Liebessagen. Karl-Heinz Hummel
Wanderung nach Norden unterwegs, ohne irgendetwas Rechtes zu finden. Da kam er eines Tages in einer aus roten Backsteinen erbauten Stadt an einer Tischlerwerkstatt vorbei, dort waren alle Arten von Tischen, Stühlen und Sesseln ausgestellt. Weil ihm vom Wandern die Füße schmerzten, setzte er sich auf einen bequemen Sessel. Gerade trat auch der Eigentümer aus der Werkstatttür und damit er noch eine Weile ausruhen konnte, fragte der junge Mann nach dem Preis der verschiedenen Möbelstücke. »Der kostet so viel und der andere so viel«, lautete die Antwort.
»Und was kostet der alte Plunder dort drüben?«, fragte er wieder, indem er auf einen alten, seltsam geformten, hölzernen Stuhl hinwies. Der Verkäufer nannte einen komplett überzogenen Preis. »Ihr wollt mich wohl auf den Arm nehmen«, versetzte der Bursch und stand verärgert auf.
»Moment mal, Fremder, ich halte niemanden zum Besten«, widersprach der Eigentümer. »Ihr könnt es freilich dem Stuhl nicht ansehen, über welche außerordentlichen Eigenschaften er verfügt, darum verzeih’ ich Euch Euer misstrauisches Wesen.«
»Was sollen das für besondere Qualitäten sein?«, fragte der junge Mann, neugierig geworden.
»Die besondere Fähigkeit«, der Verkäufer näherte sich geheimnisvoll flüsternd seinem Ohr, »die besondere Fähigkeit ist die, es handelt sich um einen Reisestuhl, ja um einen wirklichen Reisestuhl, der diesen Namen auch einlöst. Wenn man sich daraufsetzt und sich da oder dort hin wünscht, so befindet man sich einen Wimpernschlag später an genau diesem verlangten Ort.«
Das überzeugte den zweiten Liebhaber, er legte die geforderte Summe auf den Tisch, obwohl damit fast sein gesamtes Geld weg war. »Das ist das rechte Geschenk für meine Braut!«, jubelte er innerlich und rieb sich die Hände.
Der dritte machte auch lange Kreuz- und Querzüge, von Westen nach Osten und wieder zurück. Ob Glück oder Zufall: Der Weg führte ihn eines Tages zu einem schönen Laden, in dem eine Menge großer und kleiner Spiegel zum Verkauf ausgestellt war. Er erkundigte sich unverbindlich nach den Preisen, blieb auch unschlüssig und entdeckte letztendlich in einem Winkel einen kleinen, unscheinbaren Spiegel. Mehr im Scherz als im Ernst fragte er nach dessen Preis. Man nannte ihm eine so hohe Summe, dass ihm die Spucke wegblieb, jedoch hatte er genau noch so viel Geld übrig. Er hielt es trotzdem für einen schlechten Scherz, allein der Inhaber des Ladens erklärte ihm: »Das ist der Spiegel eines Venedigermännleins. Darin kann man an jedem gewünschten Ort, auf und unter der Erde, alles sehen, was dort geschieht.«
Der junge Bursch wollte das natürlich sofort überprüfen. Er wünschte sich, seine Angebetete zu sehen, und augenblicklich erschien ihr Spiegelbild, wie sie sich gerade kämmte und ihr üppiges goldenes Haar in Zöpfe flocht. Sofort zog er den Beutel, ließ alle Münzen auf den Tisch rollen und kaufte den Spiegel. »Ein schöneres Geschenk als dieses«, dachte er, »können die beiden anderen gewiss nicht herbeibringen!«
Der Herbst ging in den Winter über, der kürzeste Tag und die längste Nacht waren schon vorbei, Silvester sollte die Türe zum neuen Jahr öffnen. Die drei fanden sich wie vereinbart am Scheideweg wieder ein und jeder erzählte, welch wunderbares Geschenk er gekauft hatte. Nun überkam sie die Lust, nachzuschauen, was ihre gemeinsame Geliebte jetzt im Augenblick gerade anstellt. So nahmen sie den Spiegel des Ost-West-Wanderers, blickten hinein und erschraken zutiefst: Sie sahen ihre gemeinsame Geliebte sterbenskrank im Bett liegen, ringsherum standen weinend und verzweifelt die Eltern und ratlos die Ärzte.
Da rief der nach Süden gereiste: »Oh, wenn ich nur mit meinem Apfel dort wäre!« Und der aus dem Norden zurückgekehrte fiel ein: »Setzen wir uns doch alle drei auf meinen Sessel!«
Gesagt, getan, nur einen Augenblick später tauchten die drei Liebhaber am Sterbebett der Kranken auf. Umgehend schnitt der erste ein Stück von seinem Apfel ab und gab es der Kranken zu essen. Alsogleich schlug sie die Augen auf, rührte Kopf und Arme, das Blut strömte in ihre Adern, die Backen färbten sich, das Fieber war gesunken und der Blick wurde wieder klar und lebensfroh. Sie stand auf und verließ frisch und gesund das Bett. Glücklich, wenn auch mit ein wenig schlechtem Gewissen, bedankte sie sich von Herzen bei jedem ihrer drei Liebhaber für die Rettung.
Wen von den Dreien aber das Mädchen später geheiratet hat, den Apfelkäufer mit der wirksamen Arznei, den Stuhlkäufer, dem sie die schnelle Rettung zu verdanken hatte, oder dem Spiegelkäufer, der als erster Einblick in den lebensbedrohlichen Zustand der Geliebten erfahren hatte, oder ob sie doch einen ganz anderen oder sogar alle drei miteinander genommen hat, davon weiß die Sage nichts zu berichten.
DER HEIMLICHE LIEBHABER, DER FÜNFMAL IST UMGEBRACHT WORDEN
Beim Mann selber hatten die alte Faulheit und Unlust zur Arbeit wieder Oberhand genommen, seine Frau aber wurde immer durchtriebener und eigensinniger. Und: Sie hatte sich heimlich einen Liebhaber angelacht. Der kehrte ihr gerne zu, wenn der Mann im Wirtshaus war, und sie hätte denselben gerne viel öfter bewirtet und umschmeichelt. Der Ehemann aber ahnte, dass da ein anderer zugegen war, er wurde misstrauisch, wollte sich keine Hörner aufsetzen lassen. So ging er immer seltener aus dem Hause und stand so ihren Abenteuern im Wege. Daher dachte sich das durchtriebene Weib: »Ei, wenn du nur blind wärest, dann könnte ich mein Geheimnis vor dir verbergen!«
Eines Tages sagte die Frau: »Heut geh’ ich beichten.«
»Ja, geh nur«, erwiderte der Mann. »Aber geh hinunter zum Bach, dort in der alten, hohlen Eiche sitzt ein weiser, gütiger Beichtvater, der ist gerade der rechte für dich!«
»Ei, was redest du für dummes Zeug?«, gab sie zurück. »Wie soll denn in einer Eiche ein Priester sitzen?«
»Du wirst es schon sehen«, sagte er. »Das ist ein kluger Eremit, der gar viel von allerlei geheimen Künsten versteht. Ich bin auch schon dort gewesen. Geh nur heute gegen Abend hinab und du wirst guten Rat bekommen, wie du künftig ein besseres Leben führen kannst.«
Vor Sonnenuntergang warf der Mann heimlich ein schwarzes Hemd über, nahm ein weißes Tuch mit, um sein Gesicht zu verbergen, schlich zum Bach hinab und setzte sich in die hohle Eiche.
Dem einfältigen Weib hatte sich die Empfehlung ihres Mannes von dem Beichtvater, der sich auf geheime Künste verstehe, den ganzen Tag lang keine Ruhe gelassen. Sie stieg also am Bach entlang zur Eiche hinab und beichtete durch ein ausgebrochenes Astloch in den Baum hinein. Der Beichtvater saß nämlich wirklich darin, hörte ihr aufmerksam zu, stellte Nachfragen und gewann ihr Vertrauen. Endlich kam sie auf den Kern ihrer Anliegen zu sprechen: »Ich bin noch zu jung, um im Haus zu verdorren. Ich möchte von daher meinen Mann gern blind machen, dass er nicht mehr alles und jeden im Hause sieht. Gebt mir einen Rat, wie ich das anstellen kann!«
Da erwiderte der Beichtvater: »Liebe Frau, das ist nicht einfach zu bewerkstelligen. Als Erstes muss ich Euch fragen: Habt Ihr Hühner zu Hause?«
»Freilich! Ich habe recht viele und einen schönen fetten Hahn dazu«, sagte sie.
»Wohlan«, fuhr die Stimme aus dem Astloch fort. »Dann bratet Eurem Manne jeden Tag ein Huhn, schön saftig und würzig mit Rosmarin, Salbei und Knoblauch und setzt ihm das vor. Vergesst auch nicht, ein Glas Wein, oder noch besser eine Flasche, dazu zu stellen und weißes, frisches Brot zu backen. Das macht Ihr Tag für Tag. Zuletzt bratet auch noch den Hahn und wenn Ihr das aufs Genaueste befolgt, dann wird Euer Mann unfehlbar erblinden.«
Sie dankte dem vermeintlichen Beichtvater und ging schnurstracks nach Hause. Ihr Mann aber eilte ihr auf einem anderen Weg voraus und erwartete sie schon an der Haustüre.
»Nun, wie hat dir der geistliche Herr gefallen?«,