Solo für Sopran. Peter Gerdes

Solo für Sopran - Peter Gerdes


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schlecht.« Wiebke lachte schrill. »Wenn Hilke heute gefehlt hat, ohne dass ein ernster Grund vorlag, schmeißt der sie doch achtkantig raus. Wegen Unzuverlässigkeit. Na, und wenn es einen ernsten Grund gab …« Sie hob die Augenbrauen, bis sie unter ihrem fransigen Pony verschwanden.

      »Du hast recht.« Eifrig nickend schüttelte Stephanie ihre Mähne. »So oder so, Theda hat vielleicht doch noch eine Chance.«

      9.

      »Natürlich ist Urlaubszeit! Glauben Sie, ich weiß nicht, dass Urlaubszeit ist? Wissen Sie eigentlich, von wo ich anrufe?« Lüppo staunte selber, wie unbeherrscht er in den Telefonhörer brüllte. Mit seinen Nerven stand es offenbar nicht zum Besten. Und das schon nach nicht einmal einem halben Tag Stress.

      Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Sie lautete »klick«.

      Seufzend legte er den Hörer an seinen Ruheplatz. Wenigstens kein Anschiss wegen seiner Unbeherrschtheit. Zuweilen musste man ja mit wenig zufrieden sein.

      »Und?«, fragte der Mann, der sich an der gegenüberliegenden Seite seines Schreibtisches breit gemacht hatte. Was ihn nicht viel Mühe kostete, denn breit war er ohnehin. Ziemlich groß, mit ausladendem Kreuz und absolut kompatibler Wampe, einem stoppelhaarigen Rundschädel und kräftigen Armen und Händen. Stahnke. So sah der also aus.

      Merkwürdige Augen hat er, fand Lüppo Buss. Rund, hellblau, etwas wässrig, auf den ersten Blick absolut harmlos. Aber sie hafteten wie Saugnäpfe. Wenn der die Leute nur lange genug anschaute, saugte er mit diesen Augen bestimmt allerhand aus ihnen heraus.

      »Verstärkung kommt«, sagte der Inselkommissar. »Zwei Leute. Morgen. Mit der Fähre.«

      »Zwei?«, fragte Stahnke ungläubig. »Morgen?«

      Lüppo Buss lachte bitter. »Genau. Und das, obwohl wir hier gerade auf fünfzig Prozent der Sollstärke reduziert sind, sozusagen! Wittmund sagt, es gehe nicht anders, es sei Urlaubszeit. Tolle Neuigkeit für uns Insulaner.«

      Stahnke nickte versonnen. »Tja, das erklärt dann ja auch, warum ich hier bin. Urlaub machen. Komisch, dass ich trotzdem wieder in einem Polizeibüro sitze, was?«

      Lüppo Buss zeigte keine Reaktion.

      Der massige Mann ihm gegenüber fühlte sich alles andere als willkommen. Ist ja auch klar, dachte Stahnke. Wie würde ich mich denn fühlen, wenn plötzlich ein Kollege von auswärts bei mir reinschneien würde, und zwar just dann, wenn ich in der Klemme sitze? Noch dazu ein höherrangiger, einer, dessen Foto man aus der Zeitung kennt? Bescheiden, äußerst bescheiden würde ich mich fühlen, und mehr als das. Aber wenn ich seine Hilfe brauchen könnte, würde ich ihn nicht wegschicken, sonst wäre ich ja ganz schön blöd. Und blöd sieht dieser Lüppo Buss eigentlich nicht aus.

      »Da sieht man mal, was beim Plänemachen rauskommt«, erwiderte der Inselkommissar mit Verspätung.

      Stahnke entschied, dies als Einladung zur Mitarbeit zu betrachten. »Packst du nix an, dann schleit di nix fehl, pflegte mein Vater immer zu sagen«, erwiderte er. »Oder mit anderen Worten: Wer keine Pläne macht, der hat auch nichts zum Ändern.«

      Lüppo Buss grinste. »Stimmt. In meinem Fall heißt das, dass ich meinen Plan, die ganze Insel sowohl nach dem vermissten Mädchen als auch nach diesem verdächtigen Individuum zu durchkämmen, in die Tonne treten kann. Ohne eine Hundertschaft vom Festland ist das nicht zu machen. Am besten bräuchte ich dazu ein paar Züge Bereitschaftspolizei aus Oldenburg.«

      »Und die können Sie nicht anfordern, weil Sie Ihre vorgesetzte Stelle in Wittmund nicht übergehen dürfen.« Stahnke nickte. Befehls- und Zuständigkeitsstrukturen waren ihm gleichermaßen bekannt wie verhasst. »Aber die Blutuntersuchung machen die schon noch für Sie, oder?«

      Lüppo Buss nickte. »Die Unnerbüx ist schon unterwegs. Per Lufttaxi.«

      »Haben wir auch eine Vergleichsprobe für die Genanalyse?«

      »Ja«, bestätigte Buss. »Hilke Smits Waschzeug mit Haarbürste. Habe ich gleich dazugepackt.« Er rieb sich nachdenklich das Gesicht und strich sich danach sorgfältig über die dichten blonden Augenbrauen, ohne an deren raupenartiger Borstigkeit etwas ändern zu können. »In ihrem Zimmer fehlt nichts, sagen Hilkes Mitbewohnerinnen. Gepackt hat sie nicht.«

      »Sieht nicht gut aus«, murmelte Stahnke.

      »Morgen schicken sie mir also ein Ermittlerteam.« Der Ärger über die Kompetenzlage ließ Lüppo Buss offenbar so schnell nicht los. »Eins! Ich hatte drei angefordert, aber wer bin ich schon?« Hatte seine Stimme zuvor schon bitter geklungen, so wurde sie jetzt ätzend. »Hauptkommissar Dedo de Beer und eine Mitarbeiterin. De Beer wird die Sache an sich reißen, ist ja klar. Ich bin ja gerade gut genug für den Kleinscheiß. Fahrraddiebstähle, Ladendiebstähle, vielleicht mal ’n kleiner Einbruch. Oder hier, heute Morgen reingekommen, ein Bootsdiebstahl im Yachthafen! Aber wehe, es kommt mal dicker. Dann muss natürlich ein Hauptkommissar vom Festland ran.« Er schaute Stahnke an, als hätte er dessen Existenz zwischenzeitlich ausgeblendet: »Nichts für ungut, Herr Hauptkommissar.«

      »Klar.« Stahnke räusperte sich. »Sagen Sie, sind Sie denn nicht gerne hier auf Langeoog? Ich meine, wenn Sie sich beruflich verändern wollen, mal andere Schwerpunkte setzen, andere Tapeten begucken, dann haben Sie natürlich auf dem Festland ganz andere Möglichkeiten als hier.«

      »Um Gottes Willen, nein!« Lüppo Buss hob abwehrend die Hände. »Ich lebe furchtbar gerne hier. Bin auch hier geboren. Nicht, dass ich nicht schon mal was anderes gesehen hätte; während meiner Ausbildung bin ich ziemlich rumgekommen. Emden, Oldenburg, sogar Hannover. Habe mich durchaus schon ein bisschen orientiert. Gerade deshalb lebe ich ja so gerne hier.« Er beugte sich vor und pochte mit seinem rechten Zeigefinger auf die Tischplatte: »Aber dann soll das hier auch mein Beritt sein, bitteschön, verstehen Sie? Meiner und der von Bodo, meinem Kollegen. Dann will ich nicht den Eindruck haben, dass ich nur der Platzhalter bin, solange hier nichts läuft, was einen kompetenten Fachmann verlangt! Quasi als Trachtenfuzzi, der den Sessel warm hält, bis echte Polizisten kommen! Können Sie das nachvollziehen?«

      »Kein Problem, kann ich«, entgegnete Stahnke, ohne eine Miene zu verziehen. »Aber dass das eine ziemlich blauäugige Einstellung ist, wissen Sie schon, oder? Keiner von uns hat Anspruch auf Revierabgrenzungen und so etwas in der Art. Wir sind schließlich Beamte, keine Sheriffs. Oder Kopfgeldjäger. ‚Mein Beritt’ oder ‚mein Fall’ – das gibt es offiziell nicht.«

      »Weiß ich doch«, sagte Buss. »Offiziell. Aber man ist doch auch Mensch. Ich jedenfalls. Sie wohl auch, oder? Emotional funktioniert eben vieles anders als offiziell. Und emotional mag ich mir meine Motivation nicht gerne kaputttrampeln lassen. Meine Motivation ist nämlich sehr hoch, und sie ist für mich ein sehr hohes Gut. Ich betrachte es geradezu als Dienstpflicht, sie zu erhalten.«

      »Gute Einstellung«, sagte Stahnke.

      Lüppo Buss schmunzelte. »Sehen Sie«, meinte er dann, »das hätte Kollege de Beer niemals gesagt.«

      »Aha, so ist das.« Stahnke richtete sich auf. »Dann lassen Sie uns doch mal überlegen, was wir bis morgen früh tun können. Auch ohne Hundertschaft. Solange die Motivation noch hoch ist.«

      »Klinken putzen«, entgegnete Lüppo Buss prompt. »Restaurants, Kneipen, Cafés. Bilder von dem vermissten Mädchen habe ich ja bekommen. Vor allem die Läden abklappern, wo Jugendliche verkehren. Oase, Dwarslooper, Düne 13 und wie die alle heißen. Und dann die Hotels und Pensionen. Nachfragen, ob irgendwo ein Mann abgestiegen ist, auf den die Beschreibung passt.« Er grinste wieder: »Letzteres machen Sie am besten. Dann sparen wir uns das Phantombild. Die Ähnlichkeit zwischen Ihnen und dem Sittenstrolch scheint ja doch frappierend zu sein.«

      Stahnke grinste müde zurück: »Was glauben Sie, mit was für Gangstern ich schon verwechselt worden bin! Da könnte ich Ihnen Storys erzählen. Na, vielleicht ein anderes Mal.« Er schickte sich an aufzustehen, hielt aber inne: »Was ist eigentlich mit den Eltern des Mädchens? Sind die schon informiert?«

      »Habe ich versucht«, sagte Lüppo Buss. »Es geht aber keiner ans Telefon.


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