Indisches Drama. Hilde Link

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hielt mich aber zurück. Womöglich hat Klatschen irgendeine mir unbekannte rituelle Bedeutung. Lieber auf der Hut sein in einer Kultur, die man nicht kennt. Ein anerkennendes Lächeln musste genügen. Das ist überkulturell und wird weltweit verstanden. Jetzt tauten auch Devan und Dakshinamurti auf und erzählten, dass sie in der Saison, März/April bis Juli, dann, wenn es so richtig heiß ist, ihre Dramen aufführen würden. Hauptsächlich die großen Epen Mahabharata und Ramayana, das ist die Geschichte vom Prinzen Rama, der schönen Sita und dem Großen Affen Hanuman. Ich sei herzlich willkommen, dabei zu sein. Immer gegen zehn Uhr abends gehe es los bis morgens etwa um sechs oder sieben Uhr. Ach, du meine Güte! Doch nicht etwa die gesamte liebe lange Nacht lang.

      „Und tagsüber?“, versuchte ich schon im Vorfeld meinen Schlaf zu retten, „gibt es auch Aufführungen am Tag?“

      „Theaterstücke nicht, aber Rituale manchmal am Morgen nach den Aufführungen. Feuerläufe zum Beispiel.“

      Hach, das versprach aufregend zu werden.

      „Und ich darf wirklich kommen, mit meiner Videokamera, mit meinem Fotoapparat und meinem Tonbandgerät und alles dokumentieren?“, vergewisserte ich mich.

      „Welcome! Welcome!“, rief Babu begeistert, die beiden anderen sagten einfach ja.

      Jetzt war der richtige Zeitpunkt für meine Postkarten. Ich legte einen Stapel auf den Tisch und erklärte das System. Gerne, sehr gerne würden sie die Karten weitergeben.

      „Es dauert noch einige Zeit, bis die Saison losgeht. Aber Sie brauchen sicherlich nicht so lange zu warten. Irgendwer stirbt immer, und dann führen wir ein Karna Moksha [Karnas Befreiung] auf. Karna kennen Sie?“, fragte Devan.

      „Ja, ja, Karna, natürlich weiß ich, wer Karna ist“, sagte ich im Ton des Insiders.

      Im Geiste hatte ich Johannas Bilderbuch vor Augen: Karna, seinem in der Gegenpartei kämpfenden Halbbruder Arjuna den Rücken zuwendend, versucht verzweifelt, das Rad seines Kampfwagens aus dem Schlamm zu befreien. In dem Moment schießt Arjuna den tödlichen Pfeil auf ihn ab, und der Krieg ist zugunsten der fünf Pandavas, von denen Arjuna einer ist, entschieden.

      Dakshinamurti, offensichtlich der Chef der Truppe, stand unvermittelt auf, ich erhob mich ebenfalls in Erwartung eines: „Goodbye“ oder eines „Gehen Sie und kommen Sie wieder.“ Inzwischen war ich aufgrund meiner unglückseligen Erfahrungen mit Beamten schon auf Rausschmiss konditioniert. Zu meinem Erstaunen bat mich Dakshinamurti mitzukommen. In einem fensterlosen Raum knipste er das Licht an. Auf dem Boden stand eine große Truhe. In der befanden sich bunte Röcke, glitzernde Hosen, Schminke und Kämme, Kopfschmuck aus Holz und Federn, Pfeil und Bogen, Halsketten, Plastik-Armreifen in allen Farben, Tücher. Sorgfältig nahm Dakshinamurti einen Gegenstand nach dem anderen heraus und legte ihn auf den Boden. Ich stand da in andächtigem Staunen und war nur noch glücklich, erleichtert, dankbar, froh. Mir war klar, dass Dakshinamurti mir ein Tor zu seiner Welt geöffnet und mich gebeten hatte einzutreten. Er hatte ja auch versprochen, die Postkarten an seine Kollegen weiterzugeben. Meine Rechnung wird aufgehen: Wenn ich den ersten Schauspieler gefunden habe, dann werde ich alle anderen auch kennenlernen. Mir wurde erlaubt, Notizen zu machen und Skizzen anzufertigen. Ich setzte mich auf den Boden und arbeitete mit Sorgfalt an meiner ersten Aufgabe in Indien, die nicht in irgendeiner Weise sinnlos, uneffektiv und vergeblich war.

      Inzwischen war es schon dunkel geworden, und Shivan motivierte Ganeshan und seinen Begleiter im Nachbarhaus zur Heimfahrt. Vor Mrs. Kamalas Haus hatte sich zum Abschied die gesamte Familie versammelt, gut und gerne an die dreißig Personen. Mrs. Kamala kam mit einem kleinen Behältnis, in dem sich ein rotes Pulver befand. Vorsichtig streute sie mir etwas davon in den Scheitel und sprach Segenswünsche für meinen Mann. Die Götter mögen ihn behüten, er möge lange leben. Genau genommen galt der Segen mir, denn wenn der Mann stirbt, dann bin ich, in Kamalas Weltbild, erledigt. Ich finde, dieses Ritual hat was von Frauensolidarität.

      Das ist immer wieder erstaunlich festzustellen, wie normal doch in kürzester Zeit zunächst absonderliche Dinge werden. Auf der Heimfahrt rief ich kein einziges Mal „Careful!“ und störte mich auch nicht mehr daran, dass unser Taxi keine Bremsen hatte. Das fehlende Scheinwerferlicht nahm ich einfach zur Kenntnis. In Unabänderliches muss man sich fügen. Ein kleines Gebet mit einem Appell an meinen Schutzengel zu Beginn der Reise ersetzte die zahlreichen Stoßgebete unterwegs. Ich konnte entspannt mit Shivan plaudern.

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