AUSROTTUNG (The Death 2). John W. Vance
»Äh, Travis, ich denke, wir müssen uns mal unterhalten«, begann sie, während sie Spaghetti um ihre Gabel wickelte.
Im orangegelben Schein der Kerzen war ein reges Schattenspiel entstanden, und ein Beobachter hätte die Szene fast romantisch gefunden, obwohl sie für Lori auf merkwürdige Weise eher verstörend wirkte.
Travis nuschelte mit vollem Mund: »Worüber?«
»Ich wollte nicht darüber reden, solange du damit beschäftigt warst, das Haus für uns bereit zu machen und es einzurichten, aber wir müssen Dinge besprechen, die vielleicht nicht ganz so angenehm sind.«
Nun blickte er zum ersten Mal von seinem Teller auf und sagte: »Ich bin kein Kind mehr, also raus mit der Sprache.«
Verlegen lächelnd fing sie an: »Zuerst mein Mann und mein Sohn. Dass ich mir Gedanken um sie mache, dürfte dir klar sein. Ist dir mittlerweile etwas eingefallen, das wir tun können, um ihnen zu helfen?«
Er wischte sich den Mund mit einer Papierserviette ab und trank einen kräftigen Schluck Wasser. »Ich habe darüber nachgedacht, bisher aber ungern mit dir darüber geredet, weil ich glaube, dass es nicht viel gibt, was wir für sie tun können.«
»Wirklich?«
»Halt es dir doch mal vor Augen: Alles was du mir über den Kanzler erzählt hast, lässt mich zu dem Schluss gelangen, dass er die beiden entweder umgebracht hat oder gefangen hält, weil er darauf aus ist, sie gegen dich verwenden zu können, falls du je zurückkehren solltest. Das würde ich zumindest so tun. Er hat kein anderes Druckmittel gegen dich in der Hand außer deiner Familie. Sie zu töten würde ihm keinen Vorteil einbringen, aber das bedeutet nicht, dass er es nicht doch getan haben könnte, weil …«
»Weil was?«
»Weil du ihm die Tour vermasselt hast.«
Lori schnaufte beschwerlich. »Ich hatte keine andere Wahl, ich musste davonlaufen. Hätte ich einfach abwarten sollen, um sie zurückzuholen? Falls ihnen etwas zustößt, ist es allein meine Schuld. Ich wollte nicht, dass es so weit kommt, aber es ist einfach passiert. Wie hätte ich das ahnen können?«
»Lori, mach dich nicht selbst fertig. Natürlich wolltest du nicht, dass es so weit kommt, es hat sich einfach so ergeben. Du stehst nämlich in der Pflicht, dein ungeborenes Kind zu schützen.«
»Tue ich das? Ich meine, manchmal denke ich, dass ich ziemlich hoch pokere, was das angeht. Ich könnte ja … was wäre, wenn ich eine Fehlgeburt hätte? Was würde das alles dann noch bringen? Nichts.« Sie brach in Tränen aus, woraufhin ihr klar wurde, dass sie versuchte, ihn aufzuwühlen, aber eigentlich selbst diejenige war, die aufgeregt war.
»Du hattest deine Gründe, es war deine Entscheidung. Du kannst nicht zurückrudern und es dir anders überlegen. Uns bleibt jetzt nichts weiter übrig, als einen Ausweg zu suchen. Ich bin froh, dass wir darüber sprechen. Um ehrlich zu sein, habe ich selbst den richtigen Zeitpunkt abgewartet, um es auf den Tisch zu bringen. Ich wollte dich einfach nicht aufregen, aber so wie es aussieht, ist es ja schon geschehen.«
»Nein, nein, nicht deinetwegen. Es liegt an mir selbst – die Hormone.«
»Ach, und ich dachte, das ist bei Frauen allgemein so«, entgegnete er im Versuch, die Stimmung zu heben.
»Ha, ha, Witzbold«, gab sie mit verhaltenem Lächeln zurück.
»Da ist es ja wieder. Ich mag dein Lächeln.«
»Ich bin so frustriert. Dass wir keinen Plan haben, gefällt mir nicht. Ich hasse es, mich hilflos zu fühlen. Ich will für David und Eric stark sein.«
»Im Augenblick wüsste ich nicht, was du unternehmen könntest, ohne dein Baby zu gefährden.«
»Okay, sprechen wir darüber: Ich brauche dieses Mittel. Ich muss R-59 beschaffen. Wie sollen wir das hin bekommen?«
»Selbstverständlich habe ich mir in meiner unendlichen Weisheit eine mögliche Vorgehensweise überlegt, was das angeht«, sagte er, während er sich zurücklehnte und ein wenig den Angeber hervorkehrte.
»Mach’s nicht so spannend.«
»Siehst du? Das ist einer der Unterschiede zwischen Militärs und Zivilisten. Ihr regt euch über alles gleich dermaßen auf, wohingegen brenzlige Situationen für uns so alltäglich sind, dass wir sie herunterspielen und mit einem Lachen abtun können. Streng genommen lieben wir Soldaten Action. Aus diesem Grund haben wir uns überhaupt erst rekrutieren lassen.«
Ohne auf seine Gehässigkeit einzugehen, fragte sie: »Wie sieht denn jetzt deine Vorgehensweise aus?«
Travis beugte sich wieder nach vorne, stützte seine Ellbogen auf den Tisch auf und antwortete: »Es gibt eine Sache, auf die sich Marines etwas einbilden, nämlich die Liebe zu ihren Kameraden. Wenn wir kämpfen, tun wir es für unseren Nebenmann. Ich brauche nur an einen meiner guten Freunde zu gelangen, und dann kann ich den Impfstoff besorgen.«
Er machte eine Pause und grinste. Sie wartete darauf, dass er fortfuhr, doch das tat er nicht.
»Das ist alles?«
»Im Grunde ja.«
»Das ist keine konkrete Vorgehensweise, sondern nur eine grobe Idee.«
»Ach, du willst genaue Einzelheiten zur Mission?«
»Ja!«
»Die musst du nicht erfahren, ganz im Gegenteil: Mir wäre es lieber, wenn du nichts davon wüsstest.«
»Sei nicht dumm, ich will nicht, dass du dein Leben riskierst, weil du kopflos vorgehst, also weihe mich bitte ein.«
»Da du darauf bestehst«, erwiderte er und legte ihr seinen Plan dar. Er erzählte ihr von einem guten Bekannten – einem anderen Captain, mit dem er die Offiziersschule besucht hatte. Dieser gehörte einer Einheit an, die als aktive Sicherheitstruppe in den Notlagern des Heimatschutzes in Region VIII stationiert war.
Als Lori dies hörte, fragte sie: »Woher weißt du, wo genau er sich aufhält und ob er R-59 überhaupt besorgen kann?«
»Ich weiß nicht genau wo er ist, kenne aber seinen Stützpunkt, eine vorgezogene Operationsbasis südlich von Rapid City in Süddakota. Als die Lager größer wurden, zog man Militärverbände zur Verstärkung ab. Seine Einheit erhielt den Auftrag, die Sicherheitskräfte vor Ort zu unterstützen.«
»Und du weißt genau, wo sich dieser Stützpunkt befindet?«
»Relativ genau, ja.«
»Warum bist du dir so sicher, es bis dorthin schaffen zu können?«
»Das bin ich mir nicht.«
»Wird er dir wirklich helfen können?«
»Keine Ahnung, aber haben wir – hast du – eine andere Wahl? Ich werde losziehen und das Impfmittel für dein Baby besorgen. Wir können von Glück reden, weil wir noch Zeit haben, doch ich muss bald aufbrechen.«
Sie sah ihn verdutzt an.
»Wie du weißt, ist meine Verlobte irgendwo dort draußen. Jetzt, da ich außer Dienst bin, würde ich sie gerne finden, doch dir gegenüber fühle ich mich ebenfalls verpflichtet.«
Nun streckte sich Lori über die Tischplatte aus und nahm seine Hand. »Travis, das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen, und ich halte es einfach nicht für richtig, mit dir hier zu sein, während die Liebe deines Lebens irgendwo dort draußen verschollen ist.«
»Mir gefällt das auch nicht, aber solche Opfer müssen Militärs eben bringen, wenn sie sich einziehen lassen. Ich habe einen Eid abgelegt, mein Land zu verteidigen, doch dieses Land gibt es jetzt nicht mehr. Ehe ich mich versah, landete ich gemeinsam mit dir an diesem Ort. Und jetzt habe ich eben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass du mit deinem Baby sicher bist.«
»Ich sollte dich begleiten.«
»Nein, da draußen ist es zu gefährlich.«
»Aber wie soll das funktionieren?