100 Prozent Triathlon. Roy Hinnen
stärken und die beiden Seiten auszugleichen.
Vor dem Start im Freiwasser solltest du dir deine Umgebung genau ansehen und ein Bild ganz besonders einprägen. Zum Beispiel ein Haus am Ufer gegenüber, einen Berg oder einen Baum – such dir eine möglichst hohe, offensichtliche Struktur aus. Wenn du im Wasser bist, übe auch hier erst einmal mit geschlossenen Augen. Stell dir dabei vor, du hättest ein drittes Auge auf der Stirn. Visualisiere zusätzlich eine Linie über dir, die auf das Ziel zuführt, das du dir zuvor eingeprägt hast. Nun folge mit dem dritten Auge der Linie. Achte dabei auf das Licht, denn auch wenn deine Augen geschlossen sind, kannst du sehen, wo es heller ist und wo dunkler. Es gibt blinde Menschen, die anhand unterschiedlicher Schattierungen sehr gut die Richtung erkennen können.
Diese Übung mag sich speziell anhören, hilft dir aber, Vertrauen zu fassen und drauflos zu schwimmen. So lernst du die Orientierung im Freiwasser, ohne Angst und Unwohlsein.
13 %
SCHWIMMEN
Ich habe die Resultate des Neo-Testschwimmens studiert, aber so ganz verstehe ich sie nicht. Am Ende weiß man, dass Anzug XY der beste für den Schwimmer YZ ist. Da jeder einen individuellen Körperbau und Schwimmstil hat, lässt sich das Ergebnis doch nicht verallgemeinern. Ich denke, dass fast jeder einen anderen Anzug braucht bzw. haben sollte.
Okay, daraus lese ich, dass du eine Meinung vertrittst, die leider noch immer viele haben. Wir haben beim Neotest bewusst keine „individuellen Athleten“ getestet, sondern ihre Schwimmstile in 5 Schwimmfehler-Gruppen gepackt, ihre Defizite den 38 Neos gegenübergestellt und mit Laktat und Sauerstoffverbrauch gemessen. Das macht das Ganze dann schon sehr repräsentativ. So individuell wie du denkst, schwimmst du nicht. Die immer gleichen Schwimmfehler werden von x-tausenden Triathleten wiederholt. Diese vielen Triathleten kannst du am Ende in 5 Hauptgruppen zusammenfassen, wobei in jeder Gruppe ein dominanter Fehler überwiegt, der die Technik und die Wasserlage beeinflusst.
Zu wenig Abdruck hinten
•Der Arm wird zu nah am Körper nach hinten geführt. Das führt in der Folge zu zu wenig Druck, da die Verwirbelung in diesem Bereich zu groß ist.
•Der Ellenbogen bleibt nicht stehen. Das führt dazu, dass kaum Vortrieb durch die Unterarmfläche generiert wird.
•Zu kurzer Zug – die Hand verlässt zu früh das Wasser. Der Bewegungszyklus unbedingt nach hinten verlängern.
Schlechte Wasserlage
•Die Hüfte liegt zu tief und ist zudem sehr unruhig.
•Der Schwimmer nutzt primär die Hände als Abdruckfläche für den Vortrieb. Der Unterarm bleibt auch hier ungenutzt. Den Ellenbogen bewusst anstellen und Potential nutzen.
•Die Hände stehen nicht senkrecht zur Wasseroberfläche. Damit geht viel Druck (Potential) verloren.
Zu wenig Beinschlag
•Der Schwimmstil wirkt dadurch (u.a. durch das Timing der Atmung) etwas „abgehackt.“
•Der Unterarm wird nicht eingesetzt, d.h. bewusst gegen das Wasser stellen. Aktuell wird Druckfläche nicht genutzt.
•Die Hände könnten etwas früher, d.h. näher am Kopf, ins Wasser gehen und nach vorne geschoben werden. Damit hätte der Schwimmer mehr Zeit zum „Wasserfassen“ und für das richtige Anstellen der Hand. Aktuell ist diese Phase etwas kurz.
Arme zu weit außen am Körper
•Der Unterwasserzug verläuft viel zu weit außen. Damit gelingt es dem Schwimmer nicht, seine Kraft ins Wasser zu bringen, und sein Stil wirkt „krakenartig“.
•Die Handflächen werden viel zu spät angestellt, d.h. kaum Druck/Vortrieb in der ersten Phase des Zuges.
•Der Zug endet zu früh. Der Schwimmer vergibt damit Zuglänge und benötigt eine höhere Frequenz.
Armzug zu tief im Wasser
•Die Arme stechen viel zu steil ins Wasser. Die erste Phase des Zuges und damit das Vortriebspotential geht dadurch nahezu komplett verloren.
•Der Schwimmer stellt die Hände zu spät und dann auch nicht konsequent genug gegen das Wasser. Dadurch leiden Effektivität und Effizienz. Der Ellenbogen bleibt auch hier nicht „stehen“, d.h., der Schwimmer vergibt die Möglichkeiten einer maximalen Abdruckfläche aus Hand und Unterarm.
•Der Kopf scheint sehr tief (insbesondere nach der Atmung).
Wir sind in Zusammenarbeit mit dem britischen Triathlon-Ausrüster HUUB gerade dabei, Neoprenanzüge zu entwickeln, die diesen Hauptgruppen helfen. Jemand mit wenig Schulterflexibilität braucht einen anderen Anzug als jemand, der bei der Rotation die Wasserlage verliert.
Ein Neoprenhersteller sollte keine günstigen bis teuren Anzüge produzieren, sondern 5 verschiedene Modelle, die die richtige Unterstützung für die jeweiligen Hauptfehler liefern. Wenn wir uns am Markt umsehen, gibt es den schnellsten Laufschuh – den Nike Air Zoom Alphafly NEXT% –, einen TriBike-Rahmen mit dem besten „Sailing-Effect“ – den Cube Aerium C:68 –, und den schnellsten Aeroanzug fürs Zeitfahren – den Anzug vom Team Sky (mit einem Vorteil von bis zu 20 und mehr Watt gegenüber der Konkurrenz, das sind 30 bis 60 Sekunden über ein 30-minütiges Zeitfahren). Der Aeroanzug wurde von Castelli produziert, und obwohl es diesbezüglich genaue Richtlinien gibt, hat man es bestens verstanden, unter dem Gewebe ein Aeromaterial einzuweben, das den Unterschied ausmacht. Der Anzug ist dennoch legal! Folglich muss es auch für deinen Hauptfehler den besten Neo geben.
Doch warum gibt es keine Neoprenanzüge, die den Bedürfnissen der Athleten wirklich gerecht werden? Das Problem ist, dass der Markt zu klein ist, um von den Herstellerfirmen wirklich gute Test-Studien zu erhalten. Schätzungsweise werden vielleicht 100.000 Neoprenanzüge pro Jahr verkauft, sagen wir zu einem Durchschnittspreis von 290 €. Das ergibt einen Weltumsatz von 29 Mio. €. Diesen Umsatz müssen sich etwa 25 Neopren-Hersteller teilen. Das wirft viel zu wenig ab, als dass die Herstellerfirmen richtig gute Tests durchführen könnten. Ich kenne nur eine Firma – HUUB – die dies gewährleistet, alle anderen Hersteller sind Marketing-Firmen. Das tut meinem Werkzeugmacher- und Coaching-Herzen weh. Keine der Firmen konnte uns im Vorfeld unseres Neo-Tests Resultate ihrer eigenen Tests liefern. Im Gegensatz zu uns, die wir alles offengelegt und per PDF abrufbar gemacht haben.
Wir haben 114 Medien angeschrieben und sie mit den Ergebnissen unseres Neoprentests beliefert, doch nur ganz wenige haben sie verbreitet, die meisten durften nicht, da sie vertraglich gebunden waren. Wenn ein Neo-Hersteller einem Magazin 10.000 € pro Jahr zahlt, damit seine Promotion läuft, hat er sicher kein Interesse daran, einen Testbericht zu lesen, in dem sein Anzug nicht der beste ist… Als Unternehmer habe ich hier ein Thema aufgegriffen, bei dem es eigentlich nur Verlierer gibt – denn am Ende gibt es nur einen besten Anzug!
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