Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis. Meinhard-Wilhelm Schulz

Venedig sehen und morden - Thriller-Paket mit 7 Venedig-Krimis - Meinhard-Wilhelm Schulz


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im Freien zu bedienen, bis es einen der feinen Herren gelüstete, auch das Hinterzimmer kennen zu lernen, doch heute kam die Merio nicht ans Ziel, denn eine schwarz vermummte Gestalt heftete sich an ihre Fersen und huschte ihr lautlos durch den ‚Calle Forno‘ hinterher, rasend schnell näher kommend.

      Als sie fast schon den Atem der Bestie im Nacken verspürte, ohne es zu wagen, sich umzudrehen, wollte sie um Hilfe schreien, aber der Hals war ihr wie ausgetrocknet. Außerdem gab es weit und breit niemanden, der ihr zu Hilfe hätte kommen können.

      Und immer näher kam das dumpfe Tappen der Schritte. Die ‚Amsel‘ begann jetzt, in wilder Panik davon zu rennen, während eine glühende Woge ihren Körper überflutete, aber sie verlor in der Hast die Flipflops und stieß sich die Zehen an den Kanten des schlecht verlegten Pflasters derart blutig, dass sie vor Schmerzen stöhnte und kaum noch laufen konnte. Daher holte sie der Verfolger, den Kopf in einer Kapuze verborgen, ein. Beigetragen hatte dazu, dass die Merio ziemlich viel Fett angesetzt hatte und seit Jahren nicht mehr gerannt war.

      Schon blieb ihr die Puste weg. Keuchend stand sie auf der Stelle. Ihre Wülste wogten wie das Meer. Pfeifend entwich ihr der Atem. Jetzt hatte war er zur Stelle. Sie erstarrte vor Entsetzen. Jede Gegenwehr blieb aus. Sie war wie gelähmt. Er packte sie von hinten und hielt sie mit dem linken Arm wie in einem Schraubstock fest, während sie die Arme sinken ließ. Dann setzte er ihr das Messer an die Kehle. Wie Volpe erst später herausfand, war es ein mittelanges Messer mit gebogener Klinge, wohl ein Bowie Knife.

      Die Merio fand gerade noch genügend Zeit, wie verrückt zu kreischen, während der Angreifer seine Arbeit in eisigem Schweigen oder gespenstischem Kichern vollendete. Ihr Schreien ging in ein schwaches Wimmern über, bis ihr zischend ein letzter Atemzug aus der aufgeschlitzten Kehle entwich.

      Der Mörder hatte ihr den Hals gründlich abgeschnitten und ließ sie nun zu Boden gleiten. Rasch breitete sich eine Blutlache aus. Er beugte sich über die Leiche, schlitze er ihr das Hemdchen auf, zerrte die Stoffbahnen über ihren großen schlaffen Brüsten auseinander und ging dann gemächlich seiner Wege.

      Jetzt kam Leben in die Gasse: Von beiden Seiten stürzten die Anwohner herbei. Einige hatten Taschenlampen dabei, welche die Szene wie irre beleuchteten, indem sich die Lichtkegel wirr überschnitten und kreuzten. Daher konnte es dem Betrachter so vorkommen, als schnitte die Merio verrückte Grimassen.

      Jemand schrie mit sich überschlagender Stimme, »Mord, Mord! Haltet den Mörder«, und schon verfolgten einige den Vermummten, der sich in riesigen Sprüngen von der Walstatt entfernte und in den ‚Calle di Pistor‘ einbog. Dort verloren ihn die Verfolger aus plötzlich den Augen, ganz so, als hätte er sich in Luft aufgelöst, und die Leute, welche in diese Schlucht geeilt waren, starrten einander ins Gesicht, vom Grauen geschüttelt.

      Wenig später erschien Ambrosio mit zwei Polizisten zur Seite. Er war zu spät gekommen und konnte nichts anderes tun, als die Ermordete in die gekühlte Leichenhalle schleppen zu lassen. Am nächsten Tag erst fand er heraus, dass es die Merio war. Er kannte sie nur flüchtig, freilich eher dienstlich, und das nur oberflächlich, denn sie war für seinen Geschmack zu fett.

      Immer nämlich, wenn es vor ihrer Kneipe zu einer Schlägerei gekommen war, hatte er mit ihr zu tun gehabt und weinte ihr keine Träne nach. Zu Hauptmann Marcello sagte er mit sardonischem Grinsen, die Hölle sei voll von Ihresgleichen.

      Am nächsten Tag machte er sich daran, die Passanten zu vernehmen, welche das Drama miterlebt hatten, aber so viel Mühe er sich auch gab, er kam keinen einzigen Schritt weiter. Die Beschreibung des Täters war nämlich so vage, dass sie auf hunderte gepasst hätte.

      Ein großer Mann war es gewesen, der in einem schwarzen Umhang steckte, welcher oben in einer Kapuze auslief, dank derer er sein Gesicht verbarg. Das Geheimnis, weshalb der Mörder so spurlos hatte verschwinden können, konnte nicht gelüftet werden. Entweder war er über den quer verlaufenden ‚calle di Pistor‘ in die von da nach rechts abbiegenden ‚Calle larga Doge Priuli‘ geflüchtet, oder aber er hatte diese Straße rechts liegen lassen, um über die dortige Brücke den ‚Rio di San Felice‘ zu überqueren und in der ‚Fondamenta di San Felice‘ unterzutauchen.

      Einer der ersten Gedanken, welche Tenente di Fusco hegte, war es, dass der Mörder eine Person sein könnte, die etwas gegen Frauen hätte, aus welchem Grund auch immer, denn die Merio war nicht ausgeraubt worden. Aber das waren vorerst nur vage Vermutungen die ins Leere gingen.

      Ambrosio klapperte dann das Umfeld der Gemeuchelten ab, wiederum, ohne fündig zu werden. Die Merio hatte keine Familie, keine Verwandten. Ihre gemietete Kneipe war beliebt und gut besucht. Sie habe gewiss keine Feinde gehabt, sagte der Koch, und nicht wenige Männer mochten sie persönlich. Sie war eine fröhliche Erscheinung gewesen, kurz: Unter all ihren Gästen und Kunden herrschte Bestürzung und Trauer.

      4. Teil: Der zweite Mord

      Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht über den Frauenmord verbreitet. Alle Zeitungen brachten mit geringen Abweichungen einen Bericht heraus, in dem Tenente di Fusco sich dahin gehend äußerte, dass hier ein Geistesgestörter am Werk gewesen sein müsse, getrieben vom Hass auf Damen des ältesten Gewerbes. Er riet ihnen davon ab, nachts ohne Begleitung auszugehen.

      An eben diesem Tag war ich bei Giuseppe Tartini, genannt Volpe, zum Abendessen eingeladen. Bis vor Kurzem hatte ich noch in Jesolo mit meiner zweiten Frau zusammen gelebt. Doch nach der Scheidung war ich für ein paar Tage zu meinem Freund gezogen. Noch leuchtete die Sonne rötlich ins Obergeschoss hinein, in welchem wir bei einander saßen, als er sagte:

      »Hast du schon von diesem Mord gehört?«

      »Gewiss, gewiss«, sagte ich, »Freund Ambrosio hat sich der Sache angenommen. Er vermutet, es sei ein Dirnenhasser gewesen, einer, der bevorzugt fette Huren verabscheue. Das las ich gerade im ‚Corriere della Sera‘. Den Bericht hat übrigens, jetzt musst du lachen, ein venezianischer Korrespondet mit dem wohlklingenden Namen Alberto Scimmia (‚Albert Affe‘) verfasst, hihi.«

      »Ich habe seine edlen Ergüsse genossen, doch als ich sie las, musste ich feststellen, dass Freund Ambrosio wieder einmal den letzten Blödsinn angestellt hat.«

      »Das verstehe ich nicht. Er hat doch alles gründlich untersucht. Man weiß nicht einmal, wie er aussieht. Er steckte bekanntlich in einer Kapuzenjacke. Das Gesicht war vollkommen verhüllt. Außerdem finde ich Ambrosios Schlussfolgerung nachvollziehbar. Der Mörder hat keine Spuren hinterlassen. «

      »Sagen wir lieber«, knurrte Volpe, »Ambrosio hat keine Spuren entdeckt. Er hat ja nicht einmal geforscht, was für einen Umhang der Mörder getragen hat. Ich könnte dir auf Anhieb drei aufzählen. Es gibt in ganz Venedig nur zwei Schneider, die so etwas herstellen, was man bei unserem Klima so gut wie nie benutzt. Ferner hat sich Ambrosio keine Mühe gegeben, den, wie ich las, ungewöhnlich langen Schnitt an der Kehle des Opfers auf die Art der verwendeten Waffe hin zu untersuchen.

      Zwar sind bei uns in Bella Italia sämtliche Messer mit starren Klingen, wie das Bowie Knife, verboten, aber ein Küchenmesser tut es auch, und so etwas lässt sich nicht untersagen.

      Außerdem kennen wir unseren guten alten di Fusco ja. Er ist auf seine Weise zwar recht tüchtig, ein zäher Bursche und unermüdlicher Verbrecherjäger, aber es fehlt ihm an Kombinationsgabe. Auf dem linken Auge ist er blind und mit dem rechten sieht er nichts. Es wäre besser gewesen, er hätte mich hinzu gezogen. Warte nur ab, Freundchen, er tanzt bald bei uns an, spätestens morgen zur Colazione (Frühstück).

      Außerdem ist seine Schlussfolgerung, der Täter hasse feiste Huren, voreilig. Nie im Leben hätte er solch einen Unsinn daher quatschen dürfen. Wenn wir also heute Nacht, wie ich das unbedingt erwarte, den nächsten Mord zu verzeichnen haben, geht das indirekt auf seine Kappe.«

      »Was soll daran unverantwortlich sein, wenn er vermutet, irgendein Mann habe es auf Nutten abgesehen? Mir leuchtet das ein. Schließlich war die ‚Amsel‘ eine von dieser Sorte, und indem er ihr das Kleid vor der Brust aufschlitzte,


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