergehen konnte. Die soziale Hängematte war zu engmaschig geworden. Über mein berufliches Umfeld habe ich im Zusammenhang mit der Sozialhilfe einiges erlebt, was ihren Sinn und Inhalt sehr in Frage stellte. Ich begann meinen Beruf in der Kommunalverwaltung mit dem hehren Anspruch, den Menschen helfen zu wollen und die Menschen als Gleiche unter Gleichen zu sehen, doch meine Kollegin, die seit einigen Jahren schon das Sozialamt führte, sagte mir, dass ich „beschissen und belogen“ würde, wenn ich daneben stände. Das glaubte ich nicht, das vertrug sich nicht mit meinem Weltbild. Später habe ich ihr Abbitte geleistet. Ich habe erlebt, wie eine Lehrerin, die aus einem nicht unvermögenden Hause stammte, ihren Beruf aufgegeben hat, um mit ihrem „neuen“ Lebensgefährten zu leben; Leben, ohne sich das Leben durch Arbeit kaputt machen zu lassen. Der Lebensgefährte war ein abgebrochener Studiosus, der zwei Kinder mit in die Verbindung brachte. Sie lebten im als Ferienhaus erbauten Bungalow der Eltern der Frau. Der Vater dieser Frau lebte in einem Pflegeheim und war somit nicht zu Unterhaltsverpflichtungen heranzuziehen, weil sein Einkommen für die Leistungen der Pflegeeinrichtung verbraucht wurde.

      Hier endlich einmal einen Punkt zu setzen und um Leistungsempfänger, wie die Lehrerin, wieder dazu bringen zu wollen, ihr Leben durch eigene Erwerbstätigkeit wieder in den Griff zu bekommen und damit die Gesellschaft zu entlasten, war das Ziel der „Schröder-Agenda“. Aber leider, wie so oft, wenn die Politik etwas steuernd in die Hand nehmen will, ging dieses Ansinnen schief. Man versuchte wieder einmal, um allen und allem gerecht zu werden, die Eier legende Wollmilchsau zu erfinden. Die Menschen sollten abgesichert sein, sollten aber auch dazu angehalten werden, Arbeit zu suchen.

      Leider ist es in unserer Republik inzwischen jedoch so, dass jede kleine Gesetzesänderung auf ihre Lücken untersucht wird und dass diese Lücken, wenn so welche vorhanden sind, schamlos ausgenutzt werden. Mit der HartzIV-Gesetzgebung wurde nämlich auch die Tür zu prekären Beschäftigungsverhältnissen geöffnet. Wenn jetzt jemand außerhalb der Schwarzarbeit, die zu dieser Zeit ebenfalls ihre Blütezeit hatte, in einem Billiglohnjob eine Anstellung fand, wurde sehr schnell von der Arbeitgeberseite erkannt, solche Arbeitnehmer zum Amt, zum Aufstocken schicken zu können. Die Folge war, dass die Unternehmen sich immer weiter aus der Pflicht zogen und ihren Gewinn über Billiglohnjobs maximierten, die vom Staat letztendlich bezuschusst wurden. Das hatte aber auch zur Folge, dass wir weiter auf dem Weltmarkt Exportmeister waren, weil wir dadurch zu einem Billiglohnland mutierten. Auf die Folgen, die sich aus diesem Tun bis heute für Europa, insbesondere für die Länder ergaben, die unter den Euro-Rettungsschirm flüchten mussten, will ich hier gar nicht eingehen, weil das zu weit aus dem eigentlichen Thema heraus führen würde. Trotzdem sei so viel gesagt, dass wir im Grunde Arbeit subventioniert, also billiger gemacht haben und damit billiger als andere europäische Länder sein konnten.

      Diese ganzen Einschnitte, die bis heute nachwirken wurden als eben die HartzIV-Gesetzgebung und als die Agenda 2010 bekannt. Man kann diese Ära und auch die Gesetzgebung in dieser Sache nicht in Gänze verteufeln, denn man kann heute sagen, dass die Agenda 2010 tatsächlich etwas gebracht hat. Dennoch bleibt die Frage nach dem gerechten Ausgleich - und darum hätte die Politik mit diesem Instrument arbeiten müssen - es ständig neuen Gegebenheiten und Herausforderungen anpassen müssen, aber stattdessen haben sich zu viele Menschen, aber auch zu viele Arbeitgeber auf Hartz IV eingerichtet. Und weil die Regierung Schröder neben der vermeintlichen Goodness Hartz IV gleich auch noch eine Steuersenkung für Mehrverdiener verabschiedete, schrumpften durch diese Umverteilung auch die Einnahmen des Staatshaushaltes und so mussten die Kosten zu Lasten anderer sozialer Ausgaben aufgefangen werden. Aber das wäre ein anderes Thema, ein anderes Buch. Insofern denke ich an meinen alten Deutschlehrer, der würde in diesem Fall sagen: „Reinhard, setzen, du gehst am Thema vorbei.“

       Mehr Demokratie wagen

      Zu Zeiten der Kanzlerschaft Willy Brandts, 1968, bin ich in die SPD eingetreten. „Mehr Demokratie wagen“ war sein Credo. Er war es wirklich, der den abgehobenen Muff der Adenauerschen Politik endlich durchbrach und die Politik auch für die Menschen verständlich machte. Die soziale Demokratie ist sicher ein erstrebenswertes Ziel, wenngleich kaum erreichbar. Mein mein Weltbild, mein Bild der politischen Geschichte und der Beginn einer sozialen Demokratie begann mit Willy Brandt, mit Woodstock, den 68ern und den Hippies, mit der Freiheit oder dem Freiheitsgedanken, der auf einmal eine ganze Generation erfasste, zu leben. Ein Aufbruch begann. Ich trat also in die SPD ein.

      Gerade vor der heutigen Entwicklung der Partei, die sich jetzt quasi diametral zu ihrer eigenen Geschichte wandelt, darf man die wechselvolle Geschichte der Partei nicht außer Acht lassen. In den 150 Jahren, die sie nunmehr bereits durchlebt hat, gab es immer und immer wieder auch so genannte Flügelkämpfe. Diese Partei hat ständig versucht, den Spagat zwischen den Interessen der Arbeitnehmerschaft und der nötigen Staatsräson zu vollbringen. Ihr tragisches Schicksal ist es jedoch, dass sie in der Neuzeit, seitdem sie Regierungsverantwortung trägt oder mitträgt, eigentlich immer die sozialen Versäumnisse einer Vorgängerregierung auslöffeln musste. Der von Willy Brandt aus tiefster Überzeugung geäußerte Satz, „mehr Demokratie wagen,“ fiel in eine Zeit der Befreiung, Hippies, Haschisch, freie Liebe und so weiter. Hier drohten die Welten des Bürgertums und der sich befreienden Jugend, die Gesellschaft zu zerreißen. So musste Brandt das alles mit Rücksicht auf die politischen Hintergründe, die mit der Entwicklung gar nicht Schritt halten konnten, wieder einfangen. Unter einer sozialdemokratischen Regierung wurde der Radikalenerlass und damit einhergehend Berufsverbote erlassen.

      Auch die Regierung Gerhard Schröders war im Grunde ein Ausputzer für die Vorgängerregierung. Denn mit der Verabschiedung der erwähnten Hartz IV-Gesetzgebung mussten im Grunde die Versäumnisse der Kohl-Regierung aufgefangen werden.

      Mit diesem Buch will ich jedoch keine Historienarbeit vorlegen, das würde viel zu trocken werden. Ich will und darf zwar die Entwicklung nicht außer Acht lassen, aber ich werde den Weg der Partei anhand meiner Beziehungen zur SPD und zur Gewerkschaftsbewegung berichten. Ich will meinen Blickwinkel von erlebten 40 Jahren Parteigeschichte aus der erlebten Partei von unten darstellen. Dabei soll die traditionelle Entwicklung der beiden – manchmal und in letzter Zeit immer häufiger – widerstrebenden Lager, Gewerkschaften und SPD, nicht außer Acht gelassen werden. Mein politisches Interesse begann im Grunde mit meinem Eintritt ins Berufsleben und damit einhergehend auch dem Eintritt die Gewerkschaft, damals die DAG (Deutsche Angestellten-Gewerkschaft) die heute in ver.di aufgegangen ist.

       Gewerkschaften und SPD, ein Widerspruch?

      Wenn man als altes „Schlachtross“ so zurückblickt, muss man in der Summe der Betrachtungen zu dem Ergebnis kommen, dass das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und der SPD nie ganz frei von Spannungen war. Beide Organisationen sind auf der Basis von Bündnissen gewachsen, Bündnissen die aus der Knechtung der Arbeiter entstanden und in denen sich die Arbeiter, das Proletariat, zusammengeschlossen hatten, um sich aus unwürdigen Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien. Der damalige Arbeiter war durchaus vergleichbar mit den heutigen Näherinnen in Kambodscha und Bangladesch. Auch die versuchen jetzt, sich zu befreien. Sie sind zu hunderten in eine miefende Produktionsstätte eingepfercht und es gibt keine geregelten Pausen und einen Toilettengang nur, wenn es der Vorarbeiter erlaubt. Genauso ähnlich sah es hier aus, stinkende, laute Fabrikhallen, in denen man sein eigenes Wort nicht verstand, und mit einem Hungerlohn wurden die Arbeiter, die damals auch keine Feierabend- oder Pausenregelungen hatten, regelrecht ausgebeutet. Aber letztendlich kann kein Produkt ohne die Arbeit, ohne die Hilfe von Arbeitnehmern entstehen oder verkauft werden. Und dies erkannten auch unsere Ur-Väter und so gründeten sie quasi die Ur-Gewerkschaften, nämlich Arbeitervereine. Die wurden natürlich von den Arbeitgebern und natürlich auch von der Staatsregierung argwöhnisch beobachtet wurden. Denn eine Union, eine Interessenvertretung vieler ist stärker, als der einzelne. Damals entstand der Spruch, der auch heute noch Geltung hat: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“

      Den einzelnen Arbeitnehmer, den kann ich als Betriebsinhaber nochmal mit Druck


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