Der Todesengel mit den roten Haaren. Bernd Kaufholz
geben, ob die Angeklagten nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen sind. Im Jugendstrafrecht beträgt die Höchststrafe zehn Jahre, andernfalls droht beiden eine lebenslängliche Haftstrafe.
Mit unsicheren Schritten betritt Zeugin Corinna Vasal am 28. Juni den Saal 218 des Stendaler Landgerichts. Obwohl sich die 38-Jährige mit Kapuze und Kopftuch verhüllt, sieht man ihr an, dass sie nicht gesund ist. Sie leide unter Magersucht, so ihre Mutter.
Richter Rettkowski belehrt die Zeugin, dass sie auf Grund der nahen Verwandtschaft zu einem der Angeklagten nicht auszusagen braucht. Auch weil gegen sie inzwischen ein Strafverfahren wegen Beihilfe eingeleitet wurde, habe sie das Recht zur Aussageverweigerung.
Der Auftritt der Invalidenrentnerin dauert dann auch nur vier Minuten. Nachdem sie sich lediglich zur Person geäußert hat, verlässt sie das Gericht.
Den Prozessbeteiligten werden dann Gegenstände vorgelegt, die bei der Straftat eine Rolle gespielt haben. Darunter sind die Wollmützen mit Sehschlitz ebenso wie der rote Fünf-Liter-Kanister, den die Angeklagten nach der Tat mit Wasser gefüllt haben und im Kanal versenken wollten, was ihnen jedoch nicht gelang. Ein Bayern-Fan-Schal, wie der, der zum Mord genutzt wurde, die Handschellen, Seilreste, Klebeband und die Haken, an denen Steffi gefesselt wurde, liegen ebenfalls auf dem Richtertisch.
Besonders schwere Minuten durchleben die Eltern des Opfers als Dr. Werner Kuchheuser das rechtsmedizinische Gutachten verliest. Die horizontale Drosselmarke am Hals der Toten decke sich mit den Aussagen der Angeklagten, ihr Opfer mit einem Schal stranguliert zu haben. „Durch die Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn ist der Tod nach etwa vier Minuten eingetreten“, sagt der Oberarzt von der Magdeburger Uniklinik.
Durch das Feuer seien Verbrennungen bis zum 4. Grad (Verkohlung) aufgetreten. Da Stefanie aber weder Rußpartikel in den Luftwegen noch Kohlenmonoxid im Blut gehabt hat, sei sicher, dass das Mädchen bereits tot war, als es mit Benzin übergossen und angesteckt wurde.
Richter Rettkowski verliest danach Auszüge aus dem Bundeszentralregister. Daniels Akte ist leer. Die von Sandro hat hingegen drei Vermerke.
1996 hat er ein Fahrrad gestohlen, 1999 ist er beim vorsätzlichen Fahren ohne Führerschein erwischt worden. Dazwischen liegt eine Tat, die Parallelen zum Mord an Stefanie aufweist.
Am 30. September 1996 hatte Sandro Penn einen Freund im Keller der elterlichen Wohnung in Parey mit Handschellen gefesselt und Paketband über Mund und Augen geklebt. Um dem Kumpel diesen „Scherz“ schmackhaft zu machen, hatte er ihm 25 Mark gegeben. Der Freund sollte versuchen, sich selbst zu befreien.
Doch als dieser noch mit den Fesseln kämpfte, fiel Sandro ein, dass ihn sein Kumpel vor Tagen beleidigt hatte. Sandro nahm einen Drei-Kilo-Vorschlaghammer und schlug ihm auf den Kopf. Der Freund erlitt ein Schädelhirntrauma 1. Grades.
Das Amtsgericht Genthin hielt Sandro damals eine „Ausnahmesituation“ durch „schulische und familiäre Schwierigkeiten“ zugute. Auf Grund der „Bewusstseinseinengung“ und weil er umgehend „Rettungsmaßnahmen“ eingeleitet hatte, kam er mit vier Wochen Dauerarrest davon.
Am 4. Juli stehen die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten und ihre Beziehungen zu Eltern, Angehörigen und Freunden im Mittelpunkt des Prozesses.
Daniel hat seinen leiblichen Vater nie kennen gelernt. Er weiß weder wo er wohnt noch wie er heißt. Als er acht Jahre alt war, hatte seine Mutter den Mann geheiratet. „Mein Stiefvater hat ständig versucht, sich in mein Leben einzumischen. Mit 15, 16 Jahren habe ich überlegt, ihn wegen Körperverletzung anzuzeigen“, erzählt Daniel. Der Stiefvater habe ihn geohrfeigt und sogar mit der Faust geschlagen.
Im Dezember 1999 brach Daniel seine Lehre als Maler und Lackierer ab. Sein ehemaliger Arbeitgeber bezeichnet ihn als einen verschlossenen Menschen. Erst habe er seine Arbeit zuverlässig erledigt, sich jedoch später kaum noch darum gekümmert, und sie einfach liegen gelassen. Für Kritik sei er taub gewesen, so der Ex-Chef.
Im Dezember zog Daniel Zuhause aus und schlüpfte bei Sandros Bruder unter. Im Januar 2000 wollte er eine neue Arbeit aufnehmen. Doch dazu kam es nicht mehr.
Daniels Kumpel Sandro hat die Schule ohne Abschluss verlassen. Er habe zumeist im Unterricht nicht aufgepasst oder geschwänzt, erklärte er dem Gericht.
Sandros Kontakt zu den Eltern ist seit der Haft abgebrochen. „Auf meine Briefe bekam ich keine Antwort. Man sagte mir, meine Eltern wünschen keinen Kontakt mehr“, sagt Sandro und fügt an: „Das kann ich verstehen.“
Sandros Eltern, die als Zeugen geladen sind, würdigen ihren Sohn keines Blickes. Auch Sandro vermeidet den Blickkontakt. Er starrt auf den Boden, als Vater und Mutter von ihrem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch machen.
Daniels Eltern erscheinen aus „nervlichen und gesundheitlichen Gründen“ nicht. Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Vertreter der Anklage verzichten darauf hin auf ihre Befragung.
Zur Sprache kommt an diesem Verhandlungstag auch ein Brief, den Daniel im Mai dem Vorsitzenden Richter der Strafkammer geschrieben hat. Er komme mit sich selbst und der Tat, die er begangen hat, nicht mehr klar. Deshalb wolle er sich in Freiheit einer Therapie unterziehen. Im Gefängnis hätte er Angst um sein Leben. Daniel räumte ein, im Dezember „widerrechtlich gehandelt“ zu haben. Ein Verbrecher sei er aber nicht, betont der Gefangene.
Ein Psychologe charakterisiert Daniel als einen Gefangenen, der in Haft sehr zurückgezogen lebt. Nachdem er von jugendlichen Gefangenen wegen seiner Tat angegriffen wurde, habe man ihn sicherheitshalber verlegt.
Als den Kernpunkt des Verfahrens bezeichnet Richter Hilmar Rettkowski die Frage, ob die Angeklagten nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden sollen. Nach Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte, spricht sich der Psychologe beim 19-jährigen Daniel für das Jugendstrafrecht aus.
Die Frage nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht steht am 7. Juli im Mittelpunkt des Prozesstages. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, die Psychologin und der Psychiater sind sich einig: Beide Angeklagte haben noch nicht die Reife eines Erwachsenen erreicht. Die Gutachter sprechen sich für die Anwendung des Jugendstrafrechtes aus. Denn weder im beruflichen noch im privaten Bereich verfügten die Angeklagten über eine realistische Lebensplanung, heißt es unter anderem.
Psychiater Mohammad Hasan vom Landeskrankenhaus Königslutter beschreibt Sandro als unreif, verschlossenen und ängstlich. Nachdem Stefanie mit ihm Schluss gemacht habe, sei Kränkung in Wut und Zorn umgeschlagen. „Rache- und Bestrafungsgedanken haben sich mit nicht erfüllten sexuellen Wünschen und eigenen Unzulänglichkeiten gepaart“, so der Nervenarzt. Irgendwann habe sich der Vergewaltigungsgedanke im Kopf des jungen Mannes festgesetzt. „Er war zugleich das Motiv für die Tat“, analysiert Hasan.
Nächtelang hätten Sandro und Daniel diskutiert. Das habe dazu geführt, dass Daniel Sandros Wut auf Stefanie „mitempfunden“ habe.
Am 18. Juli 2000 werden Sandro Penn und Daniel Katz wegen Vergewaltigung und Mordes zu je neun Jahren Jugendhaft verurteilt. Beide nehmen das Urteil regungslos zur Kenntnis. Die Zuschauer quittieren den Richterspruch mit verhaltenem Protest.
„Es ist verständlich, dass bei einer Tat mit solchen furchtbaren Folgen die Gedanken von Trauer, Wut und Hass bestimmt werden und Angehörige und Freunde fordern, die Angeklagten so hart wie möglich zu bestrafen“, leitet der Vorsitzende Richter Hilmar Rettkowski seine Urteilsbegründung ein.
Er lässt jedoch keinen Zweifel an der besonderen Gesetzeslage, die für Heranwachsende im Alter zwischen 18 und 21 Jahren gilt. Und hier sehe der Gesetzgeber vor, das Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn zum Beispiel schwerwiegende Entwicklungsrückstände bei den Angeklagten vorhanden sind. „Und das ist bei Sandro Penn und Daniel Katz der Fall.“
Gutachten hätten bei beiden Angeklagten eine „erheblich emotionale Labilität“ festgestellt. Für die Einordnung in das jeweilige Strafrecht sei es im Übrigen unerheblich, ob es bei der Tat um Mord oder Diebstahl gehe, ergänzt Rettkowski.
Auch eine härtere Strafandrohung hätte die Angeklagten nicht von der Tat abgehalten, fügt Rettkowski in seiner Schlussbemerkung hinzu.