Polnische Novellen. Wladislaw Reymont

Polnische Novellen - Wladislaw Reymont


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Gold!« jammerte Tomek unaufhaltsam.

      »Beräuchert habe ich ihn, abgemessen – alles umsonst ... Dein Wille geschehe ...«

      »Von aller schlimmen Verzweiflung!« –

      murmelte mit zitternder Stimme der Kirchendiener.

      »Erlöse uns, Gott, Heiliger Geist!«

      antworteten schnell die Frauen, und inbrünstiges Stimmengeflüster, Seufzer, Weinen und Wehklagen ergossen sich durch die Stube wie ein gelber Strom und kehrten zu dem Sterbenden zurück, der in dem Glorienschein der Totenkerze dalag, sich immer tiefer reckte, den Mund immer weiter öffnete und mit der linken Hand an dem Bauernkittel zerrte, der ihm die Brust bedeckte.

      »Oh, wehe! mein goldenes Söhnchen! mein liebes Kindlein!« heulte Tomek abermals auf. »Du gehst jetzt von uns weg, du liebes, armes Wurm ... Oh! ... auf das Weinen des Vaters achtest du nicht mehr, erbarmst dich nicht unseres Herzenskummers, lässt uns arme Waisen allein! ... du gehst, mein Kind, zum lieben Herrn Jesus ein ... oh! ... oh! ... oh! ...«

      »Herzensbrüderlein, lass uns nicht allein zurück, – Liebes, Gutes, geh nicht von uns fort!« jammerte Maryscha, die Totenkerze in den Händen des Sterbenden stützend.

      »Von der ewigen Verdammnis

       Errette uns, Gott, Heiliger Geist ...«

      schwollen wieder die Stimmen des Gebetes an.

      »Und die lieben Kühchen wirst du nicht mehr auf die Weide treiben können, lieber Bursche. Die Schwestern nicht mehr an den Haaren reissen, mein Einziger, wirst nicht mehr ins Dorf laufen können und zur Lenzzeit die Vöglein ausnehmen ... niemals mehr, ... niemals mehr ... oh! ... oh! ... oh!«

      »Tomek, weine nicht, Tomek, sonst ...«

      »Vom plötzlichen und unerwarteten Tode

       Errette uns, Gott, Heiliger Geist.«

      »Und am Morgen schon hat er geklagt: Vaterle, sagt er, ich sterb' doch nicht weg. Vaterle, gebt mich nicht der Knochenfrau heraus, Vaterle, ich geh' nicht von euch weg! ... hat er gesagt ... und so gejammert hat er wie ein Hündchen, das die Vernichtung und den sicheren Tod sieht. Oh, wir armen Waisen, wir armen! Womit soll ich dir helfen, mein Sohn, womit? – Und den Armen hat nur immerzu etwas in den Eingeweiden gedrückt: hat sich das liebe Bäuchlein gehalten und gestöhnt vor Schmerzen ... Das Gebet hat er mit der Maryscha gesprochen, dabei sind ihm die lieben Tränen über die Backen gelaufen und geschüttelt hat es ihn wie eine Espe!«

      Plötzlich hörte Jusek auf zu röcheln, öffnete den Mund zu einem langen, ächzenden Atemzug, zuckte über den ganzen Leib, hob den Kopf etwas, überflog mit einem abwesenden Blick die Anwesenden und sank auf die Kissen zurück; so blieb er einen Augenblick liegen, mit glasigen Augen auf die Balkendecke starrend, dann reckte er sich lang aus und verschied, während ein angstvolles, grausiges Aufwimmern auf seinen Lippen erstarrte.

      Die Totenkerze fiel ihm aus den Händen, die Finger streckten sich, das Gesicht aber ward jäh heiter, und so blieb er denn von nun an gegen alles Gute und jegliches Elend fühllos.

      Es erhob sich ein Geschrei und herzzerreissendes Weinen.

      »Still, Leute!« rief Jagustynka, die Tür sperrangelweit aufreissend, »still, nur ein Vaterunser lang. Lasst das Seelchen in Stille davonfliegen, dass es euer Herzleid nicht vom lieben Herrn Jesus zurückhält.«

      Es wurde wirklich still, und bald darauf gingen alle auseinander, nur noch die Alte blieb.

      Bis zum Begräbnis fühlte sich Tomek dermassen durch sein Elend und die Verzweiflung über den Verlust des einzigen Sohnes niedergebeugt, dass er die ganzen Tage unbeweglich am Ofen sitzen blieb, gleichgültig gegen alles um ihn herum; er wickelte sich in seinen eigenen Schmerz ein und hatte das Gefühl, als hätte eine eiserne Hand seine Seele gepackt und presste sie ihm so furchtbar zusammen, dass er sich weder bewegen, noch aus Übermass an Schmerzen schreien konnte.

      Er ging im Trauerzug und hatte gerade noch so viel Besinnung, dass er den Sarg auf dem Wagen stützte, aber er sah die Leute um sich herum nicht, sah nicht, was um ihn geschah, und hörte die Totengesänge kaum, hörte weder die Worte des Trostes, die ihm der Priester reichlich spendete, noch die Tröstungen der Menschen.

      »Das ist der Tod, der sich so in mir breit macht,« sann er und fühlte eine einsame Stille und Ruhe von seiner Seele Besitz ergreifen.

      »Es scheint mir, dass ich sterben muss!« murmelte er, vom Friedhof ganz allein heimkehrend, denn die anderen Leute hatte der Pfarrer zurückgehalten und redete lebhaft auf sie ein, aber Tomek achtete nicht auf das, was der Priester sprach, obgleich er seinen Namen nennen hörte. Er ging für sich und starrte in die riesige Weite der Felder, die mit Schneedaunen ganz zugedeckt waren und nur ab und zu durch Birnbäume gekennzeichnet wurden; dann blickte er den hellen Himmel an oder das goldene Sonnenschild, und es war ihm, als schaukelte dieses alles langsam wie eine Glocke und als schlüge der Sonnenklöppel gegen die schwarzen Wände der Wälder wie gegen Kerben aus Erz, und süsse Klänge, ähnlich dem Rauschen der reifenden Getreidefelder, dem Raunen des Waldes an heissen Sommertagen, dem Vogelgezwitscher in den Strohdächern, umgaben ihn, erfüllten sein Gehirn und seine Seele mit einer grossen Seligkeit und wiegten ihn, wiegten ihn immer traumhafter, immer traumhafter...

      »Es scheint mir, dass ich sterben muss,« sann er, ohne sich darüber Rechenschaft geben zu können, was mit ihm geschah.

      Er kam nach Hause, setzte sich hin, wo er vorher gesessen hatte, und wusste nicht mehr, was um ihn geschah. Er hatte mit dem Lehen gekämpft, so gut er konnte, aber er fühlte, dass dieser letzte Schicksalsschlag ihn ganz erschöpft hatte; er wusste jetzt, dass er gegen das alles nicht angehen konnte, dass er zugrunde gehen müsste, darum wurde ihm alles gleichgültig, und mit einer steinernen Ergebenheit beugte er seinen Kopf und unterwarf sich seinem Schicksal. Er dachte weder an sich, noch an die zurückbleibenden Kinder, er dachte an nichts mehr – und wartete nur noch auf irgend ein Ende, das bald kommen musste.

      Er hörte, dass eine Anzahl Menschen in die Stube gekommen war, dass sie um ihn herumgingen, etwas redeten, aber er verstand nichts. Er streckte sich auf der Bank aus, wandte den Leuten den Rücken zu, zog den Schafspelz über den Kopf und blieb so wie tot liegen. »Gevatter!« redete ihn der mit den anderen hereingekommene Czerwinski an, nachdem er sich überzeugt hatte, dass Tomek von ihrer Anwesenheit so gut wie gar nichts wusste. »Gevatter! dass es Euch zu Herzen gegangen ist, das versteht sich.«

      Tomek drehte sich etwas nach ihm um und sagte mit einer stumpfen, erloschenen Stimme:

      »Gewisslich sterbe ich bald, das ist der Tod, der sich so in mir breit macht.«

      »Gevatter, das sind sündige Gedanken, die Ihr da habt. Hört einmal, was Euch Czerwinski sagen wird. Wir sind hierher aus freiem Willen gekommen, um Euch zu trösten und Hilfe zu bringen, wie ein jedes kann. Arm bist du, Tomek, und ehrlich, aber halsstarrig bist du. Bei den Herren bist du gewesen, um Hilfe zu bitten, und wir sind dir doch näher. Versteht sich, dass keiner zuerst zu dir mit der Hilfe gerannt ist, denn jeder hat ja seine liebe Not, die an ihm nagt, und sein Weib, das ihm in den Ohren liegt, und seine Sorgen hat er auch – aber es gibt doch kein Fleisch ohne Knochen und auch keinen Menschen ohne Mitleid ... Merk' dir das, und dass Czerwinski dir solches sagt ... Wir haben gewartet, bis du kommst und wie zu Brüdern sagst: »Gebt, helft! In Armut bin ich, gebt, auf Abarbeit, oder leihweise, oder für ein: Gott bezahlt; wir hätten es dir gegeben, denn wir wissen, dass dir Unrecht geschehen ist und dass du arm bist. Wir sind doch deine Leute und Christenseelen – und nur der Aff' tut den Affen in den Hinteren zwacken, der Mensch aber soll zum Menschen halten. Wir haben uns verabredet, und was ein jeder gekonnt hat, das haben wir mitgebracht. Nimm es, Tomek, und dass es euch allesamt gut bekommt.«

      »In secula seculorum, ament!« schloss der Kirchendiener andächtig.

      Die


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