Durch die Hölle. Bernd Hesse
weißen, gesicherten Personentransporter mit der Aufschrift JUSTIZ von der JVA Cottbus zum Landgericht gefahren. Besondere Maßnahmen zur Sicherheit mussten nicht angeordnet werden, da angesichts seines schon außergerichtlich gezeigten Aussageverhaltens weder mit einem Befreiungs- noch mit einem Fluchtversuch, einem Versuch der Selbsttötung oder Ähnlichem zu rechnen war. Im Verhandlungssaal wurden ihm die Handfesseln abgenommen und ich begrüßte ihn.
Als das Gericht eintrat, glaubte ich in den Gesichtern der Richter, die meinem Mandanten zum ersten Mal gegenübertraten, genau den Gedanken zu lesen, der mich überkam, als ich ihm den ersten Besuch in der JVA abstattete: Wie kann ein Mensch mit so gütig wirkenden Augen töten?
Die Verhandlung wurde mit der Feststellung der üblichen Formalitäten eröffnet. Nach der Verlesung der Anklageschrift durch den Staatsanwalt ließ sich der Mandant umfassend zur Tat ein.
Auch wenn ein Täter ein Geständnis ablegt, hat das Gericht die Verhandlung durchzuführen und sich zu vergewissern, dass derjenige, der auf der Anklagebank neben seinem Verteidiger sitzt, die Tat auch wirklich begangen hat. Seine Meinung bildet sich das Gericht aufgrund in der Verhandlung eingeführter Beweismittel wie der Anhörung von Zeugen und Sachverständigen, der Verlesung von Dokumenten, der Inaugenscheinnahme von Fotos oder Videos und so weiter.
Aber das Gericht bekommt üblicherweise nur das zu sehen, was ermittelt wurde. Wenn Ermittlungen also zu frühzeitig in nur eine bestimmte Richtung geführt wurden, so birgt das die Gefahr, dass der wirkliche Täter unentdeckt bleibt. Kommt dann noch das Geständnis desjenigen dazu, kann das durchaus in einem Justizirrtum münden, das heißt, ein Unschuldiger könnte verurteilt werden.
Das Gericht kann jedoch auch eigene Ermittlungen anstellen. Im Strafprozess gelten verschiedene Grundsätze, wie zum Beispiel die der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit. Deshalb werden quasi die Fragen, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens waren, auch Gegenstand des Strafverfahrens. Dabei werden aber Vernehmungen und Gutachten nicht einfach verlesen, sondern die entsprechenden Zeugen und Sachverständigen vom Gericht gehört.
Von den Gutachten war natürlich dasjenige von besonderem Interesse, welches eine Aussage zur Todesursache traf.
Staroski erklärte, dass er ursprünglich nur bei der alten Persokeit einbrechen und den »Schuldschein« stehlen wollte, der ihn betraf; vielleicht auch noch die Unterlagen zu anderen Schuldnern, aber dazu habe er sich keine konkreten Gedanken gemacht.
Als seine Cousine so forsch die Treppe hinunterlief und ihn anschrie, was er hier mache, er mit ihr reden solle, und ihm dann auch noch die Maske vom Kopf riss, da sei es mit ihm durchgegangen. Ja, da habe er sie töten wollen.
Die alte Frau lag vor ihm und atmete nicht mehr. Er glaubte sie tot und dachte nur noch daran, wie er nun die Tote loswürde.
Da kam ihm das Auto in den Sinn, welches er vor dem Haus hatte stehen sehen. Die Fahrzeugschlüssel hingen am Schlüsselbrett im Flur. Er trug die Totgeglaubte zum Auto, öffnete den Kofferraum und legte sie hinein. Sie bewegte sich nicht und atmete nicht; jedenfalls nicht für ihn erkennbar. Aus der Küche holte er eine Plastikflasche, füllte sie mit Spiritus und ging wieder zum Auto der Alten. Dort angelangt, überlegte er, wie er es in Brand setzen könnte. Aus seinem Fahrzeug holte er ein Putztuch, das einmal ein Geschirrtuch gewesen war, riss einen größeren Streifen ab, um so eine Art Molotow-Cocktail zu bauen. Dann steckte er das in den Flaschenhals gesteckte Stück Lappen in Brand, öffnete eine Fahrzeugtür, warf die Flasche hinein und schloss die Tür wieder. Aber das funktionierte nicht, und das Feuer erlosch.
»Da bekam ich langsam Panik«, fuhr der Angeklagte fort. »Das wollte einfach alles nicht klappen. Es lief alles schief an diesem Abend – und die Cousine war tot, lag leblos im Kofferraum. Mein Blick fiel auf den unmittelbar an das Grundstück grenzenden See und plötzlich hatte ich die Eingebung, das Auto samt Leiche im See zu versenken. Es ist ja bekannt, dass der See an dieser Stelle steil hinabgeht und sehr tief ist, und da …«, er stockte kurz, »da hatte ich den Einfall, das Auto mit der Leiche im See zu versenken.« Er machte eine Pause. Sein Unterkiefer bewegte sich leicht. »Den Fahrzeugschlüssel hatte ich ja noch bei der Hand. Ich startete das Auto, legte den ersten Gang ein und fuhr es an den See. Ich hatte die Tür offen gelassen und wollte herausspringen. Aber dann stoppte ich doch noch kurz vorher, nahm den Gang raus, stieg aus und schob den Wagen in den See.«
Der Staatsanwalt fragte nach der zusammenhängenden Darstellung des Angeklagten, ob dieser als handwerklich geschickter Mensch wirklich geglaubt habe, mit einer nicht zerbrechenden Plastikflasche und geschlossenen Fensterscheiben einen Brand legen zu können.
Mein Mandant antwortete: »Darüber habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Ich wollte nur irgendwie die Leiche wegbekommen. Das war alles, was ich im Sinn hatte. Sonst wäre ich doch auch nicht auf die blöde Idee gekommen. Im Film geht da immer alles gleich in Flammen auf und explodiert auch noch.«
Die weiteren Fragen der Richter und des Staatsanwalts richteten sich auf den Tötungsvorsatz des Mandanten, der einräumte, dass er seine Cousine zum Zeitpunkt des Würgens zwar zunächst habe töten wollen, dann aber erklärte, dass er das später nicht mehr wollte. Da wäre es ihm nur noch um die Beseitigung der Leiche gegangen.
Es war klar erkennbar, dass das Gericht stringent darauf hinarbeitete, die für eine Verurteilung wegen Mordes erforderlichen objektiven und subjektiven Tatbestände in der Verhandlung abzuklären und zu dokumentierten.
Bei der Zeugenvernehmung geht man als Verteidiger immer planvoll vor. Man fasst generelle Vernehmungsziele ins Auge und konkrete Ziele bezüglich der durch die Ladung bekannten Zeugen. Natürlich kommt es in der konkreten Vernehmungssituation auch darauf an, auf welchen Typ Zeugen man trifft, was nicht immer aus dem Akteninhalt ersichtlich ist. Es gibt da beispielsweise den sogenannten durchgehenden Zeugen, der im Zusammenhang, gedanklich klar und meist chronologisch erzählt, den sich nicht erinnernden Zeugen und auch den, der die eigentlich gestellte Frage nicht beantwortet.
Auch macht man sich Gedanken, wie die Ziele durch eine entsprechende Vernehmungsatmosphäre am besten zu erreichen sind. So kann man versuchen, eine spürbar auf Konsens abzielende Atmosphäre zu schaffen, eine deutlich abgekühlte und versachlichte Atmosphäre oder gar eine, bei der Zeugen Druck und Stress auslösende Konfrontation suchen. Alle sogenannten Berufszeugen, wie Polizisten und Gutachter, sind gut beraten, einfach nur sachlich zu antworten. Andere Zeugen kann man durch die Gestaltung der Vernehmungsatmosphäre leichter zur Durchsetzung der konkreten Vernehmungsziele nutzen.
Der vernehmende Beamte, der meinem Mandanten die Aussage entlockt hatte, dass es ihm die ganze Zeit über darauf angekommen sei, das Opfer zu töten, konnte meine Frage, welchen Sinn es denn gehabt haben sollte, einen Tötungsvorsatz für einen Zeitraum zu gestehen, in dem der Täter davon ausgegangen sei, das Opfer bereits getötet zu haben, nicht so recht beantworten. Das Gericht sprang ihm wie vorauszusehen zur Seite und erklärte, dass der Zeuge nur zu seinen Wahrnehmungen, aber nicht zum Sinn des Geständnisses meines Mandanten aussagen könne.
Diese Frage wollte ich dennoch nicht zurückstellen. Für eine Verurteilung nach der herrschenden Rechtsprechung zu dieser Problematik kam es ja gerade nicht darauf an, ob die Mordabsicht bei jeder einzelnen der Teilhandlungen vorgelegen habe. Ich wollte jedoch in Absprache mit meinem Mandanten den Weg zur Revision offenhalten, um prüfen zu lassen, ob der Bundesgerichtshof in Strafsachen an seiner früheren Auffassung auch weiterhin festhielt.
Die ermittelnden Beamten befragte ich danach, aufgrund welcher Umstände sie auf eine Täterschaft meines Mandanten gekommen seien.
Die Beamten beantworteten die Frage mit dem Auffinden der Stoffreste und der Unterlagen zu meinem Mandanten im Haus des Opfers. Ich fragte dann, ob die Ermittlungen sich auch gegen andere Personen gerichtet hätten, wenn bei ihnen ein solches Geschirrtuch gefunden worden wäre wie bei meinem Mandanten.
Ich nahm wahr, dass mein Mandant, der bisher die Zeugenvernehmungen in der Beweisaufnahme der Hauptverhandlung weitgehend teilnahmslos über sich ergehen lassen hatte, sich plötzlich aufrichtete und der Verhandlung wieder interessierter folgte. Hatte er mir nicht alles mitgeteilt, was er wusste?
Der Beamte bejahte meine Frage.
Die Folgefrage,