Ketzerhaus. Ivonne Hübner

Ketzerhaus - Ivonne Hübner


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Mädchen in die Waagschale zu werfen. Dass er gut aussehend war, hatte er früh begriffen und er wusste, dass weder seine Herkunft, noch sein Berufsstand ihm die vortreffliche Partie eingebracht und ihm zu bescheidenem Wohlstand verholfen hatte. Nun war seine Gemahlin aber längst bei den Seligen und was sie ihm an Geldmitteln vermacht hatte, war so gut wie aufgebraucht. Blieben ihm noch das Haus und ein paar bewegliche Güter, die er anzutasten noch nicht betrunken genug gewesen war. Seine Ehe war nicht von großen Gefühlen geprägt gewesen. Die Kinder, die sie ihm geschenkt hatte, waren allesamt nach wenigen Tagen gestorben. Bis das letzte sie mit sich genommen hatte. Aber das Andenken an sie bewahrte er so, wie sie es als rechtschaffene, brave Bürgerin verdient hatte. Ihr Ableben im Kindbett war Fluch und Segen gewesen. Das Trauerjahr war vorbei und Christians Bedürfnisse waren lebendig wie ehedem.

      Die meisten Mädchen, die er zu sich einlud, waren verzagt. Mit den meisten war nichts anzufangen. Diese hier jedoch bewegte sich, kaum dass sie das Stadthaus des Schwertfegers betreten hatte, zielsicher und selbstbewusst durch die Räumlichkeiten, wie es nicht einmal Vollhardts Haushälterin tat. Das Mädchen stellte sich an den Tisch, auf dem eine Karaffe mit Erlesenem stand. Christian Vollhardt war weder reich noch adelig, aber wenn es um sein kleines Vergnügen ging, sparte er sich den edlen Tropfen gern vom täglich Brot ab. Er war betucht des Erbes halber, aber er wusste, er würde gut haushalten müssen, wollte er seinen angeheirateten Wohlstand noch eine Weile genießen. Christian Vollhardt war kein Kaufherr. Er verstand es nicht, seine finanziellen Mittel zu vermehren, aber er verstand es, genau das vorzugeben. In den Augen der Mädchen war er wohlhabend und allein darum ging es ihm. Das Bürgerrecht hatte er sich schon vor seiner Heirat erkauft und vielleicht war ihm das zu Kopfe gestiegen. Er war immerhin Mitglied des Städtischen Rates, auch wenn er seines seligen, längst verstorbenen Schwiegervaters wegen und der Quote wegen im Rat saß und man auf seinen Ratschlag keinen Wert legte.

      „Wollen wir dann anfangen?“, fragte das Mädchen, nachdem es sich eingeschenkt hatte. Vollhardt wies in die Richtung, wo sich das Heimlichste befand. Das Mädchen ging voraus, nicht ohne die Karaffe mit sich zu nehmen. Ihr blondes Haar endete in verspielten Löckchen, die mit jedem Schritt auf ihren Hüften tanzten. „Zwei Heller und nicht ganz“, sagte sie und Vollhardt wusste, was sie meinte. Er hatte bislang jedes seiner Mädchen zum ganz Äußersten und zum vollendeten Genuss gebracht. Das brauchte seine Zeit.

      Er wies sie an, sich langsam zu entkleiden. Um nicht einen Moment dieses Aktes zu versäumen, platzierte er sich auf das breite, von Atlassen bedeckte Bett. Die Schabracken um den Bettkasten, Vorhänge und Teppiche waren allesamt Erbstücke seines verstorbenen Weibes, ebenso die Gemälde derer, die Christian nicht kannte, und das böhmische Kristall natürlich.

      „Nicht so schnell“, murmelte er in sein Weinglas und das Mädchen hielt inne, die Fibeln vom Überkleid zu lösen. Das hölzerne Schuhwerk und die vielfach gestopften, wollenen Strümpfe hatte sie abgestreift, auch der Überwurf war längst zu Boden gegangen. Langsam fädelte sie die Schnüre des tief ausgeschnittenen Überkleides auf. Es war ein schlichtes Gewand mit an den Schultern befestigten, weiten Ärmeln, das das Mädchen jetzt vom Körper gleiten ließ. Er übersah geflissentlich die Schmutzflecken an gewissen Stellen des Unterkleides. Er würde ihr für ihre Treffen die Kleider seiner Verflossenen zur Verfügung stellen, damit der Moment des Entkleidens perfekt würde. Auch hatte es einen besonderen Reiz, die Ärmel selbst vom Schulterstück zu nesteln. Fürs Erste diente diese Schau der Güteprüfung. Seine Wahl bestätigte sich als qualitätvoll.

      Die Rundungen blieben auch nach dem Entkleiden genau dort, wofür das geschnürte Kleid geworben hatte. Festes Fleisch. Er nickte zufrieden und versenkte den Blick ins Weinglas. Sie entschied, was weiter geschah. So schaffte er es, sie irgendwann ins Bett zu bekommen. Er bezahlte nicht so gut, dass sie sich bereitwillig und voll und ganz hergeben würde. Das brauchte Zeit, wie gesagt. Unter den gesenkten Wimpernkranz hindurch sah er, wie sie abwartend neben ihm lag, nackt und unschlüssig. Auf die Seite gedreht, begann sie, seinen Hosenlatz aufzuknöpfen, nahm ihm sein Weinglas ab und machte, dass ihm das Blut heiß durch die Adern schoss. Sie fesselte seinen Blick und er ließ sich keuchend in die Kissen zurückfallen. Es war viel zu schnell vorüber, weil er seit Wochen kein Mädchen mehr gehabt hatte. Keine der Dirnen vom Hotertor hatte ihm gefallen. Die Jüngeren waren dreckig, verlaust, verfloht und überteuert. Die Älteren waren nicht nur schmutzig und von Ungeziefer besiedelt, sondern obendrein auch noch zahnlos und verfilzt, sodass man nicht wusste, wie der Weg hineingefunden werden sollte. Sie waren in ihrer Verzweiflung so billig, dass selbst Christian skeptisch geworden war. Nein, er wollte eine frische, die nur ihm zu Diensten war und sonst keinem. Sie war ja keine Dirne. Das hatte er klargestellt, als sie aufgetaucht war. Ja, Christians Mädchen kamen freiwillig zu ihm.

      Lange bevor er sie angesprochen hatte, hatte er sie beobachtet: Auf dem Markt, beim Waschhaus, war er ihr bis zu ihrer Behausung gefolgt und hatte sich ihrer Armseligkeit vergewissert. In ihren Bemühungen, ein rechtschaffenes Leben zu führen, war ihm ihre Verzweiflung aufgefallen und der schmale Grad zwischen Recht und Unrecht, den sie täglich beschritt. Er hatte sie beobachtet, wie sie in der Fleischergasse ein etwa faustgroßes Stück von der Fleischbank geschnappt hatte. Sie war nicht hastig davongelaufen, sondern hatte die Fleischersfrau sogar noch in ein Gespräch verwickelt. Das hatte Christian beeindruckt. Auch, dass sie nach dem Diebstahl nicht gleich nach Hause, sondern erst einmal in die Kirche zum Beichten gegangen war. Ein schmaler Grad eben.

      Als es kälter wurde, sie für Almosen auf dem Markt herumstrolchte und mit den Benediktinermönchen um den besten Bettelplatz stritt, hatte er sie angesprochen. Ob sie sich nicht bei ihm und einem Glas Wein aufwärmen wolle. Ein unverfängliches Angebot mit unmoralischem Hintergedanken. Das sah ein Blinder mit Krückstock.

      Sie hatte ihn angeblafft, so eine sei sie nicht und sie würde ihn melden, wenn er sie noch einmal belästigte. Er hatte sein verführerischstes Lächeln gezeigt, sich entschuldigt und ihr gesagt, wo er wohne, falls sie es sich anders überlegen würde. Sein Angebot gelte uneingeschränkt, hatte er ihr zugeraunt, dann hatte er abgewartet. Als der erste Frost schon ein paar Nächte anhielt, hatte es an seiner Tür geklopft. „Ich bin keine Hure“, hatte sie zur Begrüßung gesagt. Sie erwiderte sein Lächeln, vorsichtig zwar, aber untrüglich. Dann nannte sie ihren Preis. Es hatte ihn überrascht, dass sie sich unter Wert verkaufte, oder vielleicht kannte sie die gängige Währung dieser Stadt nicht. Das hatte er ihr freilich nicht gesagt. Sie würde schon selbst dahinterkommen.

      „Gut“, murmelte er, nachdem es vorüber war, wischte sich den Schweiß aus der Stirn und rieb seine Augen. Zuerst schälte sie sich aus dem Bett, wobei er sie beobachtete, wie sie sich in ihr Kleid schnürte. Dann rappelte er sich auf. Ächzend zog er seine Hose hoch. In der Kleidertruhe wühlte er nicht lange. „Hier“, förderte er ein blaues Überkleid zutage. „Das trägst du das nächste Mal.“

      Das Mädchen beäugte das Stück Tuch in seiner Hand. „Von Eurer Verflossenen?“

      Christians Zeigefinger schnellte vor. „Niemals erwähnst du mein verstorbenes Weib. Klar?“

      Sie nickte und deutete auf das Stück: „Ich darf diese Farben nicht tragen. Ich bin keine Bürgerin.“

      Er nickte. „Zieh es unters Cape. Es wird schon niemand darauf achten.“

      Sie nickte abermals und nahm auch das blütenweiße Unterkleid entgegen, das er aus den Tiefen der Truhe barg. Sie vereinbarten einen festen Abend in der Woche, an dem er sie sehen wollte. Mehr als einmal wöchentlich konnte er sich nicht leisten. Das gestand er ihr freilich nicht. „Mehr Zeit hab ich nicht“, sagte er stattdessen, schob ein keckes Augenzwinkern hinterher, das dem Mädchen bedeuten sollte, dass er die übrigen Abende der Woche für verschiedene andere Vergnügungen reservierte. Und ganz gelogen war es ja auch nicht. Ein, zwei Mal traf er sich mit Kumpanen auf ein Bier im Ausschank, der eben an der Reihe war und Brautag hielt.

      Nach einer wohligen Nacht kam Christian am folgenden Morgen der Einladung des ehrenwerten Hohen Rates nach und fand sich in der Ratsstube ein. Es war nicht weit von seinem Haus hinter dem Kloster bis zum Rathaus am Ring. Aber auch ein paar Schritte genügten, um sich an den Fäkalien zu beschmutzen, dem ganzen Dreck und Matsch, dem Gemüll in den engen Gassen, wo so große Unreinlichkeit herrschte. So war Christians schön bestickte Schaube schon nach wenigen Schritten besudelt, die Entenschnabelschuhe


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