Die Legende vom Hermunduren. G. K. Grasse

Die Legende vom Hermunduren - G. K. Grasse


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an und die zuvor aufgebaute Spannung entwich, als wäre sie bedeutungslos geworden.

      „Nun habt ihr euch ausreichend verständigt? Es gibt weit wichtigere Erkenntnisse, als das, was wir bisher hörten… Viator, kannst du die Beiden…“ Aulus deutete auf Simo und den Chatten „… für die Nacht unterbringen?“

      Viator schob seinen Hocker zurück und winkte den Bezeichneten. Er brachte sie in die kleine Hütte am Hof und zeigte ihnen das hintere Zimmer.

      „Höre mal, Chatte!“ sprach er den Jüngeren an. „Du solltest dein Glück schätzen… Irvin ist ein kluger und ein starker Mann. Ich kämpfte selbst schon zweimal gegen ihn… Den ersten Kampf konnten wir wegen der unglücklichen Umstände nicht zu Ende führen… Den Zweiten unterbrach Gerwin, als wir uns fast töteten… Jetzt siehst du ihn an meiner Seite… und ich, ein Römer, bin glücklich über den Freund…“

      „Ihr seid schon, so scheint mir, ein merkwürdiger Haufen… Römer, Hermunduren, Sugambrer…“

      „… Chatten, Kelten, Aresaken, Vangionen… Habe ich etwas vergessen?“ vollendete Viator des jungen Chatten Aufzählung. „Es ist nicht wichtig, woher du kommst, sondern wohin du gehst, Chatte! Darüber denke nach, wenn du deinen Bruder wieder umarmst und du wirst ihn umarmen, wenn er seine Prüfung besteht…“

      „Hier könnt ihr Schlafen!“ fügte er nach einer kurzen Pause an und zog die Tür zu. Eine einzelne brennende Kerze erhellte den dürftigen Raum mit der Lagerstadt.

      Der Chatte wandte sich dem Sugambrer zu.

      „Du scheinst diese Kerle besser zu kennen…“

      „… zumindest so gut, dass ich mich nie in deren Weg stellen würde…“

      Für einen Moment zögerte der Sugambrer. „Ich war in der aussichtlosen Lage, meinen Arm mit der Spatha nicht mehr heben zu können, als ich Gerwin vor mir sah. Er sagte: ‚Gib auf, Auxiliar! Du kannst nicht gewinnen!’ Bei diesem Zusammentreffen war er mein Feind. Ich gab auf… Dafür sah ich ihn dann in einem Kampf, wie ich ihn noch nie zuvor erlebte… Er war für einen römischen Tribun einfach zu schnell…“

      „Du schuldest diesem Gerwin deinen Dank?“

      „… und mein Leben in mehrfacher Form, einmal weil er mich damals schonte und zum Anderen halte ich jetzt ein Dokument in der Hand, dass mich zu einem glücklichen Mann macht…“

      Der Sugambrer entkleidete sich ein wenig, zog seine Stiefel aus und streckte sich auf dem Lager aus.

      Der Chatte schien diese Geste zu verstehen. Er folgte dem Vorbild.

      Inzwischen saß Viator wieder auf seinem Hocker.

      Die Verlorenen und deren frühere Feinde, die Hermunduren, waren unter sich.

      „Was sollte ich noch wissen?“ begann Gerwin, als wieder ihm das Sprechen zu fiel.

      „Ich war wütend auf dich und Notker!“ begann Irvin.

      „Warum?“ fragte Gerwin leise.

      „Du gabst mir einen Auftrag, der mir widerstrebte und Notker verließ mich, wo ich ihn brauchte…“

      „Und?“ Gerwins Frage besaß keine Billigung der Wut.

      „Erst ging ich zu Baldur Rotbart, dessen Rat schien mir wenig glücklich… Ratmars Gedanke brachte mir mehr… Dann suchte ich Degenar auf. Dessen Ratschlag verstand ich und wusste ihn auszunutzen.“

      „Du hast dich mit Gaidemar angelegt?“ Gerwin stellte es einfach fest.

      „Woher weißt du?“ Irvin wirkte irritiert.

      „Du wirkst entspannt, glücklich, selbstzufrieden…“

      „Bin ich das?“ Irvin blickte an sich hinab. „Ich sehe davon nichts…“

      „Doch, doch… Du bist nicht mehr der Jungkrieger der Hermunduren… Du bist Irvin, der Krieger!“

      „Woran erkennst du das?“ brauste Irvin auf.

      „An dir! Du wirkst ganz anders! Der Streit mit Gaidemar stärkte dich und hob dich aus seiner Hörigkeit… Ich habe das auch durchgemacht. Nur mir stand Gaidemar dabei nicht gegenüber, so wie dir…“

      „Er hat Gaidemar seine Stellung in unserem Stamm zugewiesen… Wir kennen nur den Herzog des Krieges und sonst jeder seinen Eldermann oder Hunno…“ warf Notker ein.

      „Du hast was… du hast seine Macht gebrochen?“ Jetzt lag das Erstaunen auf Gerwins Seite.

      „Ja! Aber nicht allein!“ Irvin zog sich in Bescheidenheit zurück.

      „Ehre, wem Ehre gebührt! Nicht du, Gerwin, bezwangst Gaidemar, sondern Irvin!“ verkündete Notker und grinste in die Runde. Er fühlte in sich Stolz auf Irvin.

      „Ich höre und glaube! Wer führt unseren Stamm jetzt?“ Gerwin platzte vor Neugier.

      „Ein Rat der Ältesten mit drei Männern…“ warf Irvin ein.

      „Du warst dabei? Wer sind diese Männer?“ Gerwin wollte es ganz genau wissen.

      „Ich war nicht dabei!“ wies Irvin ihn ab. „Sie wählten den Gefolgschaftsführer, wer auch immer das ist…, also Richwin, dann Gaidemar und zuletzt Brandolf…“

      Gerwin nickte. „Also hat sich nichts geändert…“ folgerte der junge Hermundure.

      „Das wird sich zeigen…“ mutmaßte Aulus. „Dein Pate steckte noch andere Nackenschläge ein… Er ist inzwischen bescheidener geworden…“

      Gerwin wandte seine Aufmerksamkeit Aulus zu.

      „Es begann wohl mit Richwin, der Gaidemar angriff, was zu dessen Verschwinden führte… Ich erfuhr hiervon von seinem Weib. Als er zurückkehrte, gingen die Ältesten. Er wirkte verändert, sagte Ragna. Er gestand den Ältesten zu, nur noch Eldermann und Hunno seiner Sippe zu sein…“ Aulus besann sich.

      „Dann war da noch der Zwist zwischen Irvin und Notker. Der Eine ging, um in deiner Nähe zu sein und der Andere fühlte sich im Stich gelassen… “

      „…im Stich gelassen…“ echote Gerwin.

      „Wie sagte mir Irvin, er erhielt von einem Freund voller Zorn einen Auftrag, den ihm der andere Freund im Zorn danken könnte… Das Versprechen zu erfüllen und die Freundschaft zu erhalten, war unmöglich. Aber auch Notkers Auftritt war sehr wirkungsvoll und ihm gelang, was allen unmöglich erschien…“

      „Du spannst mich auf die Folter…“

      „Notker zwang Gaidemar zum Kniefall!“

      Mit einem Ruck stand Gerwin. „Vor wem?“ fragte er überwältigt.

      „Vor Irvin, vor Notker und dir!

      Dieser Abend wurde noch sehr lang, weil weitere Einzelheiten herumgereicht wurden, sich verdichteten und letztlich zu Erkenntnissen führten, die in Gerwins Kopf eine Fülle von Empfindungen aufbauten.

      Aber nicht nur im Inneren des jungen Hermunduren vollzog sich ein Prozess, der Freundschaften aufwertete, Feindschaften besser erkannte und wusste, wie er mit Jedermann fortan umgehen musste.

      Gerwin reifte durch das Hören.

      Fühlte er sich in der Vergangenheit manches Mal auch allein gelassen, erkannte er jetzt, dass jede Handlung eines Freundes immer auch den Umständen Rechnung trug, die auf Verhaltensweisen, Worte oder gar Versprechen wirkten.

      Nicht immer erschlossen sich ihm Handlungen der Freunde. Bezog er aber jetzt weitere Umstände mit ein, klärte sich manches verzerrt erscheinende Bild. Die Erkenntnis zur wahren Freundschaft, zur Aufgabe des eigenen Ich, wenn der Schutz des Freundes dies abforderte, hallte nicht nur in Gerwin wieder.

      Das gleiche Gefühl durchzog auch seine Freunde und in dem auch Aulus mit seiner Vergangenheit abschloss, Irvin seinen Zorn auf Gaidemar abmilderte und Notker zur absoluten


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