Die Britannien-Saga. Band 1 und 2: Hengist und Horsa / Brand und Mord. Die komplette Saga in einem Bundle. Sven R. Kantelhardt
sah das südliche Ufer langsam im Nebel verschwimmen. Außer den Rufen der Brüder hörte man nur das Knarren der Riemen und das regelmäßige Plätschern der Ruderblätter im Wasser. Plötzlich surrte es und neben Ordulf erklang ein merkwürdig dumpfer Laut. Er schaute erstaunt auf. Ein Pfeil steckte zitternd in der Bordwand. Auch Horsa hatte es gesehen.
„Rudert weiter. Ihr anderen in den Bug und Schilde hoch, gebt den Ruderern Deckung!“
Dann surrte es wieder und wieder.
„Dort oben sind zwei Bogenschützen!“, rief einer der Männer, die mit ihren Schilden in der Mitte des Bootes standen und versuchten, die Ruderer zu decken. Es folgten wieder Einschläge im Holz des Bootes und den Schilden der Männer.
„Achtung, wir setzen gleich auf“, rief Horsa und im nächsten Augenblick fuhr ein scharfer Ruck durch das Boot und einige Ruderer stürzten von ihren Bänken. Alle griffen gleichzeitig nach ihren Schilden, was das Durcheinander nur noch verschlimmerte.
„Schilde hoch, wir gehen an Land!“, rief Horsa laut über den Tumult hinweg.
Endlich hatte Ordulf seinen Schild oben. Er griff nach seinem neuen Langschwert und sprang über die Bordwand. Das Wasser war nur knietief. Eilig folgte er Horsa, der bereits vor ihm an Land stürmte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie auch Hengists Boot neben ihnen auf den steinigen Strand lief. Horsa rannte direkt auf die piktischen Bogenschützen zu. Ordulf konnte sie nun klar erkennen und sie die Sachsen ebenfalls. Eilig drehten sie um und flohen den Hang hinauf.
„HENGIST!“, brüllte Ordulf begeistert und lief los. In Erwartung des Kampfes raste sein Herz und seine Aufregung suchte ein Ventil in wilder Mordlust.
„Halt!“, rief ihn da Hengists Befehl zurück. „Nicht weiter den Hang hinauf. Wir müssen erst mehr Krieger holen, wir wissen nicht, wie viele Feinde hier sind.“
Horsa blieb unvermittelt stehen und Ordulf wäre fast gegen ihn geprallt. Doch der unerwartete Halt brachte ihn wieder zu Besinnung, die tagelangen Übungen in Beufleet machten sich bezahlt. Schwer atmend trat er neben Horsa und hob den Schild. Sie standen vor einem kleinen Absatz, an dem die Grasnarbe in einem kleinen Erdrutsch herabgebrochen war.
„Ich nehme zwölf Ruderer und die Boote mit“, ertönte da wieder Hengists Stimme. „Wir holen die nächste Ladung Männer. Horsa, du bleibst mit deinen Leuten hier. Rücke auf gar keinen Fall weiter vor. Das ist in diesem verfluchten Nebel viel zu gefährlich.“
Ordulf sah sich um und erkannte, wie Hengist mit elf Männern bereits die Boote zurück ins Wasser schob. Andere Männer schlossen zu ihm und Horsa auf.
„Also machen wir es uns gemütlich“, schlug Horsa spöttisch vor.
Im gleichen Moment ertönte wieder ein unheimliches Surren, diesmal gefolgt von einem Schmerzensschrei. Ordulf fuhr herum und sah einen der Krieger in die Knie gehen. Er presste sich die Hand an die Schläfe, doch zwischen den Fingern quoll Blut hervor. Mit einem Mal prasselte ein Hagel von Steinen und Pfeilen auf sie nieder. Ordulf zog den Kopf ein, um sich hinter dem Schild zu schützen. Dröhnend prasselten große Steine dagegen. Neben ihm kniete sich Thiadmar nieder und kauerte hinter seinem Schild am Boden. Ordulf überlegte nicht lange, sondern tat es ihm gleich. Weitere Schreie ertönten. Er lugte über den Schildrand. Sofort schlug ein Stein dicht neben ihm in den Sand.
„Das sind mindestens hundert!“, rief er erschrocken, als er hoch über sich am Hang eine unübersehbare Anzahl von grauen Schatten erkannte. „Dort oben auf dem Hang.“
„Verdammt, wenn Hengist nicht bald zurückkommt, sind wir verloren“, jammerte Thiadmar neben ihm verzweifelt. „Er wird uns doch nicht im Stich lassen?“
Ordulf sah sich um. Gerade einmal zwanzig Sachsen kauerten, notdürftig durch ihre Schilde gedeckt, an der Böschung. Plötzlich merkte Ordulf, wie Wut in ihm aufstieg. Den verdammten Pikten würde er es schon zeigen! Er spannte seine Muskeln zum Sprung, doch da legte sich eine Hand auf seine Schulter. Ordulf drehte sich um und versuchte den roten Schleier vor seinen Augen wegzublinzeln. Schließlich erkannte er Horsa. Langsam wurde das Bild wieder klar.
„Ruhig Blut“, zischte der. Dann fügte er laut hinzu: „Haltet aus, Hengist kommt gleich mit den übrigen Männern!“
Trotz der aufmunternden Worte bemerkte Ordulf seinen besorgten Gesichtsausdruck. Als Horsa Ordulfs Blick spürte, zwang er sich zu einem aufmunternden Lächeln.
„Wenn Hengist uns vielleicht auch nicht aus Liebe zu Hilfe kommt, so würde sein Stolz es nicht vertragen, einfach davonzulaufen. Er kommt sicher zurück.“
„Sie kommen näher!“, unterbrach ihn ein schriller Ruf. Wieder ertönte ein Schmerzensschrei. Ordulf fuhr herum. Thiadmar ließ den Schild fallen und krümmte sich wimmernd am Boden. Ordulf sprang vor ihn, um den Verwundeten so gut er konnte mit seinem eigenen Schild zu decken. Dann wagte er wieder einen Blick nach vorn. Die Pikten waren tatsächlich näher gekommen, aber nicht nahe genug, um sie mit dem Schwert anzugreifen.
„Sie haben gemerkt, dass wir keine Bögen und Speere dabei haben und auf diese Entfernung harmlos sind“, stellte Horsa nüchtern fest.
Ordulf lugte erneut über den Schildrand. Die Pikten waren inzwischen so nah, dass er sie gut erkennen konnte. Sie mussten von ihrer Ankunft überrascht worden sein, denn die meisten zeigten sich ohne die typische blaue Kriegsbemalung. Rasch zog er den Kopf hinter den Schildrand zurück, als ein erneuter Steinregen auf die sächsischen Schilde prasselte. Horsa fluchte unterdrückt. Auf die schwindende Entfernung wurden die Steinwürfe immer zielsicherer.
„Das sind zu viele! Selbst wenn Hengist mit noch einmal dreißig Kriegern hier ankommt, haben wir keine Chance“, raunte er Horsa zu, während Panik in ihm aufstieg.
Der klopfte ihm als Zeichen, dass er verstanden hatte, auf die Schulter, rief aber laut: „Ruhig Männer, gleich ist Hengist wieder da und dann rennen wir sie über den Haufen!“
Ordulf fasste unwillkürlich nach dem Kreuz, das ihm Ceretic in einer ähnlich verzweifelten Situation überlassen hatte. Könnte ihn der britannische Zauber vielleicht auch dieses Mal retten?
Ad Abum, Juni 441
Ceretic
Der gemeine Verrat an seinen Sachsen nagte an Ceretic. Und ihn selbst hatte der verdammte Vortimer zu seinem Handlanger gemacht. Nicht nur das Schicksal der Verbündeten, nein, ganz Britanniens setzte dieser Ehrgeizling einzig und allein aus Neid aufs Spiel. Doch wie könnte er sich über den Befehl des Prinzen hinwegsetzen? Die erste Welle der Sachsen war im Nebel verschwunden. Nur drei Boote mit insgesamt etwa dreißig Mann. Und vielleicht standen sie am anderen Ufer dem gesamten Heer der Pikten gegenüber.
Da schallten vom anderen Ufer, seltsam gedämpft durch den Nebel, die ersten Schreie herüber. Also waren dort drüben tatsächlich Pikten! Die Sachsen um ihn herum sprangen auf, die Waffen in den Händen und auch Ceretic griff unwillkürlich nach seinem Schwert.
„Was ist da los?“
„Macht sie fertig!“
„Lasst uns noch welche übrig!“
Alle riefen und schrien wild durcheinander, doch der breite Strom trennte sie von den bedrängten Kameraden. Und Hengist, Rowenas Vater, war mit ihnen dort drüben … Wie sollte er Rowena nur jemals wieder unter die Augen treten? Er, der Verräter, der diese Männer nach Britannien gelockt und nun bei der ersten Gelegenheit in die Falle geführt hatte. Die Strömung auf dem Hochwasser führenden Strom war einfach zu stark, um ihn ohne Riemen zu überqueren. Verzweifelt rang Ceretic seine Hände und schickte ein weiteres Stoßgebet zum Himmel. Herr, kannst du uns nicht hinüberziehen?, flehte er stumm.
Und da kam ihm plötzlich ein Gedanke. „Dreht die übrigen Boote um und bringt sie ins Wasser, wir müssen unseren Kameraden helfen“, rief er den nächsten Sachsen zu.
Erstaunt drehten sie sich zu ihm um.
„Wir haben keine Riemen und die Strömung ist zu stark …“, wandte Willerich mit hochgezogenen Brauen ein.
Doch