Der Strick um den Hals. Emile Gaboriau

Der Strick um den Hals - Emile Gaboriau


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dem Kammerdiener, der seine Kleider trug, in sein Ankleidezimmer.

      Herr Galpin-Daveline schien über der Beschäftigung, seinem Schreiber den letzten Teil des Verhörs zu diktieren, ganz seinen Angeklagten zu vergessen.

      Das benutzte der alte Antoine.

      »Herr«, flüsterte er seinem Gebieter ins Ohr, indem er sich stellte, als helfe er ihm nur beim Ankleiden.

      »Was willst du?«

      »St, leise! Das hintere Fenster ist offen ... es ist nur zwanzig Fuß über dem Boden des Gartens ... die Erde ist weich. Ganz in der Nähe ist ein Kellerloch und unten im Keller das Ihnen bekannte Versteck. Das Meer ist nur fünf Meilen von hier entfernt; ich werde diese Nacht mit einem guten Pferde am Eingang des Parks bereitstehen.«

      Ein bitteres Lächeln flog über Herrn von Boiscorans Lippen.

      »Also auch du«, sprach er, »auch du, mein alter Freund, hältst mich für schuldig?«

      »Ich beschwöre, Sie, Herr«, beharrte Antoine, »ich nehme alles auf mich. Es sind nur zwanzig Fuß. Um Ihrer Mutter willen!«

      Aber statt zu antworten, wandte Herr von Boiscoran sich um und rief den Untersuchungsrichter herbei.

      »Sehen Sie dieses Fenster, mein Herr«, sprach er, als Herr Galpin-Daveline sich näherte. »Ich habe Geld, gute Pferde und das Meer ist nur fünf Meilen entfernt ... Ein Schuldiger wäre Ihnen entschlüpft; ich aber bin unschuldig und bleibe.«

      In einem Punkt wenigstens hatte Herr von Boiscoran recht gehabt: Nichts wäre ihm leichter gewesen, als zu entweichen, den Garten und sehr wahrscheinlich auch das Versteck zu erreichen, das sein alter Kammerdiener ihm ins Gedächtnis rief.

      Aber was nachher?

      Er konnte, das war unwiderleglich, auf den alten Antoine rechnen, um mit seiner Hilfe allen Nachforschungen zu entgehen. Aber es war tausendmal wahrscheinlicher, daß er in seinem Versteck selbst entdeckt oder bei dem Versuch, die Küste zu gewinnen, eingeholt wurde. Selbst wenn ihm die Flucht gelang, was sollte er alsdann beginnen? In welchen Ländern und unter welchen Verkleidungen hätte er einer stets drohenden Auslieferung entgehen sollen?

      Wenn man ihn wieder ergriff, stand seine Sache ganz anders. Seine ohnedies gefährdete Stellung wäre dann rettungslos gewesen. Unzweifelhaft würde sein Fluchtversuch nur als ein vollkommenes Geständnis aufgefaßt worden sein.

      Unter solchen Umständen der Versuchung zur Flucht widerstehen und zu verstehen geben, daß man hätte fliehen können, daß man es aber vorziehe, in den Händen des Gerichts zu bleiben, hieß viel weniger seine Unschuld als eine außergewöhnliche Gewandtheit beweisen.

      Dies begriff Herr Galpin-Daveline in einem Augenblick oder glaubte es doch zu begreifen.

      Man pflegt andere nach sich selbst zu beurteilen. Ein vorsichtig und argwöhnisch berechnender Kopf, glaubte er an keine plötzlichen Eingebungen und unberechneten Schritte.

      Und mit dem kalten Hohn eines Mannes, der zu verstehen geben will, daß er sich nicht anführen läßt, antwortete er: »Es ist gut, mein Herr. Dieser Umstand wird wie alle übrigen im Protokoll mit vermerkt werden.«

      Anders waren die Gedanken des Staatsanwalts und des Gerichtsschreibers Méchinet.

      Wenn der Untersuchungsrichter, blind durch seine Vorurteile, ohne Unterscheidungsvermögen war, so hatten sie ihrerseits nur zu wohl beobachtet, wie verschieden die fremdartigen Erregungen waren, welche den Angeklagten erfüllten.

      Anfangs betäubt, und zwar in solchem Grade, daß er an einen schlechten Spaß zu glauben schien, hatte seine Haltung in der Folge den heftigsten Zorn, dann Furcht, endlich vollständige Niedergeschlagenheit verraten.

      Aber je niederdrückender die Anklagepunkte sich häuften und je enger sich der Kreis der Verdachtsmomente um ihn her zog, desto mehr schien er, weit entfernt, sich zu ergeben, das Gefühl der Sicherheit wiedererlangt zu haben.

      »Alles das ist sehr sonderbar«, murmelte Méchinet.

      Daubigeon sagte kein Wort.

      Erst als Herr von Boiscoran angekleidet und zum Abgange bereit aus seinem Kabinett trat, sprach er zu ihm: »Noch eine Frage, mein Herr!«

      Der Unglückliche verneigte sich. Er war bleich, aber ruhig und gefaßt.

      »Ich bin«, sprach er, »bereit, Rede zu stehen.«

      »Ich werde kurz sein. Sie schienen erstaunt und entrüstet darüber, daß man es wagte, Sie zu beschuldigen; das ist eine Schwäche. Die Justiz kann, als eine menschliche Einrichtung, nur nach dem äußeren Schein urteilen. Wenn Sie dies erwägen, werden Sie einsehen, daß alle Anzeichen gegen Sie sind.«

      »Ich begreife das nur zu gut.«

      »Als Geschworener würden Sie selbst nicht zögern, einen Angeklagten, der sich in gleicher Lage befände, zu verurteilen.«

      »Doch, mein Herr, doch!«

      Der Staatsanwalt sprang von seinem Stuhl auf:

      »Sie sind nicht aufrichtig«, sagte er.

      Herr von Boiscoran schüttelte traurig den Kopf.

      »Es wäre hoffnungslos, Sie überzeugen zu wollen«, antwortete er. »Dennoch spreche ich mit der vollkommensten Aufrichtigkeit. Nein, ich würde einen solchen Mann nicht verurteilen, wenn er mir seine Unschuld beteuerte und ich den Beweggrund seiner Handlungsweise nicht erkennen könnte. Denn genaugenommen müßte man mindestens wahnsinnig sein, um ein Verbrechen zu begehen nur um des Verbrechens selbst willen; und was mich betrifft, so frage ich Sie – ich, dem das Schicksal bisher nur gelächelt hat, der im Begriff steht, eine heiß ersehnte Heirat zu schließen –, zu welchem Zweck ich der Brandstifter von Valpinson sein, in welcher Absicht ich versucht haben sollte, den Grafen von Claudieuse zu ermorden?«

      Nicht ohne schlecht verhehlte Ungeduld hatte der Untersuchungsrichter Herrn Daubigeon das Wort nehmen sehen, und die sich ihm darbietende Gelegenheit zur Einmischung ergreifend, sprach er:

      »Ihr Beweggrund, mein Herr, war der Haß. Sie hegten einen tödlichen Haß gegen den Grafen und die Gräfin von Claudieuse. Widersprechen Sie nicht; es wäre unnötig; die ganze Umgegend weiß es, und Sie selbst haben es mir gesagt.«

      Jacques von Boiscoran wurde womöglich noch bleicher, und im Tone vollster Verachtung antwortete er:

      »Wenn es sich so verhielte, so weiß ich dennoch nicht, mit welchem Recht Sie die Vertrauensmitteilungen eines Freundes mißbrauchen, nachdem Sie von vornherein erklärt haben, daß von Freundschaft zwischen uns keine Rede mehr sein könne. Aber es ist nicht einmal wahr. Nie habe ich Ihnen etwas Ähnliches gesagt. Da meine Ansichten sich nicht im mindesten verändert haben, so kann ich meine Worte Silbe für Silbe wiederholen. Ich habe Ihnen gesagt, daß Herr von Claudieuse ein unruhiger Nachbar sei, pochend auf seine Rechte und eifersüchtig bis zur Lächerlichkeit auf sein Jagdwild. Ich habe hinzugefügt, daß, wenn er meine politischen Ansichten für verabscheuenswert erklärte, ich die seinigen für lächerlich und gefährlich halte. Was die Gräfin betrifft, so habe ich Ihnen einfach in meiner scherzhaften Weise gesagt, daß eine so vollkommene Person nicht mein Geschmack sei; daß ich unglücklich wäre, eine Art Madonna zur Frau zu haben, die, mit ihren Fußspitzen kaum die Erde berührend, durchs Leben geht.«

      »Ah so, dann geschah


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