Deutschland – deine Politiker. Friedemann Weckbach-Mara
fügt hinzu: „Ich weiß, ich kann die Krankheit niederkämpfen. Ich werde sie besiegen. Diesen Kampf aufzunehmen, ist die wichtigste Voraussetzung, um wieder gesund zu werden. Ich sage das auch offen, um anderen Mut zu machen, die vielleicht an dieser Krankheit verzweifeln würden.“ Ein bisschen Arbeit, aber nicht zu viel, ist sein Rezept. Deshalb hat er mit Bundeskanzler Helmut Kohl und Fraktionschef Wolfgang Schäuble verabredet, dass er „vorläufig keine Termine in Bonn wahrnehme. Nur an meiner wöchentlichen Sprechstunde halte ich eisern fest, denn ich meine, jeder Abgeordnete ist das seinen Wählern schuldig. Nachher wird es meine 1.984. Sprechstunde.“ Aus dem Kanzleramt erfahre ich, dass Kohl ihn schon morgens um 8.15 Uhr angerufen hat, um ihm Mut zu machen: „Gerster, du schaffst das schon.“
Nach Operationen und einer Chemotherapie über fünf Monate meint er: „Gestern war ich das letzte Mal für Stunden am Tropf, da habe ich heute noch Pudding in den Beinen. Als nächstes kommt die Bestrahlungstherapie auf mich zu.“ Er blickt auf den Rhein und fügt etwas trotzig hinzu: „Bis auf die eine Krankheit bin ich ja gesund. Freunde, Bekannte, meine Kinder und meine Frau sagen immer wieder: Du packst das doch. Heute bin ich überzeugt, sie haben Recht, ich werde es packen und komme in zwei Monaten wieder gesund nach Bonn zurück.“
Auf der Heimfahrt von diesem ergreifenden Termin rufe ich meine Frau an. Den Tränen nahe gestehe ich ihr: „Ich werde schreiben, was ich bei dem Treffen erlebt habe, aber es fällt mir schwer, seinen Optimismus und seine Hoffnung zu teilen.“ Erfreulicherweise ein Irrtum. Johannes Gerster habe ich als gesunden Freund noch Jahre später in Jerusalem und in Mainz getroffen.
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Ebenfalls mit großer Zuversicht ging Manfred Wörner (1934–1994, ab 1982 Bundesminister der Verteidigung und seit 1988 erster deutscher NATO-Generalsekretär) mit seiner Krebserkrankung um. Als ich Anfang Januar 1994 morgens mit ihm telefonierte, schwärmte er von seiner neuen Krebsdiät, die ihn heilen würde. Genau daran habe ich mich erinnert, als ich im März 2011 die Berliner Charité nach erfolgreicher Darmkrebsoperation verließ. Der großartige Chirurg Professor Dr. Joachim M. Müller gab mir mit auf den Weg: „Sie sind wieder gesund. Lassen Sie sich jetzt nichts Falsches einreden. Es gibt keine Diät gegen Krebs, leben Sie einfach gesund weiter.“ Das sah Wörner anders. Der sportlich-dynamische Jetpilot litt seit 1992 an Darmkrebs, wurde im April operiert, doch der Krebs kam wieder. Ende Juni 1993 dauerte die zweite Operation sechs Stunden. Dann rieten ihm seine Ärzte zur – wie sie es nannten – ‚Krebsdiät‘. Seit dem Sommer aß er nur noch Nüsse und Gemüse, kein Fleisch, trank jede Menge Karottensaft. Trotzdem musste er Mitte Dezember erneut operiert werden. Vorsorglich blieb er bis Heiligabend in der Klinik. Diesmal waren die Ärzte zuversichtlich, dass alles überstanden sei. Wörner selbst nannte es „ein Wunder“ und fügte hinzu: „Meine Ärzte waren selbst überrascht. Der Darm ist völlig krebsfrei. Nur an der Narbe saßen noch zwei Geschwülste, die aber schon in Auflösung waren.“ Seine Diät sollte die Gesundheit absichern. Leider ohne Erfolg. Am 13. August erlag Manfred Wörner dem Darmkrebs.
Johannes Gerster gesund in Jerusalem
Manfred Wörner im Interview
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Dagegen war die Krankheit von Hans Eichel geradezu eine Lappalie, mit der er im Februar 2001 er sehr offen umging. Gut beraten von seinem Sprecher Torsten Albig machte Eichel seinen Krankenhausaufenthalt ganz bewusst öffentlich: Als Ursache für seinen Bandscheibenvorfall wurde eine Verrenkung bei der Hausarbeit („Putzen“) des sparsamen Ministers genannt. Das kam gut an. War wohl auch fast wahr. Nach der Bandscheibenoperation besuchte ich ihn in seinem kargen Krankenzimmer. Professor Wolfgang Lanksch erklärte mir am ersten Februarwochenende 2001 im Eichel-Krankenzimmer: „Die Operation hat 50 Minuten gedauert. Es ist alles so gut verlaufen, dass Herr Eichel bereits am Freitag zum ersten Mal aufstehen konnte. Er wird auch schneller als sonst üblich am Montag oder Dienstag das Krankenhaus verlassen. Doch dann muss er mindestens 14 Tage kürzer treten, sich schonen. Am besten gar nicht sitzen, erst recht nicht im Flugzeug.“ Der Eingriff ist für Mediziner zwar Routine, doch Professor Lanksch schränkte ein: „Natürlich kann eine solche Operation auch schiefgehen. Wenn die Nervenwurzeln verletzt werden, hat der Patient hinterher noch mehr Lähmungserscheinungen und Schmerzen, die sogar chronisch werden können. In Deutschland gibt es etwa 40.000 bis 50.000 Bandscheibenoperationen. Ich muss aber leider sagen, dass viele davon gar nicht notwendig wären.“ Zur Vorbeugung, um einen Bandscheibenvorfall zu verhindern, wusste Professor Lanksch auch keinen Rat: „So was trifft selbst Hochleistungssportler genauso wie Nicht-Sportler. Ab dem 15. Lebensjahr degeneriert die Bandscheibe bei jedem Menschen. Das Einzige, was man wirklich raten kann, ist: möglichst wenig sitzen.“
Genau das nahm sich Hans Eichel zu Herzen: „In Zukunft vertausche ich meinen Schreibtisch mit einem Stehpult. Das finde ich ohnehin ganz angenehm.“ Angst hatte Eichel nach eigenen Worten vor der Operation „überhaupt keine. Mir geht es auch schon wieder richtig gut. Ich hoffe, bald ist alles wieder wie vorher.“ Wurde es auch.
Watergate in Deutschland
Erheblich länger hatten so manche Politiker an ganz anderen Problemen zu knabbern. Vor allem an ihren Skandalen bis hin zum Amtsmissbrauch. Das gilt besonders für eine Affäre an der norddeutschen Waterkant, die unsere Republik so heftig erschütterte, dass schon früh das Wort von ‚Waterkantgate‘ die Runde machte. In Anlehnung an die Watergate-Affäre, bei der im Juni 1972 Einbrecher in den Räumen der Demokratischen Partei im Washingtoner Watergate-Häuserblock erwischt wurden, wie sie für das Wahlkomitee von US-Präsident Richard Nixon beim politischen Konkurrenten Abhörwanzen anbringen wollten. Zwei Jahre später trat bekanntlich Nixon zurück.
Für CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel29 kam das Ende viel schneller. Bei seinem SPD-Herausforderer Björn Engholm30 dauerte es umso länger. Er stieg erst noch mächtig auf, wurde als angeblich unwissendes Barschel-Opfer dessen Nachfolger, SPD-Bundesvorsitzender und sollte bereits Kanzlerkandidat werden, als ihn seine Lügen einholten und er alles verlor.
Auch im kleinen Kiel (240.000 Einwohner) gab es in der Affäre Barschel-Engholm wie in Washington den geplanten Einsatz von Wanzen. Aber nicht etwa, um den ungeliebten Gegner – in dem Fall die SPD – auszuspionieren, sondern um den falschen Verdacht aufkommen zu lassen, der Gegner SPD habe Wanzen bei der CDU-Spitze eingesetzt. Es war auch sonst alles etwas komplizierter. Im Hauptstadt-Distrikt der USA mit 7,6 Millionen Einwohnern gab es die Partei der Bösen mit dem Präsidenten an der Spitze und die Oppositionspartei der ahnungslosen Guten. Anfangs sah es zwar auch in Kiel danach aus, aber nur anfangs.
Und das kam so: Punktgenau am Montag vor der Landtagswahl vom 13. September in Schleswig-Holstein meldet der „Spiegel“, dass SPD-Spitzenkandidat Björn Engholm von Privatdetektiven beschattet wird, gegen ihn eine anonyme Anzeige wegen Steuervergehen vorliege und das alles mindestens mit Wissen des amtierenden CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel. Dann legt der „Spiegel“ nach. Am Samstag direkt vor der Wahl liefert das Magazin in Vorabmeldungen eine eidesstattliche Erklärung, wonach Barschels Medienreferent Reiner Pfeiffer (*1939) die Anzeige wegen Steuerhinterziehung und die Bespitzelungsaktion in direktem Auftrag seines Chefs Uwe Barschel gestartet habe. Genauer, Barschel habe ihm im Januar die anonyme Anzeige bei der Steuerfahndung und ein Schreiben an den Finanzminister „selbst diktiert“. Die Typenräder der genutzten Schreibmaschine seien danach „in einen privaten Mülleimer“ geworfen worden. Obendrein habe Barschel „persönlich“ Ende Januar angeordnet, Engholm zu überwachen. Eine zuverlässige Agentur solle mit Fotos beweisen, dass Engholm als smarter Frauentyp „homosexuell“ sei, zugleich aber auch ein „ausschweifendes Leben mit dem anderen Geschlecht führt“. Die Kosten von 50.000 D-Mark für die Bespitzelung Engholms wollte demnach der Direktor des Schwarzkopf-Kosmetikkonzerns, Karl Josef Ballhaus, übernehmen.
Pfeiffers Schmutzkampagne