Brezensalzer. Eine Bayernkomödie. A. A. Reichelt

Brezensalzer. Eine Bayernkomödie - A. A. Reichelt


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einen Mann kein Problem!«, dachte er sich und ging zur Toilette.

      »Die besten Ideen habe ich sowieso auf dem Klo!« Er nahm das Toilettenpapier aus der Wandhalterung und grinste. »Sag ich doch!«

      Während er seinen geplanten Behandlungsraum betrat, rollte er das Papier ab. Unter Zuhilfenahme seiner Armspannweite maß er zwei Meter, riss es von der Rolle und legte es auf den Boden. Gleiches tat er ein zweites Mal. Nun versuchte er, achtzig Zentimeter abzuschätzen, und bildete mit den beiden vorigen Papierbahnen ein Rechteck mitten im Raum.

      »Fertig ist die Klopapierliege! Jetzt brauche ich noch einen Schreibtisch«, sprach er mit stolzem Gesichtsausdruck zu sich selbst.

      Es dauerte nicht lange und er hatte das notwendige Inventar seines neuen Arbeitsplatzes aus dem ›Endlos-Taschentuch‹, wie er selbst es stets zu nennen pflegte, geformt. Für die kleineren Gegenstände hatte er zwar nicht mehr genug Rollen verfügbar, aber ein Grundgerüst war möglich.

      Lustig sah es aus, zweifelsohne. Aber nun konnte er sich vorstellen, wie es sein würde, hier zu therapieren.

      Ein Klopfen an der Tür holte ihn zurück in die Gegenwart.

      »Schatz?«, hörte er die Stimme seiner Frau.

      »Komm einfach rein!«

      Stolz wie ein Spanier freute er sich darauf, seiner Frau die geniale Idee mit den auf dem Boden ausgelegten Toiletten­papiermöbeln zu zeigen. Doch als sie samt ihrer Boxerhündin Inara den Flur betrat, wehte der Durchzug – die Fenster waren gekippt – alles durcheinander. Er versuchte noch, wenigstens die ›Therapieliege‹ zu fixieren, doch scheiterte kläglich. Als Inara die Streifen aus Zellstoff fliegen sah, regte sich ihr Jagdtrieb. Sie machte einen Satz nach vorne und schnappte danach. Seine Frau hielt die Leine fest, rutschte aber auf einem Teil des ›Bürostuhls‹ aus und landete auf ihrem Allerwertesten. Innerhalb weniger Sekunden war die Arbeit einer halben Stunde zerstört. Mit offenen Mündern besahen sich beide das Unheil – seine Frau auf dem Boden sitzend und er regungslos inmitten des Chaos stehend. Inara zerfetzte derweil die Zellstoffreste und wedelte eifrig mit dem Schwanz.

      »Mei, das tut mir jetzt Leid, Schatzi«, entschuldigte er sich sofort und half seiner Frau beim Aufstehen. »Ich dachte, das mit dem Papier wäre eine gute Idee.«

      »Ja … war es aber nicht! Wo ist denn die Toilette? Ich muss sowieso mal.«

      »Gleich hier. Ganz neue sanitäre Anlagen. Wird dir gefallen.«

      Sie schloss die Tür hinter sich, während er begann, die Fetzen aufzusammeln. Plötzlich hörte er seine Frau: »Wieso ist denn hier kein Klopapier?«

      Tja, diesmal hatte er wohl doch nicht die beste Idee auf der Toilette …

      Alte Freunde

      Ein kleiner Umweg tat ihm gut. Der von seinem Schatz erteilte Auftrag, Semmeln und Brezen zu kaufen, hatte ihm den Fußmarsch durch das ›Glasscherbenviertel‹ Pfarrkirchens erspart, das sich leider zwischen seinem Haus und der neuen Betriebsstätte befand. Durch die Altstadt zu schlendern fühlte sich an wie eine Rückschau auf sein früheres Leben. Einige der Geschäfte, die sein damaliges Konsumverhalten geprägt hatten, existierten sogar noch: Der kleine Schreibwarenladen, in dem alljährlich die neuen Schulsachen gekauft wurden. Gab es etwas Schöneres, als einen neuen Malkasten? Oder der Buchladen, den jüngst ein alter Schulfreund übernommen hatte. Beinahe konnte er den Duft von Druckerschwärze riechen. Und die Bäckerei, die damals das allseits beliebte ›Zehnerl-Eis‹ führte. Mittlerweile müsste es allerdings ›Fünfundreißigerl-Eis‹ heißen. Wucher!

      Seine Stammbäckerei betretend, sog er zunächst mit geschlossenen Augen den Wohlgeruch frischer Back­waren ein. Zu diesen kulinarischen Genüssen gesellten sich optische Verzückungen, als er sich schließlich umsah. Mohnschnecke, Bienenstich und Croissant. Käsebreze, Pizzastangerl und Weltmeistersemmel. All diese wun­dervollen Meisterstücke althergebrachter Hand­werkskunst.

      »Was darf’s denn sein?«, fragte eine junge Bä­ckereifachverkäuferin.

      Als er seinen Mund zur Antwort öffnen wollte, lief ihm ein Schwall eigenen Speichels aus dem Mundwinkel, streifte sein Kinn und landete anschließend auf seinem Hemd. Schnell schluckte er, entschuldigte sich und wischte sich das Hemd mit dem Handrücken ab.

      Gott sei Dank befand sich niemand sonst in Hörweite.

      Hungrig einzukaufen schien keine gute Idee zu sein, insbesondere, da er seinen Speichelfluss noch nie so recht hatte kontrollieren können.

      Nachdem die nette Frau hinter dem Tresen die dritte große Papiertüte vollgepackt hatte, wurde ihm klar, dass er seit geraumer Zeit dabei war, das Missverhältnis zwischen ›Augengröße‹ und ›Magengröße‹ zu korrigieren. Bald würden die Augen nämlich nicht mehr größer sein als sein Bauch, wie es ihm seine Mutter als Kind immer vor­geworfen hatte, wenn er nicht aufessen konnte. Darin unterschied sich ein All-inclusive-Buffet von den Kochkünsten seiner Mutter. Bei ihr durfte er bis heute nicht selbst entscheiden, wann er satt war.

      Gerade als er bezahlen wollte, sah er den Bäckereihelfer im hinteren Teil des Verkaufsraumes ein Blech voller Brezenteiglinge salzen. Ob man dafür eine Ausbildung brauchte? Seit Jahren dachte er über die Frage nach, warum die Gesellschaft manche Berufe hoch, andere niedrig bewertete. Beispielsweise werden Manager horrend be­zahlt. Oder Fußballprofis. Männer, die einen Lederball in ein Netz treten können! Und die im Privatleben oft nur durch Skandale oder fehlende Manieren auffielen. Wohingegen Menschen, die andere pflegen, schlecht entlohnt werden. Oder Reinigungskräfte in Kliniken und Schulen. Deren Arbeit liefert einen in allerhöchstem Maß wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Und doch können sie von ihrem Gehalt kaum leben. Jüngst hatte er ein Interview mit einem Fußballer gelesen, der sich beklagte, zwei Spiele pro Woche zu bestreiten zu haben. »Beschweren kann er sich, wenn er mal vierzig Stunden im Schichtbetrieb spielen muss und dann nicht weiß, wie er seine Miete zusammenkratzen soll!«, hatte er damals wütend mit der Zeitung in der Hand gepoltert. »Irgendetwas stimmt heute ganz gewaltig nicht mehr«, war seine gedankliche Quintessenz. Oder eben der werte ›Brezensalzer‹, der seinen liebsten Backwaren gerade den letzten Schliff verpasste. Er selbst hatte vor einem Jahr beim Aufbacken tiefgefrorener Brezenteiglinge vergessen, diese mit dem dazugehörigen Salz zu versehen. Mit fatalen Folgen. Sie schmeckten einfach nicht. Gut, er war bei bayerischen Speisen wirklich empfindlich. Brezen waren neben Weißwürsten und Weißbier so etwas wie sein Grundnahrungsmittel. Eben deswegen schien ihm das Aufbacken und Perfektionieren von Lebensmitteln eine durchaus ehrenwerte und wichtige Berufstätigkeit. Doch die Menschheit im Allgemeinen teilte diese Haltung wohl nicht.

      Bei all diesen Gedanken fiel ihm auf, dass der Mann, der nun das Brezenblech in den Backofen schob, nicht einmal eine Uniform der Bäckerei erhalten hatte. Die Verkäuferinnen zierten einheitliche Textilien. Doch jener arme Tropf musste sich seine Arbeitskleidung wahrscheinlich auch noch selbst bezahlen.

      Als sich der Mann zu ihm umdrehte, erkannte er in ihm einen alten Schulfreund. Wieder einmal machte sich sein schlechtes Namensgedächtnis bemerkbar. Sepp, Xaver, Hans, Franzi? Damit könnte er neunzig Prozent eines baye­rischen Stammtisches abdecken, aber der richtige Name schien noch nicht dabei gewesen zu sein. Er versuchte es mit einem neutralen ortsüblichen Gruß: »Griasdi!«

      »Servus!«

      »Arbeitest du hier?« Nachdem er die Frage gestellt hatte, erschien sie ihm nicht sehr intelligent.

      »Ja, siehst du doch. Und du, was machst du so?« Er sprach hochdeutsch.

      »Ich mache gerade eine neue Praxis für Osteopathie auf. Hier in Pfarrkirchen«, antwortete er und ärgerte sich sofort darüber, dass er auch selbst immer ins Hoch­deutsche abrutschte, sobald er mit einem ›Preußen‹ sprach.

      »Ich orientiere mich gerade neu. Deshalb salze ich den ganzen Tag über Brezen.«

      Sein alter Freund schien sich dafür rechtfertigen zu wollen.

      »Eh cool, oder? Ich liebe Brezen.


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