Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis. Meinhard-Wilhelm Schulz
da riss er sich zusammen und sagte, übertrieben kurz angebunden und seltsam trocken, ganz so, als trüge sie ein strenges Schneiderkostüm:
»Buon giorno, signora, das da ist Doktor Sergiu Petrescu. Ich bin Giovanni Tartini, der Detektiv. Wir müssen Ihren Mann sprechen, und das unbedingt. Es ist keine Zeit zu verlieren. Doch zuvor könnten Sie uns die Ehre erweisen zu sagen, mit welchem Namen wir Sie anzureden haben, donna.«
»Contessa Cornelia heiße ich«, flötete sie atemlos, »und stamme aus einer Nebenlinie des alten Adelshauses der Malatesta aus Rimini, aber ich bin nicht das, was ihr euch vorstellt. Ich will gar nicht erst um den heißen Brei herum reden und euch nichts vormachen. Einem Volpe etwas vorzumachen, ist sinnlos:
Ich bin neununddreißig Jahre alt und war einst zu eitel, zu wählerisch. In besseren Jahren sind mir daher die Heiratskandidaten abhanden gekommen, einer nach dem anderen. In einige von ihnen war ich verliebt, aber sobald sie mich das erste Mal nackend gesehen hatten, nannten sie mich eine Androgyne (‚Mannweib‘) und suchten das Weite.
Dies trieb mich an den Rand des Wahnsinns. Ich wollte mich bereits umbringen. Doch dann habe ich Raimondo kennen gelernt und geheiratet, einen Mann, dem das, was andere abstößt, gar nichts ausmacht. Es war vor nunmehr fünf Jahren, und damit ihr endlich begreift, dass es bei mir nichts, wirklich nichts zu sehen gibt und ihr endlich das Gaffen bleiben lasst …«
Scheinbar wütend blitzte uns Cornelia an, ließ die Arme sinken, eine Weile baumeln, stemmte sie dann lässig in die Hüften und sah uns herausfordern an.
Den unter tausend glitzernden Wassertröpfchen schimmernden Körper bog sie dabei wie eine geschmeidige Schlange, so dass die rechte Hüfte höher als die linke und im Gegentakt die linke Schulter höher als die rechte empor ragte. Währenddessen kam sie auf dem linken Fuß zum Stehen. Den rechten setzte sie nur mit den Zehenspitzen auf. In dieser Haltung sah sie uns trotzig aus ihren hellgrünen Augen an und zeigte dabei zwischen aufgeworfenen Lippen eine Reihe makelloser Zähne:
Welch ein göttlicher Anblick! Gerade weil es in gewisser Hinsicht bei ihr überhaupt nichts zu sehen gab, war Himmlisches zu sehen. Ich war hingerissen von so viel Schönheit. Vor mir stand nämlich, das Gesicht inzwischen purpurrot überflutet, eine Frau mit dem Oberkörper eines männlichen Athleten.
Wir schwiegen betroffen. Wir staunten. War das wirklich eine Frau oder doch nur ein Mann mit weiblichen Zügen? Unwillkürlich dachte ich an die Sagengestalt des ‚Hermaphroditos‘, der im Oberkörper wie eine Frau aussieht, aber den Unterleib eines Mannes vorweist. Contessa Cornelia, genau umgekehrt gestaltet, erriet meine Gedanken, lächelte giftig und fauchte:
»Muss ich erst das Handtuch fallen lassen, damit ihr mir endlich glaubt, dass ich eine Frau bin?«
»Da sei Gott vor!«, sagte ich, während mein Volpe erschrocken schwieg. Er versteht sich eben nicht auf das Weib. Im Versuch, charmant zu sein, sagte ich an seiner Stelle:
»Dennoch sei mir die Bemerkung gestattet, dass Sie eine unvergleichlich schöne Gestalt besitzen. Doch wir sind nicht gekommen, Ihnen die Bewunderung, welche Sie mit Fug und Recht verdienen, zu schenken, sondern um einen Kriminalfall aufzuklären. Darum wollten wir eigentlich den Conte sprechen, aber der schläft ja noch. Vielleicht könnten Sie uns an seiner Stelle einige Fragen beantworten?«
Sie nickte und sagte, »am besten gehen wir dazu nach drüben ins Arbeitszimmer«, schlenkerte die Flipflops beiseite und tänzelte auf den Zehenspitzen und mit winzigem, wiegendem Gesäß vor uns her, hinein in ein freundliches Zimmer, in dem sich einige mit Kissen gepolsterte Korbsessel um einen runden dreibeinigen Tisch aus dunkel gebeiztem Pinienholz gruppierten.
Wir nahmen Platz. Sie wickelte sich jetzt bis auf die Höhe der Achselhöhlen in ein Badetuch, das ihr die schwarze Zofe gebracht hatte, setzte sich, wischte sich die feuchten Haare aus dem Gesicht und sah grünlich schillernd zu uns herüber. Volpe hatte sich wieder im Griff und nahm das Wort:
»Ihr Mann schläft also noch, Contessa. Hat er die Gewohnheit, immer um diese Zeit zu schlafen?«
Sie errötete ein wenig. Ihre Lippen bebten:
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Nun, gewiss ist er spät in der Nacht oder erst am frühesten Morgen nach Hause gekommen, oder?«
Sie lächelte versonnen, kuschelte sich in das Badetuch und räkelte sich wie das berühmte Kätzchen, die aus Marmor gemeißelten Arme in die Höhe streckend und herzhaft gähnend, ohne sich eine Hand vor den Mund zu halten, einfach süß:
»Er ist Künstler und arbeitet am liebsten nachts. Die Stille der Nacht inspiriere ihn, sagt er, und wenn er schöpferisch tätig ist, pflege ich zu schlafen. Er mag es nicht, wenn ihm jemand über die Schulter blickt, wenn er arbeitet.«
»War er letzte Nacht zu Hause? Oder war er im Getriebe der Stadt untergetaucht, um dem Vergnügen nachzugehen?«
»Signore, ich habe nicht die geringste Ahnung. Wir besitzen getrennte Schlafzimmer. Aber wenn es so wichtig ist, will ich gerne gehen, ihn zu wecken.«
Sie erhob sich, schlängelte sich aus dem Badetuch, faltete es sorgsam auf der Sessellehne zusammen und begab sich hinüber in eine Art von Atrium. Durch eine Flügeltür fielen unsere Blicke in diese prächtige Halle hinein:
Vier korinthische Säulen trugen das Dach, das aus einer gläsernen Pyramide bestand, durch die das Tageslicht herein flutete. Ringsumher an den vier Wänden waren marmorne Statuen aufgestellt. In der Mitte erblickten wir ein mit goldfarbenen Mosaiksteinchen ausgelegtes quadratisches Becken, in das aus übereinander geschichteten Schalen Wasser rieselte. Nur die überall an den Wänden hängenden Bilder, doch wohl vom Conte selber gemalt, fanden unseren Beifall weniger; kurz: Dies war ein Haus, in dem es sich leben lässt.
Wir erhoben uns, blieben wie eine Schildwache vor der Tür zum Atrium stehen und dachten, »sicher ist sicher«. Doch unsere Vorsicht sollte sich als übertrieben heraus stellen, weil Tenente di Fusco mit seinen Carabinieri bereits die Haustür besetzt hatte.
Kurze Zeit später erschien die Contessa wieder. Sie hatte sich einen Hauch von transparenter Seide übergestreift, schulterfrei, ärmellos und bis über die Mitte der Oberschenkel reichend; das Haar zur Krone aufgetürmt; ein Geflecht feinster Sandalen an den Füßen. Spangen aus Gold ringelten sich in Spiralen um ihre Unterarme und endeten in je einem Schlangenkopf, die Augen aus funkelnden Rubinen:
»Mein Mann kommt gleich und bittet um etwas Geduld. Er ist in gewisser Hinsicht das genaue Gegenteil von mir und zeigt sich höchst ungern, wenn er nicht in seinem Maßanzug steckt. Ja, er hasst es, sich nicht in Schale sehen zu lassen und ist gerade dabei, sich die Zähne zu putzen.«
»Sie sagten doch«, entgegnete Volpe, »Sie hätten getrennte Schlafzimmer, nicht wahr?«
Er wollte durch diese Frage herausfinden, ob sie mit ihrem Mann, wenn man das so sagen darf, unter einer Decke steckte und über das vielfache Morden unterrichtet, oder von seinem mörderischen Treiben keine Ahnung hatte. Doch sie wusste entweder nichts davon oder war intelligent genug, das Vorhaben meines Freundes zu durchschauen. Lässig zuckte sie mit den Achseln und sagte, wie es mir schien, irgendwie verbittert:
»Getrennt, wie die meisten Eheleute, oder? Wir haben keine Kinder. Von nichts kommt nichts. So ist das. Aber vielleicht wollen Sie sich ja die Zeit ein Wenig vertreiben?«
Sie öffnete die Seitentür zu einem geräumigen Studio mit Zeichenbrettern, Papierrollen und allerlei aus Gips gefertigten Modellen. Daneben lagen zugehörig Pinsel und Farbstoffe; ferner jede Menge angefangener Gemälde. Der Conte arbeitete an mehreren Projekten auf einmal.
Die Wände des quadratischen Raumes gingen in etwa 2, 50 Meter Höhe in ein Achteck über, über welchem sich eine kreisrunde Kuppel erhob, deren gemauertes Gerippe mit durchsichtig weißlichem Glas gefüllt war:
»Das spendet jedem Künstler ein wirklich ideales Licht«, flüsterte ich Volpe ins Ohr. Er nickte und fragte die Gräfin:
»Signora, arbeitet Ihr Mann viel?«
»Viel