Warrior & Peace. Stella A. Tack

Warrior & Peace - Stella A. Tack


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      Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Peace etwas so Grausiges getan haben sollte. Sicher, er war ein arroganter Idiot. Ein Arschloch. Manchmal auch ein Snob, aber doch kein Monster. Verdammt noch mal, ich liebte diesen Mistkerl! Er konnte doch nicht …

      Schwindel packte mich und ich stolperte. Krallte mich an etwas fest, das sich als Virus’ … nein, als Chains Brust herausstellte. Er stützte mich.

      »Hey, Warrior. Tief durchatmen«, beschwor er mich.

      Ich schüttelte den Kopf, durchforstete sein Gesicht, suchte nach Anzeichen, dass er wirklich der war, für den er sich ausgab. Chain. Eine andere Persönlichkeit. Die Brüder konnten mir immerhin Blödsinn erzählen. Sicher würden sie lügen. Ich selbst täte es an ihrer Stelle und diese Gewissheit lag mir schwer im Magen. Sie könnten das Blaue vom Himmel lügen, damit ich anfing, ihnen zu vertrauen. An Peace zu zweifeln. Ihre verrückten Pläne unterstützte, obwohl wir wichtigere Dinge zu tun hatten wie … na ja … unsere Eltern zu töten. Himmelherrgott! Wütend schüttelte ich den Kopf, riss mich los und taumelte gegen die hässliche Clownslampe.

      »Warum sagt sie nichts?« Besorgt verfolgte Chain meine Bewegungen. »Warum sagst du nichts?«, fragte er mich nun direkt.

      Zornig öffnete ich den Mund und brüllte. Ein Pfft entkam, aber sonst blieb alles still. Tränen schossen mir in die Augen. Das alles war so unglaublich beschissen! Alles hier! Peace. Virus. Chain. Der Tartaros. Unsere Eltern. Madox. Ich schluchzte. Bemühte mich, keinen Zusammenbruch zu bekommen, der sich jedoch wie Galle nach oben drängte. Letztlich knickte ich ein, fing mich mit den Händen auf und krallte meine Finger in den fleckigen Teppich.

      »Wir wissen es nicht«, erklärte Ash für mich. »Sie kam schon so an. Sie kann nicht sprechen, war blass und beinahe bewegungsunfähig. Es muss etwas passiert sein, kurz bevor sie zu uns kam. Age meinte, ihre Magie sei blockiert. Wir dachten, dass du ihr vielleicht helfen kannst.« Ashs Satz hing in der Luft.

      Ich sah Chains Reaktion nicht. Allerdings dauerte es lediglich wenige Sekunden, in denen ich meinen panischen Gedanken hinterherjagte, bis seine Füße in meinem Blickfeld auftauchten. Steifbeinig ließ er sich neben mich fallen. Sanft, beinahe schüchtern nahm er mein Gesicht in die Hände und drehte es zu sich. Ich wehrte mich, aber er hielt mich fest, bis mein Kiefer knirschte. Wie gern hätte ich ihm jetzt eine Beleidigung ins Gesicht geschrien.

      »Schhht«, tröstete er mich leise. »Beruhig dich, Warrior. Ich glaube, vieles kam in Sailors Kurzfassung nicht ganz korrekt an. Schnauf einmal tief durch. Wir erklären dir das noch mal in Ruhe, okay?«

      Hektisch nickte ich, auch wenn ich dabei würgen musste.

      »Zeigt ihr das Buch«, wies er an.

      Ich drehte den Kopf weg, wollte Chains Berührung nicht länger auf mir pulsieren fühlen, und er ließ es zu.

      Ash brachte ein dickes Buch und legte es aufgeschlagen neben uns.

      »Kennst du es?«, fragte Chain.

      Nachdenklich beäugte ich es. Das Atmen fiel mir so verdammt schwer. In meinem Hirn ratterte es. Das Papier des fetten Schmökers wirkte trotz seines offensichtlichen Alters neuwertig. Die Schrift war so eng gedruckt, dass ich ihn am liebsten unter ein Mikroskop gelegt hätte. Ich nahm den Buchdeckel zwischen Zeigefinger und Daumen, warf einen schnellen Blick auf den Einband.

      τους θεούς

      Tous Theous, übersetzte ich im Kopf. Mit meinem Griechisch stand es mehr schlecht als recht. Okay, eigentlich hatte ich mir nur die Schimpfwörter gemerkt, aber diesen Schinken kannte jedes Gottkind. Er stand auf dem Pflichtprogramm wie bei den Menschen die Bibel und wurde selbst den Kleinsten als Gutenachtlektüre vorgelesen. Zeus selbst hatte es geschrieben.

      »Das sind Überlieferungen der Götter bis hin zu den letzten achtzig Jahren.«

      Worauf wollte er hinaus? Ich ließ den Buchdeckel fallen. Die beschrifteten Seiten klafften viel zu weiß und grell vor uns auf.

      Chain sah mir ernst ins Gesicht. »Lies Abschnitt achtundfünfzig, c eins. Dann weißt du, dass wir dich nicht belügen.«

      Ich wollte aber lieber belogen werden. Besser als solch eine Wahrheit. Meine Mundwinkel zuckten. Kalter Schweiß brach mir unter den Achseln aus. Ich schauderte, meine Augen huschten auf die Seiten hinab und ich begann zu lesen.

      Zuletzt verfluchte Zeus seine eigene verräterische Sippe. Die Tantaliden. Solange es noch Nachfahren gäbe, besaß dieser Fluch Gültigkeit. Der Fluch bestand darin, dass jeder seiner Nachfahren ein Familienmitglied töten und damit eine Kette der Gewalt und Erbschuld auf sich laden musste, die erst sein Ende fände, wenn der letzte Schicksalsfaden der Tantaliden erlosch.

      Dort stand es zwar nicht explizit, aber ich wusste, wer gemeint war.

      Einmal von Peace abgesehen musste das Chain sein. Ich starrte den grünhaarigen Gott an.

      Die Stelle kannte ich. Natürlich tat ich das. Diamond hatte mich ganze Seiten auswendig lernen lassen. Das hier war echt. Sie logen mich nicht an.

      »Warrior, Warrior, nicht ohnmächtig werden!«

      Ich blinzelte. Schwarze Flecken tanzten vor mir.

      Chain gab mir einen Klaps auf die Wange, den ich kaum spürte.

      »Du solltest sie dringend untersuchen, Chain«, sagte Ash besorgt.

      Chain nickte. Die kleine Ohrfeige wurde zu einem festen Griff, der meinen steifen Nacken in seine Richtung zwang. Das Gold in Chains Augen leuchtete wie flüssige Lava.

      »Tief durchatmen, Warrior. Wir erklären dir alles ganz in Ruhe. Aber ich würde mir gerne ansehen, was mit dir los ist. Darf ich das? Versprochen, ich werde dich nicht manipulieren oder … ich …« Er stockte. »Es tut mir so leid für dich. Was Virus getan hat, ist nicht entschuldbar. Hiermit entschuldige ich mich dennoch für ihn. Wenn ich es gewusst hätte, dass er seinen Plan durchzieht, dann …« Er ließ den Satz unbeendet, schaute mich genauso verzweifelt und ratlos an, wie ich mich fühlte.

      Ihr wollt mir helfen? Dann lasst mich frei!, wollte ich ihm ins Gesicht schreien. Alles in mich lechzte danach zu laufen, zu fliegen. Weit weg von Chain, Virus und Textstelle achtundfünfzig, c eins. Ich musste zu Peace zurück, mich in seine Arme werfen, den Geruch nach Schnee und Ozon einatmen. Mich versichern, dass er kein Monster war.

      Aber er hat Madox getötet, flüsterte eine verräterische Stimme in meinem Inneren. Du kennst Peace gar nicht.

       Du hast dich in einen Fremden verliebt.

       Er ist ein Monster. Ein seelenloses Monster. Und was machst du? Was hast du getan, außer auf deinem Arsch zu sitzen und darauf zu warten, dass es besser wird?

       Du bist so dumm, Warrior.

       Und dezent hormongesteuert.

      Ich wimmerte.

      Chains Daumen streichelten mich weiter. Als ich den Kopf wegzog, hörte er auf.

      »Tief durchatmen. Wir kriegen das hin«, sagte er und klang wie eine Hebamme, die eine werdende Mutter zum Atmen zwingen wollte.

      Zum Teufel! Ich wollte mich nicht beruhigen.

      Heftig schüttelte ich den Kopf.

      »Hör zu!«, redete Chain weiter, doch ich sprang auf, trat das Buch aus dem Weg. Es flatterte durch den Raum und klatschte gegen die Wand.

      Bebend stürmte ich hinaus. Ließ die Twinkies, die Ambrosia und die anderen zurück. Blind rannte ich in den kalten Tunnel – und die Ketten spannten sich ruckartig. Die Glieder klirrten und die Handschellen schnitten mir in die Haut. Ich schwankte, zu schwach, um daran zu reißen und Chain einfach mitzuschleifen, wie es Virus bereits mit mir getan hatte. Dennoch zerrte ich daran, bis meine Fingerspitzen pochten und blutleer waren. Ohne jede Vorwarnung lockerte sich die Spannung und ich stolperte nach vorn. Mein


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