1000 Seiten Krimi Spannung - Acht Top Thriller. Pete Hackett
mehr sicher.
Sicher war nur, dass ich Hartmut Werneck fürs Erste verloren hatte.
Nein, dachte ich, irgendwie ergab die Geschichte noch keinen richtigen Sinn. Jedenfalls nicht so, wie ich sie mir zurechtgelegt hatte. Irgendein ganz entscheidendes Teil fehlte noch im Puzzle.
In meinem Kopf drehte sich alles. Als ich bei einem Kiosk vorbeikam, hielt ich an und stöberte etwas im Blätterwald herum. Ich mache das regelmäßig, um auf dem Laufenden zu bleiben. Im Moment machte es ich vor allen Dingen, um mich etwas abzulenken.
29
Am nächsten Morgen rief ich in der Praxis von Dr. Dörkheim an. Eine Sprechstundenhilfe säuselte im Sopran ihren Standard-Spruch, und ich stellte mich als Hartmut Werneck vor.
"Ja, bitte, Herr Werneck?"
"Könnten Sie mal nachsehen, ob ich am zweiundzwanzigsten dieses Monats bei Ihnen einen Termin hatte?"
"Das kann ich schon, aber ..."
Ich musste schleunigst meine Süßholzraspelmaschine in Gang bringen, um ihren Einwänden den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor sie sie ausgesprochen hatte.
Und so unterbrach ich sie: "Ja, ich weiß, dass das etwas seltsam klingen muss. Aber, sehen Sie, ich habe an dem Tag etwas Wichtiges verloren, weiß aber nicht mehr genau, wo ich an dem Tag war!"
"Ich verstehe."
"Sie würden mir wirklich sehr helfen!"
Ich hörte sie blättern. "Am zweiundzwanzigsten? Da waren Sie hier. 15.00 Uhr."
"Bis wann?"
"17.00 Uhr."
"Danke. Sie haben mir sehr geholfen."
"Was haben Sie denn verloren?"
"Den Schlüssel für mein Bankschließfach. Aber wenn ich um 17.00 nicht mehr bei Ihnen war, muss ich ihn woanders verloren haben."
"Tut mir leid."
"Sie können ja nichts dafür." Ich hängte ein.
In der Zeit, in der Lammers vermutlich gestorben war, hatte Hartmut auf einer Couch gelegen. Blieb noch der Verdacht, dass er Annette Friedrichs getötet hatte. Dass er zur Tatzeit am Tatort gewesen war, war eine Tatsache, und deshalb sträubte ich mich gegen den Gedanken, dass er nur das Erpressungsopfer, aber nicht der Mörder war.
Es half nichts. Hartmut war mir durch die Lappen gegangen und vermutlich fürs Erste unauffindbar. Leider gab es wohl niemanden, der ihn für mich suchen würde. Diese Spur war tot, solange Hartmut untertauchte − und wahrscheinlich hatte ich ihn so erschreckt, dass es eine ganze Weile dauern würde, ehe er sich wieder hervorwagte. Und falls ich den Super-Pech-Jackpot geknackt hatte, dann pumpte er seinen Vater um ein paar Scheine an und nahm den nächsten Flieger auf die Malediven, ohne dass ich das verhindern konnte. Ich fluchte innerlich.
Ich musste die Sache von einer anderen Seite her angehen, um die losen Enden zusammenzuknüpfen. Viele Wege führen nach Rom. Und einer vielleicht zum Mörder von Annette Friedrichs und Jürgen Lammers.
30
Als ich die Privatdetektei von Raimund Schmidt aufsuchte, geriet ich wieder an die Dame, die mich schon am Telefon abgewimmelt hatte.
An ihrem Schreibtisch hatte sie ein Schild, auf dem ihr Name stand. Sie hieß Kossow.
"Ich möchte mit Herrn Schmidt sprechen", sagte ich.
Sie blickte kurz auf. "Wie ist Ihr Name, und was möchten Sie von ihm?", erkundigte sie sich dann.
Ihr Tonfall war kühl. Das Büro überheizt. Und die Luftfeuchtigkeit wahrscheinlich nicht messbar. Ich musste mich räuspern.
"Beides möchte ich ihm schon lieber höchstpersönlich sagen", erklärte ich ihr.
"Hören Sie, wir sind ein recht großes Unternehmen, und mit der eigentlichen Ermittlungsarbeit hat Herr Schmidt nicht mehr allzuviel zu tun."
Ich ließ den Blick über das Großraum-Büro im fünfzehnten Stock eines Hochhauses schweifen und deutete dann auf eine Tür im Hintergrund. "Ich wette, er sitzt dort und spitzt ein paar Bleistifte."
Ich umrundete den Schreibtisch der Kossow, aber sie sprang auf und stellte sich mir in den Weg.
Sie war vielleicht Mitte dreißig, ganz hübsch, aber mit einem leicht verhärmten Zug um die Mundwinkel. So wie bei jemandem, der viel arbeitet und das mit dem Verlust eines Privatlebens bezahlt. Und natürlich mit charakteristischen Gesichtsfalten. Da nützt dann auch die beste Feuchtigkeitscreme nichts mehr.
Die Frau ging mir gerade bis zur Schulter. Sie blies sich auf und rief dann: "Sie haben kein Recht ..."
"Wenn Sie das Recht haben, mir jemanden auf den Pelz zu setzen, um mich zu beobachten, habe ich sehr wohl ein Recht zu erfahren, was es damit auf sich hat! Und wenn Ihre Leute dann noch meine Wohnungseinrichtung verwüsten, weil sie wohl selbst nicht so genau wissen, wonach sie suchen ..."
"Sie reden Unfug! Von unseren Mitarbeitern demoliert niemand eine Wohnungseinrichtung!"
"Na, dann sehen Sie sich mal meine Polstermöbel an, Frau Kossow! Ich glaube nicht, dass Sie noch gerne darauf sitzen würden!"
Ich hatte natürlich keine Ahnung, ob ich ihr und ihrer Agentur den Kerl, der in meine Wohnung eingedrungen war und mich niedergeschlagen hatte, nicht zu Unrecht aufs Butterbrot schmierte.
Aber egal. Ich wollte einfach die Reaktion abwarten.
Die Kossow stemmte ihre kurzen, schlanken Arme in die Hüften und sagte dann in gebieterischem Tonfall: "Vielleicht sagen Sie mir jetzt doch Ihren Namen, und ich überprüfe dann die Sache!"
Ich sah sie offen an.
"Michael Hellmer", sagte ich.
"Sie sind der Kerl, der hier angerufen hat, nicht wahr?"
"Möglich."
"Ich erkenne Ihre Stimme wieder."
"Warum fragen Sie dann?"
"Ich habe unter anderem für die Koordination zu sorgen", erklärte sie mir. "Und wenn jemand namens Michael Hellmer zu beschatten wäre, dann wüsste ich das. Aber wenn Sie wollen, werde ich gerne in unseren Unterlagen nachsehen. Denn wenn Sie tatsächlich unter Beobachtung gewesen sind, haben wir davon natürlich einen Bericht für den Auftraggeber erstellt."
"Na gut", meinte ich, "schauen Sie nach."
Sie schaute nach. Und es war, wie ich erwartet hatte. Sie fand nichts.
"Ich weiß nicht, mit wem Sie Schwierigkeiten haben, aber wir haben damit sicherlich nichts zu tun!", dröhnte die Kossow daraufhin. Sie schien glatt um zwei Zentimeter gewachsen zu sein.
Ich fingerte indessen die Visitenkarte heraus, die der Blondschopf mir gegeben hatte.
"Die habe ich von einem Ihrer Leute. Oswald. Er hat sogar zugegeben, dass mich Ihre Agentur observiert."
Die Kossow nahm die Visitenkarte, starrte eine volle Sekunde darauf und nickte dann.
"Ja", sagte sie. "Die ist von uns." Dann atmete sie tief durch und fuhr schließlich fort: "Vielleicht ist das doch etwas für den Chef."
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