Der Bergpfarrer Paket 2 – Heimatroman. Toni Waidacher
»Du?« rief er mit wutverzerrter Stimme. »Du wagst dich noch hierher?«
Thomas war aufgestanden. Er lächelte seinen Bruder an, als wäre er von einer langen Reise heimgekehrt und wolle ihn begrüßen.
»Damit hast’ net gerechnet, was?« erwiderte er.
Bernhard Neumayr deutete mit dem Kopf auf Sebastian und Max.
»Wer sind die beiden? Und vor allem, was wollt ihr?«
»Das sind meine Zeugen«, erklärte Thomas und zeigte auf die Papiere, die der Polizist in der Hand hielt. »Und der Herr Trenker hat da die Beweise dafür, daß du es warst, der uns’re Kunden betrogen hat.«
Bernd verzog das Gesicht zu einem Grinsen.
»Beweise? Die möcht’ ich seh’n. Es gibt keine Beweise. Höchstens dafür, daß du der Betrüger bist. Deswegen ist die Polizei ja auch hinter dir her.«
»Weil du die Unterlagen so manipuliert hast, daß ich jetzt als Ganove dasteh’«, konterte Thomas. »Allerdings hast’ da die Rechnung ohne den Wirt gemacht, Bruderherz. Schon bevor ich dich mit dem, was ich herausgefunden hatte, konfrontiert hab’, hab’ ich die Beweise dafür hier auf deinem Computer installiert. Allerdings hätte es dir nix genützt, das zu wissen. Du wärst net in die Datei gekommen, weil ich sie geschützt hab’. Und weißt auch womit? Erinnerst dich noch, wie ich dich früher immer genannt hab’? Berni – den Namen find’ ich einfach zu schön.«
Er lachte.
»Jedenfalls steh’n auf dem Papier all deine Konten. Die in der Schweiz ebenso wie in Lichtenstein, auf den Bahamas oder die in drei südamerikanischen Ländern. Muß ich dir noch mehr erzählen?«
Bernhard Neumayrs Blick war unsicher geworden. Von den Konten wußte nur er – bisher. Also mußte Thomas die Wahrheit sagen.
»Und jetzt?« fragte er. »Wollt ihr mich erpressen? Soll ich euch dafür bezahlen, daß die Beweise wieder in meinen Besitz gelangen?«
Sebastian stand auf. Er schüttelte den Kopf.
»Nein, Herr Neumayr, das einzige, was wir wollen, ist, Sie Ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«
Der Anlageberater sah ihn an.
»Wer sind Sie überhaupt? Verschwinden Sie auf der Stelle aus meinem Büro, sonst hol’ ich die Polizei.«
Der Bergpfarrer lächelte mild.
»Das werden S’ gewiß net tun«, sagte er. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstell’? Mein Name ist Sebastian Trenker. Ich bin Pfarrer in Sankt Johann, wohin sich Ihr Bruder geflüchtet hat.«
Er deutete auf Max.
»Mein Bruder ist übrigens Polizeibeamter«, fuhr er fort. »Er wird jetzt seine hiesigen Kollegen informieren.«
Bernhard Neumayr sah ihn mit offenem Mund an, dann glitt sein Blick zu Thomas hinüber. Blanker Haß war darin zu lesen.
»Du… du warst mir schon immer zuwider«, brüllte er los. »Schon als Kind wurdest du zu Hause vorgezogen. Du hast immer alles bekommen, was du wolltest, und ich war nur das fünfte Rad am Wagen. Wärest du doch nie geboren worden!«
Thomas schluckte. Daß sie sich nicht wie Brüder liebten, damit zu leben, hatte er gelernt. Daß Bernd ihn aber so sehr haßte, versetzte ihm einen Schock.
Zwei Stunden später verließen sie das Gebäude der Münchener Staatsanwaltschaft. Thomas hatte die Beweise für seine Unschuld dem zuständigen Staatsanwalt übergeben, sein Bruder kam in Untersuchungshaft.
»Was werden S’ jetzt anfangen?« fragte Sebastian.
Thomas zuckte die Schulter.
»Versuchen, den Schaden, den mein Bruder angerichtet hat, wieder gutzumachen«, antwortete er. »Es wird viel Arbeit kosten, verlorengegangenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen und das Unternehmen wieder zu dem zu machen, was es einmal war – eine solide Anlagefirma, der die Leute ihr Geld bedenkenlos anvertrauen können.«
»Und was ist mit Ihrer Arbeit auf dem Brandtnerhof?«
Die Frage war eher scherzhaft gemeint, doch Thomas Neumayr sah den Geistlichen ernst an.
»Die werd’ ich wieder aufnehmen, wenn der Bauer mich läßt«, erklärte er. »Die Firma kann unser Prokurist solang’ auch allein führen. Außerdem hab’ ich mit dem Loisl ein ernstes Wort zu reden. Ich hoff’, daß er jetzt keine Einwände hat, wenn ich ihn um die Hand seiner Tochter bitt’.«
Er schlug sich vor die Stirn.
»Du gütiger Himmel, ich glaub, es wird höchste Zeit, daß ich Andrea anruf’. Bestimmt wartet sie schon darauf.«
*
Andrea hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Seit Thomas mit Pfarrer Trenker und Max losgefahren war, saß sie im Gästezimmer des Pfarrhauses und versuchte, sich abzulenken. Ein paar Zeitschriften lagen auf einem Tisch, daneben ein Buch. In den Magazinen hatte sie ein wenig herumgeblättert, ohne wirklich darin zu lesen, das Buch hatte sie gar nicht erst aufgeschlagen. Gegen Morgen legte sie sich auf das Bett, aber der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen. Als sie die Haushälterin unten hantieren hörte, ging sie ins Bad und erfrischte sich. Es war kurz nach sechs Uhr.
Sophie Tappert hatte Kaffee gekocht und den Tisch gedeckt, als die Bauerntochter die Küche betrat.
»Madel, wie schaust du denn aus?« rief die Haushälterin entsetzt. »Komm, trink erst einmal eine Tasse Kaffee.«
»Ich hab’ eine schreckliche Nacht hinter mir«, gestand Andrea. »Wenn Thomas sich nur endlich melden würde.«
Sophie schaute auf die Uhr.
»Na ja, ein Weilchen wirst’ schon noch Geduld haben müssen.«
Mit sanfter Gewalt zwang sie den Gast, etwas zu essen. Danach fühlte Andrea sich schon besser. Aber sie tat keinen Schritt aus dem Haus, aus Angst, Thomas’ Anruf zu verpassen. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Jedesmal, wenn das Telefon klingelte und die Haushälterin abnahm, stand sie erwartungsvoll daneben und konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen, als Sophie den Kopf schüttelte.
Wieder war es nicht Thomas, der anrief.
Sollte etwa bei der ganzen Aktion etwas schiefgegangen sein? Andrea begann sich Sorgen zu machen. Solange konnte es doch nicht dauern, die Beweise aus dem Büro zu holen. Wo mochten die drei nur stecken? Es war doch schon nach zehn. In der Firma konnten sie unmöglich noch sein.
Wieder klingelte es. Sophie nahm ab und ein Lächeln glitt über ihre Lippen, als sie den Hörer an Andrea weiterreichte.
»Thomas! Was ist los? Warum meldest du dich jetzt erst?« fragte das Madel aufgeregt.
»Mach dir keine Sorgen«, antwortete er. »Es ist alles in Ordnung.«
Mit wenigen Worten erzählte er, was sich in der Firma abgespielt hatte.
»Wir beeilen uns«, versprach er zum Abschied.
Glücklich legte Andrea den Hörer auf die Gabel zurück. Jetzt konnte sie es noch weniger abwarten, den Liebsten in die Arme zu schließen. Als die drei Männer endlich den Weg zum Pfarrhaus heraufkamen, flog sie ihnen entgegen.
Thomas umarmte sie. Ihre Lippen fanden sich und alles Leid war vergessen.
»Kommt erstmal herein«, sagte Sebastian. »Wie ich meine gute Frau Tappert kenn’, hat sie was Kräftiges zum Mittagessen vorbereitet.«
In der Küche wartete bereits ein deftiger Schmorbraten. Herrlich lockere Semmelknödel gab es dazu und Salat aus dem Pfarrgarten. Nach dem Essen sah der Bergpfarrer seine Gäste an.
»Einen schweren Gang haben wir noch vor uns…«
Andrea und Thomas nickten. Sie wußten, was der gute Hirte von St. Johann meinte.
Eine halbe Stunde später fuhren sie auf den Brandtnerhof.