Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019. Pete Hackett

Neun ungewöhnliche Krimis Juni 2019 - Pete Hackett


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hungrig ich war. Seit dem ausgiebigen Frühstück, das ich in einem Kaufhausrestaurant genossen hatte, hatte ich außer reichlich Kaffee nichts zu mir genommen.

      Manchmal ist das so.

      Man sitzt an der Tastatur, sieht den Cursor auf dem Bildschirm blinken und es scheint einem so, als würde er einem unablässig zurufen: "Noch eine Zeile, noch eine Zeile! Nicht stehenbleiben! Nicht stehenbleiben!"

      Und dann ist man wie unter Hypnose. Ein Wort nach dem anderen erscheint auf dem Bildschirm, bis der Strom der Bilder und Wörter (und manchmal leider auch jener der Elektrizität) plötzlich versiegt. Dann wird einem erst bewusst, wie viel Zeit vergangen ist und wann man zum letzten Mal etwas gegessen hat.

      Ich habe oft darüber nachgedacht, was es ist, das einen treibt, eine Zeile nach der anderen zu füllen.

      Sicher, da ist die Gewissheit, dass man letztlich immer nur soviel Geld auf seinem Konto finden wird, wie man Seiten geschrieben hat.

      Außerdem weiß man nie, ob einem auch morgen noch etwas einfällt. Wenn die Einfälle also da sind, muss man das ausnutzen. Es könnte ja sein, dass man irgendwann mal in eine Krise kommt. Keine Bilder, keine Wörter, nichts mehr; Ende. Blackout.

      So etwas gibt es. Aber es hat bei mir noch nie sehr lange gedauert. Ein paar Tage, meistens weniger.

      Nein, das allein kann es nicht sein, was einen immer wieder treibt. Denn die Wahrheit ist, dass mir eigentlich immer etwas einfällt, wenn ich einigermaßen ausgeruht bin. Nicht unbedingt jedes Mal ein dichterischer Geniestreich, aber das erwartet auch niemand von mir.

      Was ich mache, ist Handwerk, keine Kunst. Aber auch das will gut gemacht sein, oder?

      Ich denke, es ist eine Form der Besessenheit, die einen immer wieder an die Tasten treibt.

      Besessenheit, genau das ist das richtige Wort.

      Ich fühle mich gut, wenn ich geschrieben habe. Ich fühle mich einfach gut, obwohl ich hinterher oft völlig fertig bin. Aber ich fühle mich gut. Und das ist es, worauf es ankommt, so sehe ich das.

      Es ist eine Besessenheit. Ein Dämon, gegen den es keinen Exorzismus gibt.

      Es gibt Leute, die bringen Menschen um und fühlen sich hinterher vielleicht auch gut. Oder hoffen zumindest, sich dadurch besser zu fühlen. Solche Leute nennt man Psychopathen, und man sperrt sie in Irrenanstalten ein. Andernorts kommen sie auf den elektrischen Stuhl.

      Im Prinzip tun diese Leute nichts anderes als ich. Sie geben ihrer Besessenheit nach. Aber so ist das eben. Die eine Besessenheit bringt einen ins Loch, die andere lässt sich vermarkten.

      Während ich mir ein Brötchen in den Rachen schob und ein kräftiges Stück davon abbiss, gingen meine Gedanken zurück zu Jake McCord und seinen Problemen mit einem furchtbar miesen und skrupellosen Rancher, der einen ganzen County unter seiner Knute hält ...

      Fünf Seiten hatte Jürgen Lammers mir gestohlen, dieser dumme Hund! Er war jetzt tot, aber irgendwie hatte ich ihm deshalb trotzdem nur zur Hälfte verziehen. So bin ich eben: nachtragend und ungerecht.

      Auch gegenüber Toten.

      Aber es war nicht zu ändern, und ich würde gut daran tun, mich darauf zu konzentrieren, die Szene möglichst schnell wieder so hinzukriegen, wie ich sie schon einmal auf dem Papier gehabt hatte.

      Ich nahm also die Kaffeetasse und ein Brötchen und ging zum Computer, schaltete Zentraleinheit und Bildschirm wieder an, wartete, bis der Computer seinen Scan-Disk durchgeführt hatte und wieder hochgefahren war, um schließlich die Datei mit dem überaus spannenden Anfang von ›Gnadenlose Wölfe‹ zu öffnen, diesem ›brandneuen Top-Western unseres beliebten Autors MIKE HELL. Realistisch, hart und voller Dramatik!‹

      Ich schlürfte noch einmal an meinem Kaffee und stopfte den Rest meines Brötchens in mich hinein. Wahrscheinlich würde ich später noch eine Pizzeria heimsuchen.

      Ich fing also wieder an, in die Tasten zu hauen. Ich mag so etwas nicht. Es ist eine Qual, eine Szene, die man geistig schon abgelegt hat, noch einmal erfinden zu müssen. Es ist einfach nicht kreativ, es ist nur ärgerlich. Und noch ärgerlicher ist es, wenn man nicht so recht voran kommt, weil die Gedanken woanders sind.

      Ich konnte mich eigentlich immer schon gut konzentrieren und um mich herum die Welt vergessen. Man muss das können, wenn man etwas zustande bringen will. Man muss die Welt um sich herum vergessen, um kurzfristig in eine andere eintauchen zu können. Ich habe diese Fähigkeit ganz gut trainiert und dennoch − manchmal ist es einfach nicht zu verhindern, dass die Gedanken ihre eigenen Wege gehen.

      Und genau dieses Problem hatte ich im Moment.

      Zeile um Zeile quälte ich mich voran. ›McCord kniff die Augen zusammen, so dass sie nichts weiter waren als enge Schlitze‹, so hackte ich lustlos in die Tasten. Aber schon in der nächsten Sekunde war mir klar, dass ich diese Zeile wieder löschen musste. Jake McCord hatte die Augen im Verlauf der letzten halben Seite schon einmal zusammengekniffen, und das war entschieden genug.

      Ich atmete tief durch.

      Und dann löschte ich die Zeile und suchte nach etwas Neuem. Ich tat es nicht nur aus stilistischen Gründen, sondern auch um McCords Willen. Er sollte ja schließlich vom dauernden Zusammenkneifen keinen Krampf in den Augenwinkeln bekommen!

      7

      Fünf Minuten später klingelte es an meiner Tür. Ich ging hin und öffnete.

      Vor mir stand der dicke Rehfeld mit seiner dicken Krawatte und seinem MEGAdicken Doppelkinn.

      Sein Bauch drängte durch seinen offenen Mantel schon fast bis in meine Wohnung hinein. Beinahe so, als hätte er ihn direkt gegen die Tür gedrückt, bevor ich geöffnet hatte.

      Wahrscheinlich war es sogar genau so gewesen! Schließlich hatte er kurze Arme und hätte sonst gar nicht die Klingel erreichen können!

      "Kann ich kurz zu Ihnen hereinkommen, Herr, äh ..." Er schaute auf seinen schmierigen Zettel. Vielleicht sollte er es mal mit einem Diktiergerät versuchen!, dachte ich. Aber es würde wohl noch geraume Zeit verstreichen, ehe bei der Polizei das Zeitalter der modernen Technik anbrechen würde. "Herr Hellmer!", kam es schließlich über seine dünnen aufgesprungenen Lippen, die er wiederholt mit seiner Zunge benetzte.

      "Kommen Sie herein!", sagte ich.

      Unterdessen sah ich aus dem Augenwinkel, wie zwei Uniformierte einen Metallsarg die Treppe hinuntertrugen und sich an Rehfeld vorbeiquetschten.

      "Warum benutzt ihr nicht den Fahrstuhl?", knurrte der Dicke.

      "Ist kaputt!", knurrte es zurück.

      Mein Blick blieb unwillkürlich an dem Metallsarg haften und folgte ihm weiter die Treppe hinab. Da liegt er nun also drin!, dachte ich. Ob man ihm wenigstens zur Beerdigung etwas anderes als einen Jogging-Anzug anziehen würde?

      "Kommen Sie!", hörte ich Rehfeld sagen. "So interessant ist so ein Sarg doch auch nicht!"

      Ich zuckte mit den Schultern. "Kommt drauf an."

      "Wo drauf?"

      "Darauf, wer drin liegt zum Beispiel. Oder ..."

      "Oder?"

      "Oder wie derjenige gestorben


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