Fabelmacht Bundle. Kathrin Lange

Fabelmacht Bundle - Kathrin Lange


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sprühender, bunter. Allein der Verkehr war der helle Wahnsinn.

      Auf einem Markt hatte Mila den intensiven Duft von frischer Minze, Früchten und Fisch in sich aufgesogen und sich bei einem der Händler ein klebriges Stück Baklava gekauft, nach dessen Genuss sie sich in einem öffentlichen Brunnen die Hände waschen musste. In einer Gasse im Quartier Marais am nördlichen Ufer der Seine hatte sie einem Pianisten gelauscht, der sein bunt angemaltes Klavier einfach auf die Straße gestellt hatte und dort seine Etüden spielte.

      Und jetzt stand sie hier, ganz in der Nähe des Kulturzentrums Centre Pompidou vor dieser kleinen Chocolaterie, betrachtete dieses alte Lieferdreirad und verspürte dabei zum ersten Mal an diesem Tag den Drang zu schreiben.

      Sie ignorierte ihn jedoch.

      Stattdessen ging sie in die öffentliche Bibliothek im Centre Pompidou, aber all die Bücher faszinierten sie aus irgendeinem Grund heute nicht so sehr wie sonst, sondern jagten ihr eher ein unbestimmtes Unbehagen ein. Also verließ sie die Bibliothek wieder, setzte sich in eine Eisdiele und genoss die Sonne auf ihrem Gesicht.

      Die Ereignisse von gestern kamen ihr an diesem Ort fern vor. Hier war es leicht, sich die Erinnerungen vom Hals zu halten, einfach nicht mehr daran zu denken und alles als absurden Zufall abzutun.

      Sie beobachtete eine Frau in einem eleganten Kostüm, die einen winzigen Hund hinter sich herführte. Das Tier sah aus wie eine fuchsrote Pelzkugel in Miniaturformat. Nur die Ohrspitzen, eine feuchte schwarze Nase und winzige Pfoten schauten aus dem flauschigen Fell hervor.

      Eine Kellnerin brachte Mila einen Milchkaffee und ein kleines Eis, das sie bestellt hatte. Mila dankte der jungen Frau und beobachtete den Hund dabei, wie er mitten auf den Bürgersteig pinkelte.

      Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

      Paris fühlte sich warm und sonnig an. Und sonderbar vertraut. Sie war hier geboren, wurde ihr plötzlich bewusst. Und es kam ihr mit einem Mal so vor, als würde sie hierhergehören.

      Sie trank einen Schluck von dem Kaffee. Das Eis schmeckte intensiv nach Brombeeren, ein Geschmack, der auf ihrer Zunge prickelte.

      Was für ein merkwürdiges Gefühl zu wissen, in ihrer Geburtsstadt zu sein und doch als Fremde zu kommen. Sie fragte sich, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn Helena damals in Paris geblieben wäre.

      Ihre Mutter hatte die Stadt und Frankreich gleich nach Milas Geburt verlassen. Grund dafür waren die Ereignisse um ihren Vater und ihren Bruder gewesen, die kurz vorher ums Leben gekommen waren.

      Das waren die nackten Fakten, die wenigen, von denen Mila wusste und die sich tatsächlich in diesen zwei Sätzen zusammenfassen ließen. Mehr hatte Helena ihr nie darüber erzählt. Mila kannte die genaueren Umstände des Todes nicht, sie hatte keine Fotos, sie wusste nicht mal, wie ihr eigener Vater und Bruder vom Wesen her gewesen waren. Und auch über Paris konnte ihre Mutter nach all den Jahren nicht sprechen.

      Eine Weile lang hatte Mila Helenas Bücher gelesen, um dem Grund dafür auf die Spur zu kommen, aber die Geschichten darin waren so rätselhaft und unergründlich, dass sie das keinen einzigen Schritt weitergebracht hatte. Egal, was auch immer sie versucht hatte, dieses eine Rätsel hatte sie nie lösen können: Was war damals so Furchtbares passiert, dass Helena noch heute, siebzehn Jahre später, förmlich hysterisch wurde, wenn auch nur der Name Paris fiel?

      Mila dachte daran, was sie Isabelle gestern anvertraut hatte. Der Streit mit ihrer Mutter saß ihr tief in den Knochen. Es kam ihr vor, als wäre er Wochen her, dabei waren es erst zwei Tage.

      Sie war mit ein paar Freundinnen vom Shoppen nach Hause gekommen, voller guter Laune und in ausgelassener Stimmung, weil die Sommerferien angefangen hatten und ganze sechs Wochen freie Zeit vor ihr lagen. Aber dann, als sie die Tür zu ihrem Zimmer aufgemacht hatte, das schon immer ihr ganz eigenes Reich gewesen war, hatte sie ihre Mutter auf ihrem Bett sitzend vorgefunden. Und schlimmer noch. Helena hielt eines von Milas vollgeschriebenen Notizbüchern in der Hand. Schuldbewusst sah sie aus, doch da war auch ein Ausdruck in ihren Augen, den Mila nicht richtig deuten konnte. Irgendwie irre sah er aus. Wahnsinnig. Durchgeknallt. Was gab es noch für Wörter dafür?

      »Dein Vater«, stieß ihre Mutter hervor. »Seit wann schreibst du über ihn?«

      Der Vertrauensbruch fühlte sich so unfassbar fies an, dass Mila ihre Umhängetasche von ihrer Schulter rutschen und einfach auf den Boden fallen ließ. Mit langen Schritten marschierte sie zu ihrer Mutter hinüber. Riss ihr das Buch aus der Hand.

      »Das geht dich gar nichts an!«, schrie sie.

      Helena legte die Stirn in Falten. Allein diese Geste machte Mila rasend, weil sie so beherrscht wirkte.

      »Wieso liest du mein Tagebuch?« Das letzte Wort überschlug sich schmerzhaft in Milas Kehle.

      Immerhin hatte ihre Mutter genug Anstand, betroffen auszusehen. »Ich wusste nicht, dass es dein Tagebuch ist«, verteidigte sie sich. »Ich dachte, es ist nur ein gewöhnliches Notizbuch.«

      Mila glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Selbst wenn das stimmen sollte, hatte ihre Mutter trotzdem kein Recht, einfach so ihre Sachen zu lesen. Sie entriss ihr das Buch und pfefferte es in eine ihrer abschließbaren Schreibtischschubladen. »Schwachsinn!«

      Helena stand auf. »Was soll das denn heißen?«

      Mila ballte die Hände zu Fäusten. Irgendetwas in ihr wollte ihrer Mutter wehtun. Auch wenn sie gleichzeitig wusste, wie falsch das war. »Das soll heißen«, zischte sie, »dass dein ewiger Kontrollzwang mir so was von auf den Geist geht! Du klebst an mir wie eine Klette, nein, schlimmer noch, als wäre ich dein Eigentum.«

      »Ich mache mir doch nur Sorgen um dich!«, sagte ihre Mutter.

      »Und deswegen wühlst du in meinen Sachen? Ich bin siebzehn Jahre und alt genug, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich kann auf mich selbst aufpassen.« Mila hielt inne, aber dann entschied sie sich, ihre schärfste Waffe zu benutzen. Die Worte, die ihre Mutter am meisten verletzten. »Ich bin nicht Papa«, sagte sie kalt. »Und ich bin auch nicht Antoine!«

      Ihre Mutter erstarrte, als hätte sie ihr eine Ohrfeige gegeben.

      »Das ist … nicht fair, Mila!«

      Mila wusste, dass sie recht hatte. Ihrer Mutter in einem solchen Streit den Namen ihres toten Bruders an den Kopf zu knallen, war wirklich fies und sie hatte auch ein schlechtes Gewissen deswegen. Aber in ihrer Wut fegte sie es einfach beiseite. »Nicht fair?«, schrie sie. »Nicht fair ist, dass du mir nie erzählst, wie Papa und Antoine gestorben sind! Nicht fair ist, dass ich nicht mal weiß, wo ihr Grab ist! Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, dass das vielleicht der Grund ist, warum ich über die beiden schreibe? Weil ich nichts, rein gar nichts über sie weiß?«

      Ihre Mutter hob ihr beide Hände entgegen. »Ich möchte mit dir nicht streiten. Schon gar nicht über dieses Thema, Émilie!«

      »Nenn mich nicht so!«, fauchte Mila. Mittlerweile stand sie ihrer Mutter gegenüber wie eine tollwütige Straßenkatze.

      »Hör zu …« Helena ließ die Hände sinken. »Lass mich ausreden! Diese Geschichten, die du schreibst, über Papa und … über diesen Jungen …«

      … sind meine Geschichten, hatte Mila an dieser Stelle gedacht. Und sie haben mit dir nicht das Geringste zu tun. Sie hatte begonnen, ein paar Klamotten in einen Rucksack zu werfen, aber da hatte sie noch nicht gewusst, dass sie am nächsten Abend in Paris bei Isabelle sein würde.

      Die Frau mit dem Minihund, die kurz zuvor in einer Parfümerie verschwunden war, kam wieder heraus. Der kleine Hund hüpfte an ihrem Bein in die Höhe wie ein Flummi. Sie beugte sich zu ihm hinunter, kraulte ihn hinter einem seiner Ohren. Das winzige Tier verschwand dabei fast in ihrer Hand.

      Mila beschloss weiterzugehen. Sie bezahlte ihren Milchkaffee und das Eis. Auf ihrer Zunge lag noch der Geschmack von Brombeeren, als sie aufstand und ihren Streifzug durch die Stadt fortsetzte.

      Irgendwann, mittlerweile war es Nachmittag, kam sie im Pariser Studentenviertel nahe dem Platz St. Michel an. Hier kaufte sie bei


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