Fahlmann. Christopher Ecker

Fahlmann - Christopher Ecker


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zu den Zelten zurück; Hennig erwartete ihn mit einer zerbeulten Blechkanne und einer Tasse ohne Henkel. «Hier, trinken Sie einen Kaffee. Sie sehen aus, als ob Sie im letzten Augenblick dem Schlund eines Löwen entkommen wären! Zucker? Zu stark?»

      «Auf gar keinen Fall. Nehmen Sie keinen Kaffee?»

      «Ich habe schon. Sie sollten einen bewaffneten Boy mitnehmen, wenn Sie sich vom Lager entfernen.»

      «Unglaublich, dass es Leute gibt, die ihr Leben ohne Kaffee fristen!» Bahlow leerte die Tasse, die Zelte wurden abgeschlagen und verstaut, dann marschierten sie weiter.

      «Eine Frage, Doktor Bahlow! Haben Sie sich jemals mit der Paläontologie beschäftigt?»

      «Nicht näher …» Er kratzte sich unauffällig am Oberschenkel. «Meine paläontologischen Kenntnisse beschränken sich auf die Beobachtung von Silberfischchen in Pariser Hotelbadezimmern.»

      «Na, immerhin!», sagte Hennig, und Bahlow beeilte sich hinzuzufügen, er habe durchaus vor, seine Defizite in dieser jungen Wissenschaft («in dieser im Vergleich zum untersuchten Gegenstand bestürzend jungen Wissenschaft») mit Hennigs freundlicher Hilfe wettzumachen.

      «An mir soll es nicht liegen», lachte Hennig, und die Art, wie er Bahlow dabei ansah, ließ diesen argwöhnen, dass er dem jungen Mann leid tat. Seltsam. Er tat Hennig leid. Das muss man sich erst einmal vorstellen! Er, der mittlerweile eine Monographie über James Cook hätte schreiben können, tat Hennig leid! Und gleichzeitig tat ihm Hennig leid, eigentümlich, die Überlegungen bogen sich zum Kreis, dieser begann zu rotieren, und ehe Bahlow schwindlig werden konnte, brachte er den Kreis zum Stillstand, indem er ihn in Gedanken energisch durchstrich. Gleichzeitig blieb auch Hennig stehen und zog den Kompass zu Rate. «Es geht immer nach Nordosten.» Die Nadel zitterte unter dem streng prüfenden Blick. «Nur ein Narr könnte den Tendaguru verfehlen.»

      «Und was ist das?», fragte Bahlow und deutete mit der Wasserflasche auf eine Schirmakazie, in deren flachgedrückter, schiefer Krone seltsame Früchte baumelten.

      «Nester des Webervogels.»

      «Vogelnester?»

      «So ist es», lachte Hennig.

      «Schön», sagte Bahlow. «Und ich dachte schon …»

      «Was dachten Sie?»

      «Nichts», murmelte er. Dieser niederländische oder war es ein flämischer Maler, der diese Kreaturen, als sie am Strand spielten, schwarzweiße Reproduktionen in einem illustrierten Journal, am Strand, der eine Eule fliegen ließ, die Hitze lähmte das Denken am Strand, seine Füße marschierten im Rhythmus gedachter Lieder, eine Eule fliegen ließ, bei jedem Schritt blinkten Silben im Kopf auf, un, be, klei, det, am, Strand, ahh, ohh, uhhh, Bahlow erlief Worte, ganze Sätze, die Zeilen eines vulgären Gassenhauers, und nur in den kurzen Pausen zwischen Kehrreim und nächster Strophe war die ferne Stimme seines Begleiters zu vernehmen. Gelegentlich wurde es jedoch, und das war sehr schlimm, totenstill, und Bahlows Gedanken segelten auf den stygischen Gewässern einer bangen Gewissheit voraus. Dennoch war es nicht zu leugnen, dass man ihn sah. Hennig sah ihn. Die Neger sahen ihn. Und es war ebenfalls nicht zu leugnen, dass sein Herz schlug. Und wie es schlug! Nanu? Was hatte diese Aufregung zu bedeuten! Humba, humba, täterä! «Was sagen die?»

      «Sie wollen, dass Sie mitkommen», übersetzte Hennig.

      Von nun an riefen die Träger fast viertelstündlich Bahlow herbei, um ihm einen Käfer oder ein großes Insekt zu zeigen und danach strahlend zu beobachten, wie der Käfermann es durch einen eleganten Schwung des Fangnetzes seiner stetig wachsenden Sammlung einverleibte. Nur selten hörte man noch Gelächter oder ein leise gesungenes baba kufa, mama kufa. Und weiter, weiter. Fuß vor Fuß. Wassertrinken. Uff! Und weiter, weiter. Fuß vor Fuß. Wassertrinken. Uff! Nachdem zwei seichte Zuläufe des Namgaru durchschritten waren, marschierte der kleine Trupp zwischen dem Likonde- und dem Notoplateau hinaus in das freie, weite Land der Obstgartensteppe. Mit Bahlows Gesicht tat sich derweil Erstaunliches. Als Kinder hatten sie die Ohrenquallen, die der Ostwind in die Förde drängte, aus dem Meer gefischt und sich damit erbitterte Schlachten geliefert. Hätte man ihm damals hingegen eine mit einem Stock geschleuderte Feuerqualle ins Gesicht geworfen, danke sehr, ich habe genug gesehen, Bahlow gab Hennig den Taschenspiegel zurück, das abgestandene Wasser des Tümpels hatte seiner ohnehin entzündeten Gesichtshaut übel mitgespielt.

      «Verzeihen Sie! Ich hätte Sie vor stehenden Gewässern warnen sollen.»

      Bahlow rang sich ein Lächeln ab. «Nun habe ich es selbst herausgefunden. Der Sonnenbrand tut sein Übriges.» Sein Unsriges? Unsriges fernem Heimats? Bahlow ergriff ein schmerzhaftes Heimweh nach Kiel, dieser kühlen, in Dunst und Sprühregen gehüllten Stadt, auf deren breiten Chausseen der Seewind regierte. Als er – oh, wie lange das nun schon her war! – das Hauptpostamt verließ, hatte der salzige Ostwind alle Wolken vom Himmel gewischt, und wie die Straßen damals dampften! In Kiel brauchte man keinen Kompass, in Kiel kannten die Füße ihren Weg, wählten Abkürzungen, erinnerten sich an Schleichpfade, blieben artig stehen, damit man die Auslage eines Tabakladens gebührend bewundern konnte. Und weiter, weiter. Fuß vor Fuß. Wassertrinken. Uff!

      Am vierten Tag des Marsches verschwand der Kompass in Hennigs Brusttasche, um daraus nicht wieder aufzutauchen, denn inmitten des Flachlandes erhob sich der Tendaguru, trotz seiner geringen Höhe eine deutliche Landmarke; und in den frühen Morgenstunden des fünften Tages erreichten sie das Gebiet der Grabungen. Bahlow bot sich ein Bild der Verwüstung. Zu beiden Seiten des Pfades zogen sich mannstiefe Gräben hin, kreuzten den Weg unter durchhängenden Holzbrücken, bildeten ausgeschachtete Schlaufen und Kreise, die sich allein den Vögeln als Buchstaben einer geheimnisvollen, in den Erdboden gegrabenen Schrift offenbarten. Zog die Karawane aus Lindi vorüber, sahen die Arbeiter aus den Gruben auf und stützten sich auf ihre Hauen und Schaufeln. Hennig begrüßte die Aufseher gutgelaunt und auf Kisuaheli. Bahlow ließ es bei einem unverbindlichen Nicken bewenden, visierte dabei den einen oder anderen Neger an, doch bald wurde sein Nicken vager, unsicherer, und schließlich gab er es ganz auf. «Da staunen Sie, was?» Der Pfad umschlang einen gewaltigen Haufen neben einer etwa fünf Meter tiefen, stufenförmig angelegten Ausschachtung, die Wände schräg, mit Bambusgeflecht verschalt. Am Boden der Grube, einer mit rötlichem Sand gefüllten Wunde, hockte ein gutes Dutzend Arbeiter mit bloßen, schimmernden Oberkörpern. Sie legten das steinerne Rückgrat eines Dinosauriers frei, bewegten Hammer und Meißel zum rhythmischen Gesang des Aufsehers. Zwischen den Wirbeln kamen schmale lange Messer und kleine Handbesen aus bunten Vogelfedern zum Einsatz. «Die herausgewitterten Knochenstücke sind, obwohl durch Sonne und Regen zersplittert und zersprengt, wichtige Wegweiser», dozierte Hennig cooklos. «Wie die Spitze eines Eisberges zeigen sie uns an, wo sich etwas verbirgt. Dort, wo die eigentlichen Saurierschichten die Oberfläche bilden, ist der Pflanzenbewuchs glücklicherweise kümmerlich: Es herrschen armselige, kaum mehr als mannshohe, unregelmäßig gewachsene Bäumchen vor. Selbst das Gras ist dort erheblich niedriger und lässt zwischen seinen Büscheln den bloßen Erdboden sichtbar bleiben – ein Vorteil für die Grabungsarbeiten. Stellen Sie sich nur vor, eine gierige, paläontologisch interessierte Akazie würde mit mächtigem Wurzelwerk die Wirbelsäule einer Schreckens-Echse umklammern, um sie nie mehr herauszugeben!» Wer war dieser Dr. Akazie? Über ihn stand nichts im Dossier. Und wieso rückte er die Fundstücke nicht heraus? Was war das nur für ein Saumensch? Bahlow wollte nachfragen, doch da stieg Hennig jubelnd in eine Grube hinab. Die Hitze, der Schweiß, alles kam Bahlow seltsam vertraut vor, so, als nähme im Kissen, wenn man sich abends ins erschöpfte Bett wirft, der Traum der vorherigen Nacht Gestalt an, flirrende Erinnerungen, daunenweich, er sah jemanden über einen Ast stolpern, der aus dem Boden ragte, wohl einen Betrunkenen, denn den Mann umgab eine grünliche, nach Anis riechende Wolke. Wahrscheinlich eine Szene aus einem Buch, das ich vor Jahren gelesen habe, irgendein belangloses Abenteuergarn, an das ich mich nur dunkel erinnere, unerheblich, das Bild, das vor seinem inneren Auge erschienen war, verschwand in grellem Licht, kitzelnd, störend, ein Schweißtropfen nahm Anlauf und sprang von Bahlows Nasenspitze hinab zu den Arbeitern in die Grube, es sei normal, dass die Verwirrung in Wellen komme, hatte Hennig versichert. Das spreche für leichte Malariaanfälle, die den Kranken, wie er aus eigener Erfahrung wisse, meist in Schüben zermürbten. Und was solle er tun? Sich auf die Chinin-Prophylaxe


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