Weltmeister! - Kann man davon leben???. Axel Beyer
stand für jeden deutlich erkennbar in meiner Schrift mein Name. M – a – r –c !!
Mein Name! - In meiner Schrift! - Auf Davids Arm! - Unter Palmen am Strand von Wasweißich!. Alter, das WAR Zauberei. Und während alle Zuschauer in Oberhausen noch jubelten und applaudierten, gab es einen erneuten Blitz und Knall, das Bild auf der Leinwand verschwand und dieser unglaubliche Zauberer David Copperfield stand wieder neben mir auf der Bühne.
Er wedelte sich lässig ein letztes bisschen Sand vom Ärmel, schüttelte auch etwas Sand aus den Haaren, krempelte den Ärmel wieder runter und verbeugte sich kurz zum Publikum. Und danach verbeugte sich sogar zu mir, signalisierte mir „Gimme Five“, wir klatschten uns ab und er ließ das Publikum noch einmal für mich klatschen. Dann begleitete er mich unter dem Jubel der Zuschauer zu meinem Platz. Und da saß ich nun wieder in der ersten Reihe - neben meiner strahlenden Mutter.
Uff!
Es war um mich geschehen.
Für einen kurzen Moment war die Welt zum Stillstand gekommen.
Wenn das kein magischer Moment war, dann würde es nie einen geben.
Meine Zukunft lag klar und deutlich vor mir und sie hatte … etwas absolut Magisches. Vergessen waren Raumfahrt und Rennwagen. Mir war eines vollkommen klar - ich werde Zauberer!
Und als Krönung holte mich das uns nun schon bekannte Teammitglied nach der Show erneut ab - ich hatte ihm natürlich längst vergeben, dass er mich so knallhart auf die Bühne geschoben hatte. Denn nun kam das heute Zweitschönste: Meine Mutter und ich durften nach der Show ins Allerheiligste: Backstage! David begrüßte mich dort wie einen alten Bekannten und ich bekam ein Autogramm von ihm - persönlich in mein Programmheft. Eine Originalunterschrift! Von David Copperfield! Oh, ich konnte den nächsten Schultag kaum erwarten, denn ich freute mich schon auf den Anblick von Neid im Gesicht meiner Klassenkameraden. Ein Autogramm von David Copperfield, das hatte nämlich sonst keiner. Gut, sie wussten wahrscheinlich ebenso wenig wie ich bis heute was für ein unglaublicher Zauberer er ist. Aber nun kannte ich ihn sogar persönlich! Und ich würde mal sein Kollege sein! Auch wenn er das natürlich – im Gegensatz zu mir - noch nicht wissen konnte.
Ja - ich hatte jetzt ein Autogramm, aber dennoch gab es einen Wermutstropfen. Dummerweise hatte vorab niemand daran denken können, dass ein Fotoapparat eventuell sinnvoll werden könnte. Und von Facebook oder Instagram als Multiplikatoren hat damals noch niemand etwas geahnt. Es gab deshalb kein Bild von David Copperfield und mir, obwohl ich darüber damals nicht nachgedacht habe und mir das in dem Moment ehrlich gesagt wohl auch herzlich egal war. Erst sehr viel später habe ich das oft bedauert. Sogar sehr oft!
Auf dem Heimweg im Auto saß ich - natürlich angeschnallt - auf dem Beifahrersitz. Dann konnte ich nicht mehr an mich halten, es sprudelte fast wie von selbst aus mir heraus: „Mama, wenn ich erwachsen bin, dann werde ich Zauberer.“ Meine Mutter sagte nichts, das rechne ich ihr noch heute hoch an. Sie lächelte nur und dachte sich wahrscheinlich „Hm, beides geht nicht! Aber schau ‘n wir mal“. Diesmal blieb ich hartnäckig bei meinem Berufswunsch und so schenkte sie mir später zu Weihnachten meinen ersten Zauberkasten. 30 Tricks - mit Beschreibungen zu Arbeiten mit Seilen, Tüchern und Karten. Fast wie bei David Copperfield. Ja, ich weiß, nur fast, aber ich war selig.
Allerdings nur für sehr kurze Zeit, denn die Anleitungen um diese Tricks zu lernen, die hatten es in sich. Kennst Du diese Gebrauchsanweisungen aus dem Internet, bei denen man immer denkt, dass ein philippinischer Callcenter - Mitarbeiter wohl wörtlich aus einem Lexikon des vergangenen Jahrhunderts übersetzt hat? So ähnlich kam mir das auch vor, denn die Hinweise waren für einen inzwischen 12jährigen teilweise echt kompliziert formuliert. „Lösen Sie die Schlaufen und dann machen Sie einen Knoten“ - äh wie bitte? Muss man nicht erst einen Knoten machen, den man dann lösen kann? Ich war häufiger echt verzweifelt, aber ich gab nicht auf.
Offensichtlich beeindruckte das meine Mutter durchaus, denn erneut bekam ich ihre Unterstützung und sie sorgte (meist) sehr geduldig dafür, dass ich die Anleitungen begriff und üben konnte. Und ich übte.
Und übte erneut. - Scheiterte.
Und übte weiter.
Ich weiß nicht ab welchem Zeitpunkt genau meine Mutter sich zum ersten Mal fragte, ob das mit dem Zauberkasten wirklich eine so gute Idee war, denn ich gestehe heute: Ich entwickelte mich zu einem Zauberterroristen. Keine Familienfeier war vor mir sicher. Jeder meiner Verwandten musste – da kannte ich kein Pardon - immer wieder Karten ziehen, gegen Seile pusten oder Zaubersalz auf Tücher streuen. Und natürlich pflichtschuldigt begeistert sein, wenn der Trick dann gelang. Was keineswegs immer der Fall war. Aber: meine Fehlschläge wurden weniger. Das mussten sogar meine genervten Verwandten zugeben.
Schließlich - etwas mehr als ein Jahr und sehr viele Familienfeiern später, mit 13 Jahren - stand ich das erste Mal wieder vor echtem und mit mir nicht verwandtem Publikum. Nicht zu vergleichen mit der Arena in Oberhausen, nein „nur“ auf den sogenannten „Offenen Bühnen“, wo jeder mitmachen konnte, der das Publikum unterhalten wollte. Ich wollte – unbedingt! Und tatsächlich - ich unterhielt. Die Auftritte im heimischen Wohnzimmer hatten sich ausgezahlt. Dazu kam Hilfe von unerwarteter Seite: bei uns in der Nähe wohnte Mario Schulte, auch ein Zauberer. Er hörte von mir, dem kleinen ehrgeizigen Jungen und half mir, übte mit mir und unterstützte mich bei meiner Vorführung.
Klar, könntest Du jetzt sagen, Kinder und junge Hunde, das zieht doch immer! Na und? Alter, ich war zwar erst 13, aber ich war Dank meiner unermüdlichen Tanten und Onkeln und vor allem dank Marios Hilfe definitiv auch nicht schlecht. So viel Zeit muss sein!
Alle um mich herum mussten nun langsam, ob sie wollten oder nicht, akzeptieren, dass es mir mit der Zauberei wirklich ernst war und ich bin froh und dankbar, dass ich echt auf die Unterstützung durch meine Familie zählen konnte. Wirklich, ich danke euch! Ich weiß nicht, ob meine Mutter vielleicht eher damit die Chance auf endlich zauberlose Familienfeiern sah – jedenfalls wies sie mich auf alle nur denkbaren Auftrittsmöglichkeiten hin, die sie in der Zeitung entdeckte. Und sie spielte sogar freiwillig die Chauffeurin, denn irgendwie musste ich ja dorthin und auch wieder zurückkommen. Aber so war ich jedenfalls beschäftigt und ließ die Verwandtschaft in Ruhe.
Auf diese Art kam ich auch zum Wettbewerb „Im Rampenlicht“ des Theaters in Hagen. Mega! Mein erster echter Wettbewerb! So richtig um einen Preis und nicht nur allein um Applaus. Klar, um den auch, aber ich wollte nicht nur gut sein und beklatscht werden, ich wollte gewinnen. - Gut, zugegeben, das wollten die anderen auch und immerhin tummelte sich an dem Tag die ganze Bandbreite des Varietés dort - Tänzer, Akrobaten, Sängerinnen. Und eben jetzt auch ich.
Was soll ich sagen - aus irgendwelchen Gründen mochte die Jury meinen Auftritt und sie sprach mir den „Förderpreis des Theaters Hagen“ zu. Mein erster, eigener Preis! Dem übrigens irgendwann schon weitere folgen sollten, aber das ist ein eigenes Kapitel, bzw. wird ein eigenes Kapitel hier werden. Aber mit dem Preis kam die öffentliche Aufmerksamkeit und das hatte Folgen - es gab erste Zeitungsartikel, der WDR berichtete (zwar nur lokal, aber immerhin), es folgten erste, richtige Angebote für Auftritte, und obwohl ich erst 14 Jahre alt war, galt ich schon bald als „alter Hase“, der aber Tricks ohne Hasen im Zylinder machte. Und dabei übrigens ist es bis heute geblieben - ich zaubere lieber mit Alltagsgegenständen. Und wenn Du willst, kannst Du nachher den einen oder anderen Trick selbst ausprobieren. Doch auch dazu später.
Ich legte mir einen Künstlernamen zu und nannte mich „Magic Kid“. Ja, es hatte mich echt erwischt und ich hatte enormen Spaß am Zaubern und am Umgang mit dem Publikum. Und zu meiner großen Überraschung hatte das Publikum auch seinen Spaß an meinen Tricks - und an mir. Und ich zauberte überall, wo man mich wollte – auf Stadtfesten, auf Jubiläen und auch beim Frühlingsfest vom Bund der Vertriebenen, wie man hier an diesem Zeitungsartikel sieht.
Quelle: Westfälische Rundschau, 2006
Aber natürlich holte mich immer wieder der Alltag