Dunkle Träume. Inka Loreen Minden
Gesicht, dass Jenna erneut lachen musste. »Hier geht es nur um mich und meine Gesundheit«, sagte Noir, nur noch halb so ernst. »Wenn ich Kyr mit dir schicke, hab ich erstens Gewissheit, dass dir nichts passiert, und zweitens ein weiteres Handy, das ich orten kann. Ich weiß ja, wie gern du Dinge verlegst.«
Da hatte sie ausnahmsweise recht. »Okay, überredet.« Irgendwie freute sich Jenna auf dieses Abenteuer. »Was ist mit Nicolas? Von ihm schwärmst du mir doch auch ständig vor?«
»Nicolas brauche ich auf jeden Fall hier. Er hat ein Auge auf Jamie, außerdem ist er der Einzige, der dich sofort zurückholen kann. Und er unterstützt mich mit seiner außerordentlichen Fähigkeit, in die Köpfe anderer eindringen zu können.«
»Das klingt gut, das entlastet dich.«
Noir nickte. »Ja, es ist praktisch, einen Goyle zu haben, der ebenfalls herausfinden kann, ob jemand lügt, sofern es nicht subtil geschehen muss.«
Jenna fand Nicks Fähigkeit auch faszinierend. Er konnte in anderen Köpfen sogar verschollene Informationen finden, wenn diese Leute an Amnesie litten oder ihnen durch einen Schadenzauber Erinnerungen genommen worden waren.
»Wie geht es Dominic und Akilah?«, fragte Jenna. »Ich habe sie seit der Untersuchung nicht mehr gesehen.« Da die beiden reinrassige Gargoyles waren, versteinerten sie bei Tag. Soweit Jenna wusste, waren die zwei ein Pärchen und teilten sich eine Wohnung.
»Es geht ihnen gut. Sie helfen mir, Beziehungen zu anderen Klans zu knüpfen, die nicht so einen engstirnigen Oberen haben wie Grimsley einer ist, und suchen nach weiteren Goyles oder verstoßenen Gargoyles. Magnus hat da noch einige interessante Signaturen auf seinen Satellitenbildern.«
Grimsley war der Anführer des Londoner Gargoyle-Klans, bei dem Vincent und auch Dominic und Akilah früher gelebt hatten, doch warum das Gargoyle-Pärchen jetzt hier lebte, wusste Jenna nicht. Noir war ihr ausgewichen, als Jenna sie darauf angesprochen hatte, also wollte sie nicht nachfragen. Es gab wohl einen triftigen Grund.
»So.« Resolut klappte Noir Kyrians Akte zu. »Genug vom Thema abgelenkt. Ich schicke dir Kyrian mit, oder ich rege mich so auf, dass du nicht wegfahren kannst, weil es mir so schlecht geht.«
Seufzend verschränkte Jenna die Arme vor der Brust. »Na gut, du Erpresserin«. Dafür erntete sie von Noir ein so breites Lächeln, dass sie ihr nicht böse sein konnte.
Kapitel 6 – Kyrians Gedanken
Sobald Kyr die Augen schloss, stürmten Bilder auf ihn ein: vom Dunklen Land, seiner Schwester oder den langen, qualvollen Jahren, als die Dunkelelfen ihn im Auftrag des Königs zum Killer ausgebildet hatten. Dank seines Gargoyle-Erbes war er größer und weniger zierlich als sie, daher schöpften die Magier bei seinem Anblick keinen Verdacht.
Da Hexen und Zauberer in der Menschenwelt weitgehend unter sich blieben, ihr eigenes Internet hatten und nach außen hin nicht auffallen wollten, taten sich auch die Dunkelelfen schwer, sie aufzuspüren. Doch Kyrian hatte mittlerweile einen Riecher für alles Magische entwickelt, daher war er des Königs bester Mann.
Heute begann seine Einschlafphase anders, vielleicht, weil er nur noch an sie denken konnte, seit er ihr Foto gesehen hatte: Jenna Fairchild. Morgen würde er an ihrer Seite durch England reisen.
Als er sich dazu entschlossen hatte, sich operieren zu lassen, war er sich darüber im Klaren gewesen, sich ihr und den Magiern voll und ganz auszuliefern. Kyr war während des Eingriffs nicht bei Bewusstsein gewesen. Hätten sie herausgefunden, wer er war, würde er jetzt nicht mehr in seinem Bett liegen. Schon vor Jahren, als er sich in der Menschenwelt eingelebt hatte, ließ er sich sein Stammeszeichen überstechen, um nicht gleich erkannt zu werden. Bei jedem männlichen Dunkelelfen, dessen Vorfahren aus einer alten Kriegerkaste stammten, bildete sich im Laufe des Lebens ein Muster aus Linien und Bögen, das sich von der Leistengegend bis über den restlichen Körper ziehen konnte. Es zeigte seine Abstammung, Rasse und Stärke. Leider verriet es jedem Außenstehenden, wer sie waren. Daher hatte Kyr einen Tätowierer aufgesucht, um das Stammeszeichen abzuändern. Glücklicherweise war es dank seiner Mischgene nicht besonders auffällig und konzentrierte sich nur auf seine Körpermitte. Die Hexe schien keinen Verdacht geschöpft zu haben, als sie ihn nach der Operation nackt gesehen hatte.
Kyr stöhnte in sein Kissen, während er an das Gefühl dachte, das in seinem Unterleib herangewachsen war, als Jenna ihm über die Hörner gefahren war. Das war sehr erregend gewesen. Diese kleine Hexe musste ihn verzaubert haben oder warum bekam er sie nicht mehr aus dem Kopf?
Immer tiefer glitt er in seine Traumwelt. Er hatte die Hexe vom ersten Moment an attraktiv gefunden, obwohl ihm die Dunkelelfen sein Leben lang eingetrichtert hatten, alle anderen magiebegabten Wesen zu hassen. Doch irgendetwas besaß Jenna, das ihn zu ihr hinzog. Ob es an ihrer vermeintlichen Elfenseite lag? Es hieß, Lichtelfen würden auf alle Männer, egal welcher Art, anziehend wirken. Er durfte ihrer Ausstrahlung nicht verfallen. Sie war vielleicht Myras und sein Ticket in die Freiheit. Er musste Jenna ausliefern oder wollte sie zumindest für seine Zwecke gebrauchen. Er könnte gleich mit ihr ins Dunkle Land zurückkehren, doch wenn er sich irrte und sie nicht diejenige war, die sie suchten, wären seine Tarnung und alles zerstört, was er sich hier aufgebaut hatte … Kyr musste ganz sicher sein.
Eine Art Hassliebe zu seinem Volk, das ihn zu dem gemacht hatte, was er war, trieb ihn an, denn er wollte es mit Stolz erfüllen. Immerhin waren die Dunkelelfen seine einzige Familie. Er trug einen Teil dieser Rasse in sich, und im Sohn des Königs hatte er bereits als Kind einen heimlichen Verbündeten gefunden. Kyrian musste ohnehin tun, was die Dunkelelfen sagten, oder sie würden Myra niemals freilassen.
Steckten so viele schlechte Gefühle in ihm, weil er es verabscheute, was der König ihm angetan hatte, oder weil er mehr Elf als Gargoyle war? Die Dunkelelfen waren allen Rassen gegenüber feindlich gesinnt, fühlten sich ihnen seit jeher überlegen. Ihr Ziel war es, die Menschenwelt und das Reich der Lichtelfen zu erobern. Besonders auf alle anderen magiebegabten Wesen hatten sie es abgesehen, denn sie waren der Meinung, dass es allein mythischen Wesen zustand, Magie zu wirken. Hexen waren für sie nur etwas andere Menschen, die die absolute Herrschaft an sich reißen wollten, wenn es nach König Lothaire ging.
Daher hasste »sein Volk« Hexen und Magier, denn die stellten das einzige schwer überwindbare Hindernis dar, um die Menschenwelt einzunehmen. Seit Jahrhunderten führten ihre Gruppen Krieg gegeneinander. Die Dunkelelfen drangen immer wieder in die Welt der Menschen ein, überfielen diese heimtückisch und schmiedeten ständig Pläne, andere Reiche zu unterwerfen. Das lag in ihrer Natur. Auch in seiner? Manche Dunkelelfen genossen es, sich andere Wesen – wie Menschen, Magier oder Lichtelfen – als Sklaven zu halten und ihren Willen zu brechen. Kyrs Penis schwoll an und seine Fänge verlängerten sich, als er daran dachte, sich Jenna untertan zu machen. Er würde ihr befehlen, ihn jeden Tag zu massieren, überall, von den Hörnern bis zu seinem Geschlecht, das sie zusätzlich mit der Zunge verwöhnen musste. Er würde der Hexe zeigen, wer ihr Herr war. Erst würde er ihre Hände fesseln und sie knebeln, damit sie keine Magie anwenden konnte, und dann würde er ihr die Kleidung vom Leib reißen und sie nehmen, immer und immer wieder, bis sie um Gnade winselte.
Knurrend drehte er sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht im Kissen. Leider presste sich auf diese Weise seine Erektion in die Matratze und verstärkte seine Lust. Was hatte er nur für Gedanken? Noch nie hatte er eine Frau gegen ihren Willen genommen. Seine dunklen Fantasien hatte er bisher nur mit Damen ausgelebt, die Geld dafür nahmen. Solche Etablissements gab es in fast jeder Stadt, in jedem Reich. Er hatte bezahlt, die Frauen benutzt und sie nie mehr gesehen. So war es ihm am liebsten. Keine Gefühle, keine Verpflichtungen. Nur Lustbefriedigung und eine Gelegenheit, für wenige Minuten die Erinnerung an all die schrecklichen Taten auszublenden, die er begangen hatte.
Er wollte das alles nicht wirklich. Wenn er in die Gesichter derjenigen blickte, die er töten sollte und ihre Angst und Verzweiflung darin las, fühlte er nichts, weil er sämtliche Emotionen unterdrücken konnte. Meistens. Denn nachts suchten sie ihn heim, quälten ihn, verurteilten ihn.
Sie hatten es nicht anders verdient, verflucht! Außerdem tat er das alles auch