10 Urlaubskrimis Juli 2020 - Thriller Hochspannung. Alfred Bekker
Zimmer war nichts Besonderes. Ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, ein Kleiderschrank und ein klobiger Drehsessel aus Leder, von dem Dennister den Eindruck hatte, dass der Hotelbesitzer nur nicht den Mut gehabt hatte, ihn auf den Müll zu werden.
Der Sessel drehte sich.
Ein Mann saß darin. In der Rechten hielt er eine Automatik mit Schalldämpfer, deren Lauf auf Dennisters Bauch zielte. Ein kaltes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er schlug die Beine übereinander. Die Lederstiefel passten exakt zu seiner Jacke.
Dennister erstarrte zur Salzsäule.
Im ersten Moment hatte er nach seiner Dienstwaffe greifen wollen, aber er hielt sich zurück.
Seine Chance lag bei null.
Dennister schluckte. „Was wollen Sie?“
Der Mann in Leder grinste schief.
„Erst eine kleine Unterhaltung, Agent Dennister. Wie unangenehm die wird, liegt ganz bei Ihnen... Und anschließend lege ich Sie schlafen. Deswegen sind Sie doch ohnehin hier, oder?“
18
Am nächsten Morgen fanden wir uns pünktlich zur Besprechung in Mr McKees Büro ein. Nur Milton Dennister war nicht anwesend. Mr McKee begann nach anfänglichem Zögern die Besprechung ohne den Spezialisten aus Washington.
Zunächst referierte unser Kollege Nat Norton über Vladimir Bykovs wirtschaftliche Verflechtungen. „In der Wohnung wurden ja keinerlei Kontoauszüge oder dergleichen gefunden“, sagte unser Experte für Betriebswirtschaft, dessen Spezialität das Aufspüren verborgener Geldströme war. „Ich hatte also wenige Anhaltspunkte, um überhaupt etwas über Bykovs wirtschaftliche Verhältnisse herauszufinden. In Zusammenarbeit mit der Steuerbehörde habe ich immerhin die Geschäftskonten der Galerie und die wichtigsten Privatkonten überprüfen können.“
„Mit welchem Ergebnis`?“, hakte Mr McKee nach.
„Seit Bykovs Ermordung – oder seinem Verschwinden, ganz wie man will – wurde auf die Konten nicht mehr zugegriffen.“
„Das würde ja die Mordthese unterstreichen“, ergänzte Clive.
Nat nickte. „Das Interessante sind die Zahlungen, die innerhalb der letzten Jahre von diesen Konten abgingen. Bykov stand mit einer Reihe von Briefkastenfirmen in Liechtenstein und auf den Cayman-Islands in Verbindung, die als Tarnfirmen der Kunstmafia gelten. Außerdem hatte er sehr starke Verbindungen nach St. Petersburg. Aber gegenwärtig komme ich da noch nicht weiter.“
„Es gibt dafür etwas Neues aus den Labors“, berichtete Max Carter. „Was den Blutfleck in Bykovs Galerie angeht, sind wir inzwischen sicher, dass derjenige, dem dieses Blut gehörte, erschossen wurde. Die Blutreste in dem Loch, das vermutlich von einem Projektil in die Wand gestanzt wurde, sind mit der DNA des Blutflecks identisch. Außerdem haben wir Schmauchspuren gefunden und wissen ziemlich genau, wo der Täter stand.“ Max projizierte einen Grundriss der Galerie mit dem Beamer seines Laptops an die Wand. Die ermittelte Position des Schützen war markiert worden. „Das Opfer wurde aus nächster Nähe erschossen. Der Treffer ging durch den Kopf. Es wurden in dem Einschussloch nämlich geringfügige Spuren von Hirnmasse gesichert. Leider haben wir weder eine Kugel noch eine Leiche und genau genommen können wir daher noch immer nicht sicher sein, ob es wirklich Bykov war, der getötet wurde. Schließlich haben wir kein genetisches Vergleichsmaterial.“ Max deutete auf einen bestimmten Punkt auf den Grundriss, der besonders gekennzeichnet war. „Hier war die Blutlache. Die Kollegen gehen davon aus, dass dort der Kopf des Toten eine Weile gelegen hat. Und zwar auf der Seite. Dadurch haben wir einen vollständigen Ohrabdruck.“
„Zu dem uns aber auch der Vergleich fehlt!“, schloss Mr McKee.
Max nickte. „Leider.“
„Was ist mit Fingerabdrücken?“, fragte ich. „Schließlich müssten Bykov bei der Einbürgerung Fingerabdrücke abgenommen wurden sein und wenn der Tote mit der Hand auf den Boden kam...“
„Es gibt tatsächlich Fingerabdrücke, aber die sind leider verschmiert“, erklärte Max. „Wir haben sie trotzdem mit Bykovs gespeicherten Fingerabdrücken verglichen und drei Übereinstimmungen gefunden. Der niedrigste Standard für eine sichere Identifizierung sind sechs Übereinstimmungen, manche Gutachter sind da aber durchaus auch noch anspruchsvoller.“
„Ich dachte immer, Fingerabdruck ist gleich Fingerabdruck!“, warf unser Kollege Jay Kronburg ein.
Ich zog ein Fazit. „Mit anderen Worten, es könnte Bykov sein – muss aber nicht.“
„So ist es“, nickte Max. „Wir suchen jetzt nach Verwandten, mit deren DNA wir das Blut aus der Galerie vergleichen könnten. Seine Schwester lebt ebenfalls in den Vereinigten Staaten. Nur weiß niemand, wo sie gegenwärtig steckt.“
„Das wir sich ja wohl herausfinden lassen“, meinte Clive.
„Der Tathergang lässt sich nach bisherigem Erkenntnisstand so rekonstruieren: Jemand klingelt Bykov in aller Frühe aus dem Bett. Bykov öffnet diesem Mister X. Wahrscheinlich, weil er ihn kennt und nicht als Gefahr einschätzt. Alarmanlage und Videoüberwachung sind noch ausgeschaltet. Bykov wird dazu gezwungen, in der Wohnung und in der Galerie die Safes zu öffnen. Unten in der Galerie versucht er sich zu wehren und wird erschossen. Vielleicht hatte der Killer auch von Anfang an vor, Bykov umzubringen. Auf jeden Fall scheint der Abtransport von größeren Gegenständen geplant gewesen zu sein, sonst hätte nicht wenig später ein Transporter vor der Tür gehalten, in den dann alles hinein geladen wurde, was dem Killer und seinen Komplizen wichtig erschien – einschließlich der Leiche.“
„Ich wette, dass neben einer ganzen Menge Beweismaterial auch die Kisten mit den Ikonen dabei waren, die in Bykovs Wohnung ja nicht aufgefunden werden konnten“, schloss Clive. „Aber irgendetwas muss die Täter dann bei ihrer Aufräumaktion gestört haben, sonst hätten sie diese so sauber zu Ende geführt wie sie alles andere beendet haben!“
„Und wenn sie wollten, dass wir den Blutfleck finden?“, fragte ich. Ich zuckte mit den Schultern. „War nur so ein Gedanke.“
„Sie meinen Bykov hat seinen Tod inszenieren wollen?“, fragte Mr McKee.
Niemand schien diesen Gedanken besonders weiterführend zu finden, denn keiner der anwesenden G-men ging darauf ein.
Mir war klar, dass ich den Stein der Weisen selbst noch nicht gefunden hatte – aber mein Instinkt sagte mir, das mit der Rekonstruktion des Tathergangs, wie Max sie uns vorgetragen hatte, irgendetwas nicht stimmte.
Ich wusste nur nicht, was mich so daran störte.
Mr McKee ergriff das Wort. „Ehe ich es vergesse, dieser Marenkov wird heute gegen zehn bei uns hier im Field Office eintreffen“, sagte er. „Ich dachte mir, dass Sie ihn vielleicht etwas unter Ihre Fittiche nehmen, Jesse. Ich bin überzeugt davon, dass Sie und Milo gut mit ihm zusammenarbeiten. Übrigens erwartet Washington das auch von uns. Man beobachtet das ganze auf höchster Ebene mit Argusaugen.“
„Ja, Sir“, nickte ich.
„Aber was hat dieses geplatzte Treffen gestern mit Dennister zu bedeuten?“, hakte Milo nach.
„Das habe ich ihn bei dem Telefonat, das wir heute morgen führten, auch gefragt“, berichtete unser Chef. „Es stellte sich heraus, dass Marenkov bereits vor drei Tagen unter anderem Namen in New