Eine offene Rechnung. Angelika Ebeling
atmete tief ein. Doch, es war Lavendel. Wer hatte auf ihrem Platz gesessen?
Am Flughafen verabschiedete er sich schnell, drückte sie kurz an sich, ein flüchtiger Kuss. Sie blickte ihm noch eine Weile hinterher. Flog er vielleicht nicht allein? Wartete jemand schon im Flugzeug? Sie wurde von hinten angestoßen, eine Gruppe Japaner stolperte schwatzend durch die Halle.
Zuerst suchte sie in den Taschen seiner Anzüge, schnupperte an den Kragen. Sie fand ein unbenutztes Tempo, er nahm nie Papiertaschentücher. Dann ein unverfänglicher Anruf im Büro, nein, die Brille vom Chef liegt nicht auf dem Schreibtisch.
Wie hieß das Hotel – war es das vom letzten Mal? Ja, Herr Dr. Winter habe sein Zimmer bezogen, soll etwas ausgerichtet werden? Schnell legte sie auf.
Alles nur Einbildung? Mit einer Flasche Rotwein ging sie ins Bett, ihre Hand streichelte sein Kopfkissen.
Warum rief er nicht an? Am Morgen seine SMS, sie klang ehrlich, lange Sitzung mit dem Vorstand, Abendessen, dann wollte er sie nicht mehr wecken. Es war Zeit, sie musste ins Labor, die neue Versuchsreihe sollte gestartet werden.
Sie würde wachsam sein. Die Odyssee ihrer Mutter würde sie nicht… Nie! Abends dann sein Anruf.
Er wirkte angespannt, die Verhandlungen liefen zäh, nein, Hamburg habe er sich noch nicht ansehen können. Er käme Mittwoch. Wie es ihr gehe, wollte er nicht wissen. Ja, bis morgen.
Die Assistentin rief sie ans Telefon. Er meldete sich vom Flughafen, ja, er hätte die Frühmaschine genommen, wollte gleich ins Büro. Sie würden sich ja abends sehen.
Er hatte sich nicht an die Absprachen gehalten. Sie blieb eine Weile mit dem Telefon in der Hand stehen. Ihre Hände waren plötzlich kalt, ein leiser Druck im Magen machte sich bemerkbar.
"Anna, wir warten auf dich." Sie schüttelte sich, reiß dich zusammen. Alles ist vielleicht ganz harmlos, die Arbeit. Der Test verlief wie erwartet, die Ergebnisse bestätigten ihre Theorie, es ging vorwärts, endlich.
Als sie die Tür aufschloss, duftete es verführerisch, ihre Lieblingspasta. Beethoven aus dem Wohnzimmer, wollte er etwas gutmachen?
Die Begrüßung herzlich, nicht wie früher zärtlich. Auf dem Esstisch gelbe Rosen, gelbe.
Anna, du siehst Gespenster, warum sollte er denn…?
Sie plauderten lange, er war entspannt. Dann die Neuigkeit, Shanghai stand auf der Agenda der Firma, eine Außenstelle. Wann könne er nicht sagen, es sei noch zu früh. Anna dachte an ihre Arbeit, an die bevorstehendenden Versuchsreihen, die nächsten Monate waren genau geplant. Shanghai stand nicht auf ihrer Rechnung. Hatte er ihre Dissertation vergessen? Als sie aus der Dusche kam, schlief er. Sie drückte ihre Faust in den Mund.
Donnerstagmorgen
Seine Hand schob sich unter ihr Nachthemd, es ging alles sehr schnell. Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, sein Stöhnen steckte sie an, sie genoss den Augenblick.
Er schlief mit ihr, war das nicht Beweis genug. Etwas später grinste er in den Spiegel. Jetzt war sie sich nicht mehr sicher.
Als sein Anruf kam, stießen sie gerade mit Sekt an, die zweite Testreihe war auch erfolgreich. Glückwunsch vom Chef. Ihre Wangen glühten, als sie ihr Handy ans Ohr hielt.
Unvorhergesehene Vorstandssitzung, außerhalb – ja, übers Wochenende, er bedaure, den Ausflug würden sie natürlich nachholen, es ist wirklich wichtig. Schon hatte er das Gespräch beendet. Kein Wort, wo er hinwollte, wann er wiederkäme. Ihr Magen verkrampfte sich wieder, sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Unauffällig lief sie zum Klo. Sie brüllte in die Spülung.
Freitagabend, allein auf der Couch.
Sie starrte auf den Sprecher der Tagesschau, Bilder aus Shanghai, Hochhäuser, nichts als Hochhäuser.
In der Hand hielt sie ihr Handy. Wann würde er anrufen? Sollte sie sich melden? Kurz vor zehn die SMS. Alles liefe gut, er sei müde, morgen würden sie telefonieren. Den Sonnabend verbrachte sie mit Putzen. Wie wild schrubbte sie die Fliesen, der Schweiß floss ihr den Rücken hinunter. Als wollte sie ihre Liebe wieder sichtbar machen, mit aller Kraft.
Sie fürchtete sich vor der Nacht, vor den bösen Gedanken, die leichtfüßig in ihrem Kopf zu tanzen schienen und ihr den Atem nahmen.
Sonntag
Sie hielt es nicht länger im Bett aus, sie musste laufen, sofort. Als sie durchgeschwitzt nach Hause kam, stand er im Wohnzimmer und telefonierte. Seine Stimme war verhalten, er sprach sehr schnell und eindringlich. Sie verstand aber nichts.
Bei der Begrüßung bemerkte sie einen neuen Duft an ihm. Er hätte sich unterwegs ein neues Rasierwasser kaufen müssen, seins hätte er vergessen.
Sie beobachtete ihn unauffällig, oft schaute er zu seinem Handy, ging in seinem Arbeitszimmer hin und her. Abends kochte er, so wie früher, wirkte er entspannter? Er trank mehr Rotwein als sonst. Hatte er Angst vor der Nacht?
Als er unter der Dusche stand, vibrierte leise sein Handy. Ohne zu zögern griff sie danach. Eine neue Nachricht: "Das Wochenende war schön. Wann meldest du dich?" Kein Name.
Eine heiße Welle durchlief ihren Körper. Sie wollte weitersuchen, aber das Wasser rauschte nicht mehr, sie legte das Handy wieder zurück.
Montagmorgen
Sie musste vor ihm aus dem Haus, sonst wäre sie explodiert. Den frühen Anruf aus dem Labor glaubte er ohne Argwohn. Er hinterfragte seit langem nichts mehr, was ihre Arbeit betraf…
Sie fuhr zum Fluss, lief über die Halbinsel. Die Luft war feucht. Durchatmen. Aus und ein. Konzentrier dich, hörte sie ihre innere Stimme, aber die war schwach. Sie musste laufen, ihr Körper verlangte nach Bewegung. Völlig erschöpft stieg sie ins Auto. Es war nur ein kurzes Überlegen, dann hatte die Wissenschaftlerin in ihr gesiegt.
Im Labor klappte auch der dritte Test. Zufriedenheit bei allen Beteiligten. Der Institutsleiter fand wohlwollende Worte. Bis man mit dem Ergebnis an die Presse, d.h. an die Öffentlichkeit trete, würde es noch dauern. Gut so, dachte sie.
Die Woche verlief ruhig. Die Arbeit schuf Fluchtbereiche… Erschöpft saßen sie abends am Tisch, aßen Tiefkühlkost. Sie spürte seine gedankliche Abwesenheit. Freiraum, den sie brauchte.
Freitagabend
Das Unterbewusstsein war vorbereitet. Die Nachricht, dass er auch an diesem Wochenende dienstlich verreisen müsse, kam nach 22 Uhr – angeblich per E-Mail. Zum Schein tat sie enttäuscht. Als er zu ihr ins Bett kam, hatte sie das Nachthemd bereits abgestreift. War er verwundert über ihre Hingabe? Danach schlief er sofort ein. Kurz nach Mitternacht verließ sie für zehn Minuten das Zimmer.
Montagmorgen
Sie stellte das Radio lauter – in der Hand eine Tasse Kaffee. Der Sprecher überbrachte zügig und ohne Emotionen die Meldung des Tages. In einem Waldstück nahe der Stadt fand man zwei Leichen in einem Auto. Die beiden Männer waren nackt.
Die Polizei konnte die Todesursache noch nicht ermitteln. Die Gerichtsmediziner fanden Spuren einer völlig unbekannten Substanz in den Lungen der beiden Toten.
Ruhig stellte sie ihre Tasse in die Spülmaschine und fuhr ins Labor.
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