Mami Staffel 11 – Familienroman. Edna Meare
Astrids Hand.
»Das wird eine lange, schwere Zeit für mein Kind, Astrid. Warum wechseln Sie nicht als Ärztin in diese Reha-Klinik?«
Sie senkte den Blick. »Das wird leider nicht möglich sein.«
»Ich könnte meine Beziehungen ins Spiel bringen. Sie werden sehen, so ein Arbeitsvertrag ist schnell geändert.«
»Darum geht es doch nicht, Herr Ossiander…«
»Bitte, nennen Sie mich Fabian.«
»Wenn… wenn Sie es wünschen, gern.« Sie seufzte. Was hatte sie ihm gerade zu erklären versucht? »So gern ich Claudia habe, aber einmal müssen wir beiden ja Abschied voneinander nehmen. Wenn ich sie in die Reha-Klinik begleite, wird sie sich wohler fühlen, ich weiß. Aber dort wird sie nicht immer bleiben. Ein Abschied, der hinausgezögert wird, muß davon nicht leichter werden. Früher oder später werden sich unsere Wege trennen, dann, wenn Claudia wieder ganz hergestellt ist, muß sie ja ihren eigenen Weg gehen.«
Fabian konnte seinen Blick nicht von ihr fortreißen. Der Gedanke, diese wundervolle, kluge Frau nach Claudias Genesung ebenfalls aus den Augen zu verlieren, war ihm unerträglich.
»Claudia braucht eine Frau, die ihr hilft, ohne ihre Mutter zu leben.«
»Ha«, flüsterte Astrid und sah ihm tief in die Augen. »Und wer dieser Mensch auch ist, er soll ihr helfen, die Erinnerung an Annalena zu bewahren. Sie wissen selbst, welch ungeheure Leere mit ihrem Tod in Claudias und Ihr Leben getreten ist.«
Ihr Blick erfaßte ihn voller Mitgefühl und Sanftmut und ließ ihn spüren, daß er jetzt den Mut aufbringen mußte, ihr von der Lüge, in die er sich seit Monaten immer tiefer verstrickte, zu erzählen.
Aber mußte er ihr dann nicht auch gestehen, mit welcher Gleichgültigkeit er Annalena behandelt hatte? War sie nicht der einzige Mensch, vor dem er sich zu seinem Unvermögen bekennen konnte?
»Sie muß Ihnen furchtbar fehlen«, sagte Astrid und erlöste ihn damit aus seiner feigen Unentschlossenheit. »Eine so schöne Frau und mit einem Herzen voller Liebe für Sie…«
»Ja, so war Annalena«, hörte er sich hastig sagen, weil er nicht auch noch als miserabler Egoist vor ihr stehen wollte. »Ja sie war mein Halt, meine Luft zum Atmen.«
»Keine Frau wird so schnell ihren Platz einnehmen können«, wußte Astrid seinen Gedanken weiterzuführen, obwohl es ihr schwerfiel, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Claudia selbst will ja immer Abschied von ihr nehmen. Neulich hat sie ihr Foto sogar für einige Stunden weggeräumt.«
»Sie hat was?«
»Ja, sie verbarg es in der Lade ihres Tischchens. Ich habe dann mit ihr gesprochen.« Astrid lächelte verlegen. »Nun steht es wieder so, daß sie es betrachten kann. Ich weiß doch, daß Claudia ihre Gefühle gar nicht betrügen kann.«
Ihre Worte taten ihm gut. Ja, wenigstens Claudia hatte Annalena von ganzem Herzen geliebt. Seine Tochter bewahrte ihr Angedenken so rein und klar, wie er es auch tun sollte.
Annalena konnte soviel Heiterkeit verbreiten. Sie war uns wie ein Frühlingswind, wie ein immer wärmender Sonnenstrahl, ja, sie war von einem unvergänglichen Zauber.«
Astrid blickte auf ihre Hände. Für einen Moment lang ergriff sie eine tiefe Verzweiflung. Was hatte sie sich nur von diesem Abend erhofft? Glaubte sie wirklich, ein Mann wie Fabian könnte ihr mehr als Dankbarkeit entgegenbringen? Was nahm sie sich nur heraus?
Mehr als Claudia zu umsorgen blieb ihr nicht. Und auch dafür ging die Zeit bald zu Ende.
Als sie ihn wieder ansah, hatte Fabian sich abgewandt. Er winke der Frau, die er schon begrüßt hatte, voller Heiterkeit zu. So, als hätte ihr Dialog über seine innige Liebe zu seiner Frau nie stattgefunden. Astrid spürte eine maßlose Bitterkeit in sich.
»Es ist spät geworden«, sagte sie mit belegter Stimme. »Ich habe morgen Frühdienst. Bitte, Fabian, bringen Sie mich nach Hause.«
»Jetzt schon?« fragte er leichthin. »Ich dachte, wir beide bummeln noch in eine Bar.«
Astrid erstarrte. Noch vor Minuten hatte er voller Erschütterung von seiner verstorbenen Frau gesprochen, und nun dachte er an einen Barbummel?
»Danke, nein, Herr Ossiander«, antwortete sie kühl. »Ich gehöre nicht zu Ihren Verehrerinnen, denen es nur darum geht, mit Ihnen gesehen zu werden.«
»Ich weiß«, gab er mürrisch zu, weil er es nicht gewohnt war, einen Korb zu bekommen. Aber diesmal log er nicht. Denn er hatte ja schon längst begriffen, daß diese Frau etwas Besonderes war. Sie war nicht nur eine aparte Schönheit, sondern auch eine Frau von Charakter. Und das bedeutete wohl, daß sie ihm tatsächlich kaum Bewunderung entgegenbrachte.
*
»Du solltest hier für ein wenig mehr Ordnung sorgen, Claudia«, schlug Joschi, der junge Pfleger in der Reha-Klinik vor, als er sie von ihrer Therapie im Schwimmbad zurück in ihr Zimmer schob. »Hier sieht’s aus wie bei Hempels unterm Sofa. Wenn eine vom Personal kommt und Ordnung macht und die einen der Romane findet, die ich dir immer aus der Bibliothek hereinschmuggle, krieg ich noch Ärger.«
»Ach, Joschi«, seufzte Claudia amüsiert, denn so gefährlich
konnte es es ja wohl nicht sein, statt der Jugendbücher, richtige Romane für große Leute herbeizuschaffen.
»Nix – ach Joschi! Fang bloß nicht an und sag, jede Bewegung strengt dich noch an. Das ist Mumpitz!«
Er nahm sie aus dem Rollstuhl und stellte sie behutsam mitten in den Raum, dann reichte er ihr die Gehhilfen, stupste sie leicht gegen den Oberarm und deutete zum Fenster hinaus.
»Herrlicher Schnee! Nächsten Winter kannste Skilaufen oder Rodeln wie deine Freundinnen. Und wenn’s morgen nicht zu kalt ist, schieb ich dich für ’ne Schneeballschlacht raus. Aber vorher aufräumen!«
Claudia lächelte verschmitzt. Von allen Betreuern und Ärzten hatte sie Joschi am liebsten, auch, wenn er viel zu selten Rücksicht auf ihre Launen nahm.
»Was soll deine schöne Mama denn von dir denken?« Er nahm Annalenas Foto von Claudias Betttischchen, betrachtete es, stellte es kopfschüttelnd zurück und blieb vor dem niedrigen Tisch am Fenster stehen. Auf dem stapelten sich Comic-Hefte, Bücher, Fernsehzeitschriften und Dutzende von CDs zu einem bunten Sammelsurium.
»Oder war sie nie streng? Überlegst du manchmal, ob deine Mutter ein schönes Leben geführt hat?« fragte er in den Raum, als finde er endlich Worte für seine Gedanken.
»Wieso? Was weißt du denn von meiner Mutter?« Vor Schrecken klang ihre Stimme ganz kalt.
Joschi stöhnte. »Nun mal halblang, Claudia. Spiel bloß nicht wieder die beleidigte Leberwurst, Mensch. Ich hab doch nur gefragt. Weil… also, dein Vater ist seit Weihnachten nicht mehr hiergewesen, und da denke ich manchmal, du brauchst jemanden zum Reden.«
»Und wenn schon! Nachher kommt meine Freundin Astrid.«
»Gut. Und mit der kannst du über deine Mutter reden? Oder doch lieber mit deinem Vater?«
Claudia konnte mit allen über ihre Mutter reden, nur mußte sie dabei auf der Hut sein, damit sie die Wahrheit auch klug verschwieg. Und das war oft schwerer, als mit dem Schmerz über deren Tod fertigzuwerden.
»Mein Vater ist für drei Wochen in Japan.«
»Ich weiß. Hab’ ihn im Fernsehen gesehen.«
Claudia schob das Bündel mit ihren Badesachen von dem Hocker, auf den sie sich setzen mußte, wenn sie sich ankleidete. Dann bückte sie sich, um es vom Boden zu heben. Dabei stöhnte sie mehr als sonst. Mit so einem Stöhnen gelang es ihr immer wieder, Mitleid zu erregen und sogar jedes unangenehme Gespräch zu beenden.
»Wenn die Wassergymnastik dich angestrengt hat, sollst du dich hinlegen, sagt der Physiotherapeut.«
»Ich weiß, ich bin ja nicht taub.«
Sie