Vier Mordfälle für den Schnüffler: N.Y.D. New York Detectives Sammelband 4 Krimis. A. F. Morland
alte Menschen. Er kidnappte Kinder oder mischte bei einem Einbruch mit. Man sagte ihm nach, er wäre ein äußerst tüchtiger Allround-Mann, und das stimmte in gewisser Weise, denn im Verhältnis zu den Verbrechen, die Quirley Parsons schon begangen hatte, war sein Vorstrafenregister erstaunlich klein.
Als sich ihre Blicke trafen, sah Parsons hastig weg.
Er kaute nervös Gummi und tat so, als würde er sich auf das konzentrieren, was der Mann auf der Bühne zeigte. In Wirklichkeit schielte er immer wieder beunruhigt zu Bounts Tisch herüber. Bount Reiniger musste annehmen, dass Parsons seinen Stecken in jüngster Vergangenheit mal wieder besonders dreckig gemacht hatte.
Egal, was dabei herauskommen würde, Bount wollte die Gelegenheit nicht ungenützt lassen, mit Quirley Parsons ein paar Takte zu plaudern. Als er sich mit dieser Absicht erhob, zuckte der Ganove zusammen, blickte sich gehetzt um und setzte sich im selben Moment in Bewegung, wo Bount Reiniger den ersten Schritt in seine Richtung machte.
Grund genug für Bount, das Tempo zu forcieren.
Er schlängelte sich zwischen den Tischreihen hindurch.
Parsons setzte sich zu den Waschräumen ab. Er schien sich im Club 21 gut auszukennen, war bestimmt nicht zum ersten Mal hier und wusste, wohin er sich wenden musste, wenn er verduften wollte.
Ein baumlanger Bursche, so früh am Abend schon sternhagelvoll, stieß auf halbem Weg mit Bount zusammen und wollte sogleich Stunk machen. Er maulte: „He, Mann, können Sie denn nicht aufpassen? Was ist denn das für eine Art? Sie hätten mich beinahe umgerannt.“ Er ballte sofort die Fäuste. Sein glasiger Blick stach in Bounts Augen. Er fletschte die Zähne, als wollte er Bount den Kopf mit einem Schnapp abbeißen. „Ich verlange von dir, dass du dich entschuldigst, Bürschchen!“, knurrte er ganz hinten in der Kehle.
Bount war es wichtiger, Quirley Parsons nicht entkommen zu lassen, als auf die Provokation einzugehen, deshalb sagte er schnell: „Verzeihen Sie. Mir tut dieses Missgeschick aufrichtig leid.“
Danach schob sich Bount Reiniger an dem mit offenem Mund enttäuscht Gaffenden vorbei. Der um seine Schlägerei geprellte Betrunkene bellte hinter Bount her: „Feigling! Jetzt rennt der Dreckskerl auf die Toilette, um seine Unterwäsche zu reinigen!“
Bount beachtete den Kerl nicht weiter.
Der Zusammenstoß hatte ihn kostbare Zeit gekostet.
Quirley Parsons war nicht mehr zu sehen. Bount legte einen Zahn zu und erreichte die Waschräume. Von dort gelangte man zum Notausgang. Bount wäre bereit gewesen, um seinen rechten Arm zu wetten, dass Parsons sich für diesen Ausgang entschieden hatte.
Augenblicke später erreichte Bount den Notausgang. Quirley Parsons hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn hinter sich zu schließen. Ein zusätzlicher Beweis dafür, dass ihn sein schlechtes Gewissen zu größtmöglicher Eile angestachelt hatte.
Bount trat in einen rechteckigen finsteren Hinterhof.
Seine Augen gewöhnten sich rasch an die herrschende Dunkelheit. Irgendwo ritt Kavallerie über den Fernsehschirm. Hufgetrappel. Schmetternde Trompetensignale. Schüsse. Indianergeheul... Einer von den vielen amerikanischen Heimatfilmen.
Links neben der Tür türmten sich Plastikkisten mit leeren Flaschen. Vor allem Rick Brannons Limonaden waren hier stark vertreten. Bount blieb kurz stehen und lauschte. Ein Ventilator summte störend laut. Bount angelte sicherheitshalber die Automatic aus dem Schulterholster, damit Quirley Parsons auf keine dummen Gedanken kam. Er entsicherte die Waffe und schlich mit angespannten Nerven durch das finstere Rechteck.
Wieder eine offene Tür.
Und dahinter Motorengebrumm. Gleich darauf pfeifende Pneus. Ein Wagen schoss mit großer Geschwindigkeit die Straße entlang. Bount startete und als er seinen Fuß auf den schmalen Gehsteig setzte, sah er gerade noch das kurze Aufflammen von zwei Bremslichtern. Ein dunkler Chevrolet fegte um die Ecke und war in der nächsten Sekunde bereits nur noch zu hören, aber nicht mehr zu sehen.
Parsons hatte es vorgezogen, das Feld rechtzeitig zu räumen.
Weshalb er das getan hatte, hoffte Bount vom Besitzer des Club 21 zu erfahren.
22
An der Mahagonitür stand: PRIVAT.
Bount klopfte. Die Automatic steckte wieder in seinem Schulterholster.
„Ja, bitte?“, sagte hinter der Tür jemand.
Bount trat ein. Der Raum war mit Rosenholz getäfelt. An den Wänden hingen Kupferstiche. Alle Sessel waren mit echtem Leder überzogen. Den Boden bedeckte ein rehbrauner knöcheltiefer Teppich. An einem Schreibtisch saß ein Mann, der zur Dickleibigkeit neigte. Er trug eine riesige Schildpattbrille, durch die er Bount nun ohne großes Interesse musterte.
Auf dem Schreibtisch standen zwei Telefone, eine Uhr, die man nur einmal im Jahr aufziehen musste, Schreibzeug lag in einer ledernen Tasse...
Mit einem Lächeln, das keinen Anspruch darauf erhob, ehrlich gemeint zu sein, fragte der Mann: „Was kann ich für Sie tun?“
„Gehört Ihnen dieser Club?“, fragte Bount zurück.
„Allerdings.“
„Darf ich mich setzen?“ Bount wies auf den Besuchersessel.
„Aber ja“, sagte der Mann.
„Vielen Dank.“
Der Clubbesitzer legte die Handflächen gegeneinander. Sein Blick war noch intensiver als der des Türstehers.
„Mein Name ist Reiniger“, sagte Bount. „Bount Reiniger. Ich bin Privatdetektiv und hätte ein paar Fragen an Sie.“
Kein Lächeln mehr jenseits des Schreibtisches. Bount fand das befremdend. Die Freundlichkeit im Gesicht von Bounts Gegenüber war ganz plötzlich ausgeknipst. Der Mann schien eine ganze Menge gegen Privatdetektive zu haben. Mit belegter Stimme fragte der Clubbesitzer: „Was möchten Sie wissen?“
„Erst mal Ihren Namen“, sagte Bount.
„Carl Kilrain.“
Bount wurde sofort von seiner hellwachen Aufmerksamkeit gekniffen. Das war ja ein Ding! Mit einer solchen Überraschung hatte er nicht gerechnet. Sein Herz schlug um einen Takt schneller. Sein Besuch war bereits zu diesem Zeitpunkt ein voller Erfolg.
Carl Kilrain! Bount hörte diesen Namen heute nicht zum ersten Mal. Damit ließ sich eine wunderbare Brücke bauen, denn Kilrain, das hatte Bounts kürzliche Rundfrage ergeben, war ein guter Freund von Rick Brannon, dessen Bücher von Dave Booger geprüft worden waren.
Über den von Bount bearbeiteten Fall spannte sich mit einem Mal ein beachtenswerter Bogen.