Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler


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Denkmal gesetzt, in ihrem Roman Gas gegen Gas, den sie in einem Nachdruck Das Mädchen von Lagosta genannt hat. »Lagosta« ist eine Phantasie-Insel vor der Adria-Küste, ein kleines Traumland, das viel Ähnlichkeit mit dem realen Abbazia/Opatija hat:

      Wind, Sonne und Wasser; der trockene würzige Duft heißer Piniennadeln auf den Lichtungen des Waldes; das Brennen der erfrischten, vom kalten Salzwasser noch nassen Glieder auf den flachen, erhitzten Steintafeln des Ufers; Fahrten im Boot nach der Küste, deren Felsen sich steil vom Grün der Agaven und Lorbeerbäume erhoben; […] Fischfang am frühen Morgen oder müßiges Träumen im Schatten des geliebten blauen Baumes. […] Vor ihnen lag […] die Steinmauer, aber darunter das Meer, zu dieser Stunde der abendlichen Dämmerung mit zauberhaften Farben übergossen. Das Land fiel hier nicht schroff ab als Steilküste, sanft senkte es sich zum Wasserspiegel in vielen kleinen, weichen Buchten, schmückte sich mit unzähligen weiß, rosafarbig und glutrot blühenden Gebüschen und Bäumen. […] Rechts vom Hause fing der Wald an, aber links ging der Garten weiter, und durch die Stämme der Orangenbäume und Palmen schimmerte es vor Blumen. […] Sie hob Apfelsinen vom Boden auf und schüttelte eine japanische Mispel, dass die kleinen, gelben, kugeligen Früchte über den Weg rollten. An Blüten und Blättern roch sie. Sie strich mit der Hand über Taxus und Lorbeer, pflückte einen winzigen Zweig Jasmin und steckte die Nase in eine voll erblühte weiße Lilie, die sie gelb überpuderte.[96]

      Czernowitz

      Nun also Czernowitz, das »Wien des Ostens«, Hauptstadt der Bukowina, des »Buchenlandes«: ein größerer Kontrast war kaum denkbar. Denn wenn die Stadt auch von vielen Dichterinnen und Dichtern, die aus ihr stammten, besungen worden war, von Rose AusländerAusländer, Rose, Paul CelanCelan, Paul, Gregor von RezzoriRezzori, Gregor von, Karl Emil FranzosFranzos, Karl Emil, Moses RosenkranzRosenkranz, Moses: Auf mindestens ebenso viele wirkte sie abstoßend, hässlich und schmutzig.

      Auch Camilla, die Heldin von Doras Roman, empfindet das so, wobei Dora Czernowitz durch das 270 Kilometer entfernte Lemberg, heute Lviv, ersetzt, um nicht zu autobiographisch zu werden:

      Weit, weithin dehnte sich die unendliche Ebene, einförmig und trostlos, ohne Seen und Wälder, ohne Berge. Es regnete ohne Unterlass. […] Das bedrückende Grau des Himmels lastete auf Stoppelfeldern und Kartoffeläckern. Man sehnte sich nach einem Stückchen Lieblichkeit, nach einer romantischen Weide, dem erlenbestandenen Lauf eines Flüsschens. Aber es gab nur öde Pappelalleen, in denen der Nebel hing, unsaubere Lehmhäuser, an denen die Feuchtigkeit schon bis unters Dach gekrochen war, und trübes Wasser von Teichen, die ihre Ufer überfluteten.

      Die podolische Ebene barg auch bei gutem Wetter für Camilla wenig Reize, es war ihr nie gelungen, die Schönheit der Steppe zu begreifen, von der die russischen und polnischen Dichter singen; unwillkürlich suchte ihr Auge immer nach Berggipfeln, nach Wasserfällen und Wäldern. […]

      Das gelbe Gebäude im Barockstil […] roch nach Tinte, Staub, Kreide und Lysoform wie eine Schule. Camilla erinnerte sich, dass sie einmal vor vielen Jahren mit ihrem Onkel hier gewesen war. Und plötzlich sah sie die ganze Stadt, durch die sie wie eine Fremde gewandert war, mit den Augen des heimwehkranken kleinen Mädchens, sie spürte wieder den brennenden Hass, den die lehmigen Seitenstraßen ebenso stark in ihr erweckt hatten wie die rosengeschmückten Anlagen, die schmutzigen Treppenaufgänge ebenso wie die herrlichen altertümlichen Kirchen und Festungsmauern. Der schönste Ort der Welt wird zur Hölle, wenn man sich mit der ganzen Kraft eines vierzehnjährigen Herzens fortsehnt.[97]

      Leon KellnerKellner, Leon hatte eine Wohnung in der Franzensgasse 35 gemietet. In der Nachbarschaft wohnten Professoren, Pelzhändler, Schlosser, Posamentierer, Schuhmacher, Tischler, Lehrer, Kaufleute und Fiakerkutscher. Sogar die Redaktion des »Bukowinaer Volksblattes« hatte hier ihren Sitz. Das Gesamtbild der Straße war allerdings trostlos. Die meisten Häuser waren ein-, wenige zweistöckig. Nur die neueren hatten elektrisches Licht. Wenn es regnete, stapfte man durch tiefen Matsch, denn die Straße war größtenteils unbefestigt und bei Schnee und Glatteis fast nicht passierbar. Da sie weit ab vom Stadtzentrum lag, wurde sie kaum je gereinigt oder instand gehalten.

      Bei jedem Wetter trieb man Vieh über die Fahrbahn, das, vom Land kommend, auf den Markt gebracht werden sollte. Herrenlose Hunde streunten herum und griffen Passanten an.[98] Vor den Wirtshäusern sammelten sich die Betrunkenen. Krawalle und Schlägereien waren an der Tagesordnung.[99]

      Kein Wunder, dass AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) ihrem Mann bittere Vorwürfe machte, sie hierhergebracht zu haben. KellnerKellner, Leon konnte wenigstens in die Universität oder die »akademische Lesehalle« fliehen. AnnaKellner, Anna (geb. Weiß) nicht. Sie saß Tag für Tag auf der Franzensgasse und versuchte, sich auf ihre Übersetzungen zu konzentrieren. Mit Erfolg. Denn in Czernowitz würdigte man sie schon bald als eine der Besten ihres Faches. »Mit ersten Jänner 1906 beginnen wir mit der Veröffentlichung eines hervorragenden englischen Romanes, übersetzt von Frau Anna KellnerKellner, Anna (geb. Weiß), der Gattin des Herrn Universitätsprofessors Dr. Leon KellnerKellner, Leon«, hieß es in einer der Tageszeitungen. »Frau KellnerKellner, Anna (geb. Weiß) hat sich auf diesem Gebiete einen bedeutenden Namen erworben, und ihre feine Übersetzungskunst wird auch hier neue Freunde und Verehrer finden.«[100] Es handelte sich um den Roman Um ein Linsengericht von Mary CholmondeleyCholmondeley, Mary, eine Geschichte über Ehebruch, Emanzipation, schreibende Frauen und den engstirnigen englischen Klerus, die zum Teil fast satirischen Charakter hat, ein Paradestück viktorianisch-feministischer Literatur, das bei seinem Erscheinen in England für Skandale sorgte. AnnasKellner, Anna (geb. Weiß) Übersetzung war die erste Übertragung ins Deutsche. Damit stand sie genau da, wo ihr Mann sie auf keinen Fall sehen wollte: im Zentrum der österreichischen Frauenbewegung. In ihren Erinnerungen klammert sie »Szenen« in ihrer Ehe sorgsam aus. Aber es wäre ein Wunder, wenn es sie jetzt nicht gegeben hätte.

      Lichtblicke

      Als Dora kurz nach der Ankunft darauf bestand, das Czernowitzer Mädchenlyzeum besuchen zu dürfen, konnte KellnerKellner, Leon kaum nein sagen, denn was er PaulaKellner, Paula erlaubt hatte, musste er auch Dora gestatten. Es führte zwar auch nur zur Lyzeal-Matura, war aber staatlich anerkannt und galt als sehr liberal. Unter den rund 400 Schülerinnen waren Deutsche, Rumäninnen, Rutheninnen und Polinnen. Weit über die Hälfte von ihnen waren Jüdinnen, denn Czernowitz hatte eine große jüdische Bürgerschaft, darunter viele Akademiker, Geschäftsleute und hohe Beamte. Auch der Bürgermeister, Dr. Eduard ReißReiß, Eduard, war Jude und setzte sich für die deutsch-jüdische Kultursymbiose ein.[101]

      Da es in Czernowitz wenig Ablenkung gab, hatte Dora genügend Zeit, Klavier und Gesang zu üben. Auf dem Klavier spielte sie besonders gern BachBach, Johann Sebastian, HaydnHaydn, Joseph, MozartMozart, Wolfgang Amadeus und BeethovenBeethoven,


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