Totes Zen. Jasper Nicolaisen

Totes Zen - Jasper Nicolaisen


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sogar befürchten, dass diese Gemme, genannt „das Echtjuwel“, inzwischen schon in die Klauen der schwarzen Wesen gelangt war, die noch über die alten Zwergenstollen hinaus gegraben hatten und tief im Herzen der Welt flüsternd und sabbernd in der Schwärze hockten und die Götter mochten wissen welche Pläne im Zusammenhang mit dem zaubermächtigen Echtjuwel und den Schrecken der alten Welt schmiedeten, die dort unten im Unschlaf ihr Unleben fristeten. Solche Schreckensphantasien jedenfalls quälten die Zwergenadministratoren, die Tag und Nacht Gräben rund um ihre juwelenverkrusteten Schreibtische liefen. Da man aber nicht noch mehr kostbare Zwergenleben bei dem Versuch aufs Spiel setzen wollte, das Echtjuwel zu bergen – Zwergenfrauen gab es nur wenige, und selten konnten sie einen männlichen Zwerg so gut leiden, dass es zur Zeugung kam, was mich nach meiner Begegnung mit dem Administrator bei der Vertragsunterzeichnung ehrlich gesagt auch nicht wunderte – setzte man seit Jahrzehnten nur noch auf Söldner. Ich war einer davon, wie Sie sich sicher schon gedacht haben. „In den Berg gehen“ oder „das Echtjuwel suchen“ war an der Akademie allerdings geradezu ein stehender Begriff für „etwas absolut Vergebliches in Angriff nehmen“. Es hatten einfach noch nie jemand nennenswerte Erfolge auf der Jagd nach dem Echtjuwel erzielt. Genau gesagt waren alle gestorben, die es versucht hatten. Noch genauer gesagt war ihr Schicksal völlig unklar, weil sie einfach nie zurück gekommen waren. Eine nicht unerhebliche Rolle dabei spielte die teuflische Selbstverteidigungskunst des Hausbesetzergelichters im Berg: das tote Zen.

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      Wenn Sie sich jetzt fragen, ob ich und meine Gefährten die ersten sein werden, die unter dem Berg Erfolg haben werden: so ist es. Die Gefangennahme, von der ich eben sprach, die, aus der wir uns nur unter großen Gefahren, ja man muss sagen: Opfern befreien konnten, sollte dabei eine entscheidende Rolle spielen.

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      „Zweimal durch. Und mit viel Speck.“ Ich ließ die Feile sinken, mit der ich bis eben versucht hatte, die Kette aus Eisenwurmzähnen zu durchtrennen, die mich und die betäubten Gefährten umschlungen hielt, und starrte ins Dunkel. Dumpf dröhnten die Trommeln der Teufelskröten. Ihre orgiastischen Schreie steigerten sich zu wilder Raserei. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis ihr Abgott Mak´ula sich aus dem Undezimagramm erheben würde, um uns und das Echtjuwel zu verschlingen. Ich durfte keine Zeit verlieren. Aber diese Stimme kannte ich. Dabei fällt mir ein, ich sollte vielleicht kurz erklären, was totes Zen überhaupt ist,

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      Eines meiner Sonette (selbst geschrieben, nicht von einer Brillenschlange erpresst) handelt vom Toten Zen. Es gefiel mir damals so gut, dass ich es für mich behielt, und lieber einen Zaubererbrilli mit Prügeln dazu zwang, mir ein anderes zu schreiben, das ich einem anderen Streber dafür gab, dass er meine Hausaufgaben in orkischer Logik machte.

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      Dies ist das Sonett, das der andere Brilli mir schrieb. Es ist nicht besonders, aber weil es der Ersatz für mein schönes Sonett über das Tote Zen war, ist es mir dennoch im Gedächtnis geblieben.

      Es kommt die Zeit, da alle Abenteurer am Abend tief im Berg der Ungeheuer die Waffen strecken und die Glieder im Zaubermantel und im Elfenmieder

      Es kommt der Tag, da alle Helden am Morgen gellend den Erfolg vermelden: Der Drache: tot, der Schatz: geborgen. Ich stehe hier, es fielen Monsterhorden. Und so wie heute wird es immer sein: Dann werd ich groß, bin ich auch klein.

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      Wenn Sie jetzt sagen: Das ist ja gar kein Sonett, dann haben Sie natürlich recht. Raten Sie mal, warum ich nach dem Abschluss „das Echtjuwel suchen ging.“ Eben. Der Brilli hat sich aber nicht getraut, sich darüber zu beschweren.

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      Mein Sonett ging so:

      Das Tote Zen ist eine Kampfkunst. Man lehrt sie wimmelndes Gezücht. Versenken soll man sich und tief im Wunst den Atem spüren und sonst nüchts.

      Ist so der Döns von allem Denken endgültig frei und leer getan kann man sich monstermäßig gut verrenken und Ärsche treten wie im Wahn

      Ein Wahn ist´s wirklich, der dich so ergreift Denn lebt das Zen, dann lebt das Hirn Beim toten Zen korrespondiert die innre Starre mit der äußeren Bewegung

      Doch Monster kümmert nur, dass Helden eingeseift werden, und zwar, wenn möglich, mit finaler Firn- -is aus Blut und solchen Sachen. Spirituelle Feinheiten kontern Monster mit dialektischer Negierung.

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      Wenn Sie jetzt sagen: Bewegung reimt sich ja gar nicht auf Negierung, da haben Sie recht. Ich habe aber mal ein hübsches Epigramm geschrieben, für das ich sogar einen Reimpreis bekommen habe.

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      Mihilfe des toten Zens schlugen die Monster im Berg alle Miethelden zurück. Wer nicht Handkanten und Fußtritten zum Opfer fiel, dem quoll das Hirn aus den Ohren, wenn sie ihm ihre Schlachtkoans entgegenbrüllten. Ein „Koan“ ist eine unlösbare Frage, die ein Adept des toten Zen von seinem Meister aufgegeben bekommt. Meist gibt es gar keine verbale Antwort auf die Rätselaufgabe, der Meister erkennt am Lächeln des Schülers, dass er durch Meditation über den Koan eine tiefere Ebene der Dummheit erreicht hat, und gibt ihm den nächsten Koan auf. Statt eines Lächelns kann auch Sabbern die richtige Antwort sein. Oder in die Ecke pinkeln. Oder ein halbstündiger Vortrag. Man weiß das erst, wenn man die entsprechende Ebene der Dummheit erreicht hat. Ein berühmter Koan des toten Zen lautet: Hat nicht dass Wovor des Erschreckens zunächst etwas Bekanntes und Vertrautes? Ein weiterer lautet: Ist Dabeisein in sich, sofern es ist, je schon auf eine begegnende «Welt» angewiesen, zu dessen Sein wesenhaft diese Angewiesenheit gehört? Ein dritter: Wenn ein Baum fällt und niemand kann ihn hören, ist es dann der lauteste Baum ever-ever-EVER?

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      Entschuldigen Sie, dass ich das hier so ungefiltert schreibe. Wie Sie inzwischen wissen, muss ich mir um mein Hirn keine Sorgen machen. Wenn Sie sich jetzt fragen, ob ich damit nicht geradezu zum Meisterschüler des toten Zen geboren bin, dann haben Sie recht. Das wurde mir aber erst später klar, als ich mit Kräcki, Staubvogt und dem schlafenden Manzani im Lager der Grußgnolle festsaß.

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      Mein preisgekröntes Epigramm ging so

      Muss ich mich auch mit ork´scher Logik plagen Schnetz ich doch Orks drum, logisch!, mit noch größerem Behagen.

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      Die Preisrichter waren keine Orks.

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      Die Preisrichter waren Grußgnolle.

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      Über Grußgnolle hatte ich was in dem wahnsinnig machenden Buch gelesen, das ich mit den Kumpels in jener Nacht im verbotenen Bereich der Bibliothek gesucht hatte. Grußgnollen sind zwergengroße, bärenähnliche Wesen, die alles und jeden zwanghaft stürmisch umarmen. In der Zivilisation groß gewordene Stadtgrußgnolle hören damit auf, bevor du an Sauerstoffmangel eingehst. In Ländern mit einem Süßheitstick wie zum Beispiel Cathay oder Shibuto gibt es einen wahren Kult um Grußgnolle; dort zieren sie Kaffeetassen, Schwertscheiden, Scharfrichterbeilchen, Teedeckchen und die Strickkleidchen, die man diesen kleinen Klopapierrollenpüppchen anzieht. In Pipapoto, der Hauptstadt von Shibuto, gibt es ein Vergnügungsviertel namens Papierschinko. Überarbeitete Kaufleute schleichen sich nach einem 22-Stunden-Arbeitstag dorthin, um sich eine halbe Stunde von pink eingefärbten Grußgnollen umarmen zu lassen, bis sie fast ersticken. Gelöst und gut gelaunt kehren sie dann an den Arbeitsplatz zurück. Die Liebe zu Grußgnollen oder Dingen, die fast ebenso süß wie Grußgnolle sind, hat dort einen eigenen Namen: krawall. Ich erinnere mich noch gut an die Gruppen shibutanischer Touristen, die bei ihren Touren durch den historischen Teil der Akademie von Ha´wat immer mit ausgestrecktem Finger auf die Übungsduelle von uns Barbaren


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