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drei Uhr, und ich arbeitete dann bis in den Morgen hinein. Ich kam ganz gut vorwärts.

      Am Abend ging ich zu einer Ausstellungseröffnung. Der Grund dafür war nicht etwa, dass die Bilder so toll waren. Sie waren gar nicht toll, jedenfalls nicht für meinen Geschmack. Geometrische Figuren, sorgfältig in verschiedenen Farben angemalt und in riesigem Format.

      Naja, wer es mag ...

      Und wer es dann noch für Kunst hält und kauft! Es musste solche Leute geben. Aber über Geschmack soll man ja bekanntlich nicht streiten.

      Auch nicht über schlechten.

      Ich hatte gute Gründe, zu dieser Ausstellungseröffnung zu gehen, aber die hatten nichts mit den Bildern zu tun. Der erste Grund war der, dass ich die Künstlerin kannte. Und der zweite war, dass das für mich eine Gelegenheit war, mal wieder unter Leute zu kommen, ein paar Freunde zu treffen und so weiter und so fort.

      Das Schreiben ist ein einsamer Job, den man ganz für sich allein erledigt.

      Wenn man in einer Bank oder einem Geschäft oder sonstwo arbeitet, dann kann man seinen Job dazu benutzen, Kontakte zu knüpfen. Die Leute, mit denen ich durch meinen Job in Kontakt komme, habe ich zum größeren Teil nie persönlich kennen gelernt.

      Arbeitsessen mit Redakteuren gibt es relativ selten, obwohl es auch vorkommt. Aber den Agenten zum Beispiel, der sich bemüht, Kurz-Krimis von mir bei Illustrierten unterzubringen, kenne ich nur als eine Stimme im Telefonhörer und eine Unterschrift unter Vertragsexemplaren.

      Ich hatte eine formelle Einladung zu dieser Eröffnung mit der Post am Morgen bekommen.

      Gerade noch rechtzeitig. Ich wusste, dass Christine − die Künstlerin − sie selbst abgeschickt hatte. Aber so war Christine schon so lange ich sie kannte. Den letzten Bus, auf die letzte Minute oder auch danach, die letzte Möglichkeit, auf dem fünften Bildungsweg das Abitur nachzumachen.

      Auf ihrer Uhr war es immer fünf vor zwölf und manchmal auch fünf nach zwölf. Aber noch rechtzeitig; gerade noch rechtzeitig oder zumindest das, was sie darunter verstand.

      Sie hatte es schließlich geschafft, aus dem Mist, der ihr im Kopf herumspukte, wenigstens etwas Geld zu machen. Leben konnte sie nicht davon, das hatte ich ihr nach wie vor voraus.

      Sie hatte mir hingegen voraus, dass der Oberbürgermeister ihre Ausstellung mit ein paar salbungsvollen Worten eröffnen würde, während er sicher nicht zum nächsten Kiosk rannte, wenn dort die ›Gnadenlosen Wölfe‹ ausgeliefert wurden!

      Ich war etwas spät dran und bekam so nur den letzten Rest von Dr. Wernecks Worten mit. Mit diesem Verlust konnte ich aber leben.

      Dr. Werneck hatte ein scharf geschnittenes, fast schon hart wirkendes Gesicht mit leicht verkniffenen Mundwinkeln, grauen Schläfen und beginnender Glatze.

      Die verkniffenen Mundwinkel waren vermutlich eine Art Berufskrankheit.

      Sein Körper war hager und wirkte trotz seiner 52 Jahre recht sportlich. Er machte den Eindruck eines Mannes, der jeden seiner Muskeln exakt unter Kontrolle hatte.

      Insbesondere galt das wohl für seine Gesichtsmuskulatur, denn er konnte sein Lächeln schneller ein- und wieder ausschalten als viele Leute ihren Fernseher.

      Ich war froh, als geklatscht wurde.

      Ein Beifall der Erleichterung darüber, dass es vorbei war.

      Anscheinend war ich nicht der Einzige hier, der von Dr. Wernecks rhetorischen Künsten nicht gerade vom Hocker gerissen wurde.

      Ich klatschte nur deshalb nicht mit, weil man mir in eine Hand ein Sektglas gedrückt hatte. Wie hätte ich da klatschen sollen? Ich habe ja schließlich Manieren, was in diesem Fall hieß, dass ich es vermeiden wollte zu plempern.

      Das Publikum zerstreute sich in alle Winde, um sich dann vor einzelnen Gemälden in Trauben zu sammeln. Ich hörte Fetzen von Fachsimpelei. Ich schlürfte an meinem Sekt und sah mich nach Bekannten um.

      Und dann schnurrte Christine herself an mir vorbei, ebenfalls mit einem Sektglas in der Hand, aber mit schlechteren Manieren als jenen, die man mir in grauer Vorzeit mal beigebracht hatte.

      Sie plemperte nämlich ganz gewaltig!

      "Hallo, Michi!"

      Mein Gott, Michi! Für das -ael wäre nun wirklich noch Zeit genug gewesen. Aber Christine konnte sich den Michi einfach nicht abgewöhnen. Es hatte mich schon damals genervt, als wir noch zusammen in einer Beziehungskiste gesteckt hatten, die dann irgendwann den Weg alles Sterblichen gegangen war.

      Asche zu Asche, Staub zu Staub.

      Woran hatte es gelegen? Daran, dass sie es nicht lassen konnte, mich Michi zu nennen?

      Nein, wohl kaum.

      Eher schon an dem grauenhaften Kaffee aus Nicaragua, den ich in unserer gemeinsamen Zeit immer hatte trinken müssen. Aus Solidarität.

      Am Ende war die Solidarität zu meinen Geschmacksnerven allerdings doch stärker gewesen als die zum Volk von Nicaragua.

      Aber, was soll's!

      Die Asche dieser von Anfang an wohl etwas morschen Kiste ruhte in Frieden. Wir waren Freunde geblieben, oder sollte ich richtigerweise vielleicht besser sagen geworden? Jedenfalls verstanden wir uns hervorragend, seit wir nicht mehr zusammen waren.

      Kaffee aus Nicaragua hatte ich danach nie wieder angerührt und um jeden Dritte-Welt-Laden einen meilenweiten Bogen gemacht.

      Aber der Michi war geblieben.

      Wie würde ein Mann vom rhetorischen Schlag eines OB Dr. Werneck doch gleich dazu sagen? Ein Stück Kontinuität ...

      Ich lächelte.

      Und dieses Lächeln war vermutlich ein klein wenig gezwungener, als ihm gut tat. Wahrscheinlich hatte ich in diesem Punkt jetzt eine fatale Ähnlichkeit zu Oberkrampfmeister Dr. Werneck, doch zum Glück war kein Spiegel in der Nähe, so dass mir dieser Anblick erspart blieb.

      Christine runzelte die Stirn, als sie mir die Hand drückte.

      Ich sagte: "Auf so eine Chance hast du immer gewartet, nicht wahr, Christine?"

      "Ja, Michi!"

      Sie nickte und schwenkte dabei ihr Sektglas so schwungvoll zur Seite, dass mindestens ein Drittel des Inhalts zu Boden ging.

      Aber so war sie nun einmal.

      Auf der nächsten Demo würde sie sicher mitmarschieren und sich für die Rechte von Minderheiten und sozial Unterprivilegierten einsetzen. Und hier und jetzt sorgte sie schon einmal dafür, dass für die türkischen Putzfrauen − sorry, Raumpflegerinnen natürlich − auch in Zukunft noch genug Arbeit blieb.

      So lobe ich mir eine politisch engagierte Künstlerin! Ein ABM-Programm aus dem eigenen, ohnehin nur gerade noch halbvollen Glas!

      Nobel, nobel!

      Sie lachte und zeigte dabei ihre zwei Reihen makelloser und mit Zahnweiß auf Hochglanz polierter Zähne. Sie schien mir ziemlich aufgedreht zu sein, und ich verstand sie nur allzu gut.

      Sie hatte allen Grund, sich großartig zu fühlen.

      Sie kam näher zu mir heran, und ich befürchtete schon, dass sie mir mein gutes Sakko beplempern würde, aber ich hatte Glück. Christine bekleckerte erst einmal sich selbst. Dann machte sie mich auf einen windigen Jüngling mit strähnigen hellblonden Haaren aufmerksam, der gerade ein Foto von Dr. Werneck machte.

      "Der kommt von der Zeitung!", meinte Christine.

      "Vom Lokalteil?"

      "Nein, vom Feuilleton!"

      Wahrscheinlich ein Volontär, dachte ich mir. Und wahrscheinlich doch von der Lokalredaktion − ganz gleich, was er vielleicht herumerzählt hatte, um sich wichtig zu machen. Weshalb sollte er sonst ein Foto vom OB schießen?

      Hier in der Gegend war Dr. Werneck ja vielleicht eine große Nummer, aber nationwide war er natürlich bedeutungslos.


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