100 Jahre Österreich. Johannes Kunz
von Ringelnatz, Werner Finck, formulierte es so: »An dem Punkt, wo der Spaß aufhört, beginnt der Humor.«
Zweifellos tun sich humorvolle Menschen im Leben leichter. Aber Humor ist eine Gabe, über die nicht jeder Mensch verfügt. Er ist auch nicht erlernbar. Im Allgemeinen verfügen humorvolle Menschen neben Geist und Witz auch über Geduld und Herzensgüte. Apropos Witz: Den politischen Witz gibt es schon seit dem Altertum. Zumeist ist er politisch nicht korrekt. Gerade in Diktaturen, die das Erzählen politischer Witze unter Strafe stellen, ist er ein Ventil für das Dampfablassen unzufriedener Untertanen. Ironie, Sarkasmus und Satire sind die wichtigsten Stilmittel nicht nur des politischen Witzes, sondern auch des Kabaretts.
Was macht ganz generell den österreichischen Humor aus und wodurch unterscheidet er sich etwa vom bundesdeutschen? »Österreichischer Humor«, so diagnostizierte einer, der es wissen muss, der Komiker Fritz Muliar, »ist so wie die österreichische Nation ein Produkt jahrhundertelanger Duldsamkeit, jakobinischen Kämpfertums und bekämpften Jakobinismus, katholischer Weihrauchschwadendiplomatie und böhmischhussitischer Schweigementalität«. Österreichischer Humor sei tolerierte Intoleranz und weite geistige Enge, Provinz und Großstadt, Duckmäusertum und Größenwahn, italienische Leichtigkeit, slawische Seele, verblödelte Wahrheit und lachende jüdische Trauer, meinte Muliar: »Vor allem aber ist unser Humor Erinnerung, Verklärung und Bekenntnis. Zur weiten und nahen Vergangenheit, zu Schmach und Lumperei, zu Humanität und zu dem Land, dem er entstammt: Dem Vielvölkerstaat der elf Sprachen unter einer Flagge und dem Kleinstaat, der – bei allem Streben nach Modernität – Siegelbewahrer der Vergangenheit ist. In unserer Republik, in der deutsch, kroatisch, ungarisch, slowenisch gesprochen und gedacht wird, ist bei aller nationalistischer Verblödung doch ein gewisser Hang zur Buntheit latent.«
Eine der Quellen unseres österreichischen Humors ist das Judentum, das so viel zur geistigen Bereicherung dieses Landes beigetragen hat. Friedrich Torberg: »Ich glaube in der Tat, dass die Juden eher auf Österreich verzichten können, als Österreich auf die Juden.« Die meisten guten Witze, die man sich erzählt, basieren auf dem jüdischen Humor. Der jüdische Witz ist nicht vordergründig, sondern hat Tiefgang. Er erschöpft sich nicht im Verspotten menschlicher Eigenschaften, sondern hinterfragt die gesamte menschliche Situation. Auch die beliebten No-na-Witze gehören in diese Kategorie. Oder die Witze über die Frau Pollak von Parnegg, die Ehefrau eines geadelten und getauften Wiener Industriellen. Diese populäre Figur hat tatsächlich gelebt. Die ganze Subtilität des jüdischen Witzes kommt freilich in der Nazizeit zur Geltung.
Nicht nur hat jedes Land seine eigene Form von Humor. Darüber hinaus gibt es auch regionale Spielarten des Humors, die weit in unsere Geschichte zurückreichen. Man denke etwa an den »Wiener Schmäh«. Der Kabarettist Peter Wehle leitete das Wort »Schmäh« aus dem Jiddischen (Gehörtes, Erzählung) ab. »Schmäh führen« meint Sprüche klopfen oder Scherze treiben. Der Bänkelsänger, Sackpfeifer und Stegreifdichter Marx Augustin, der 1679, als die Pest in Wien grassierte, die Bevölkerung aufheiterte, galt als Humorkanone seiner Zeit und wurde durch die Ballade »O du lieber Augustin« unsterblich. Der legendäre Wurstel wiederum war eine Schöpfung des aus Graz stammenden Anton Stranitzky. Um 1710 trat Stranitzky zum ersten Mal als »Hans Wurst« im Salzburger Bauernkostüm mit spitzem grünem Hut vor das Wiener Publikum.
Hier in Wien gab es allerdings nicht fröhlich-naive Typen wie die Kölner Tünnes und Schäl oder Antek und Frantek in Oberschlesien. Der Wiener Humor war stets etwas schwieriger. Melancholie und Depression gehören hier einfach dazu. Das sieht man auch in den Texten vieler Wienerlieder, in denen der Tod besungen wird. Dieser Schmelztiegel Wien war auch eine schwierige Stadt mit schwierigen Bewohnern. Kein Geringerer als Sigmund Freud brachte die Seelenkunde mit dem Witz in Verbindung. Das war im Jahr 1905 in seinem Buch »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten«. Freuds Thesen liefen darauf hinaus: Humor ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Freud mag mit seiner Bemerkung recht haben, dass der Witz imstande sei, dem Menschen selbst über körperliche Schmerzen hinwegzuhelfen.
Auf den Wechsel von der k. u. k. Monarchie zur Republik geht die Erfindung des Grafen Bobby, einer fiktiven Wiener Witzfigur, zurück. Für Gottfried Heindl war auch Bobby »ein Schwieriger deshalb, weil er – so überraschend es zunächst klingen mag – eine ganz und gar zwiespältige Grenzfigur zwischen Blödheit und Weisheit, Humor und Psychologie, seichter Vordergründigkeit und tiefer Hintergründigkeit ist.« Diese Witze beziehen ihre Pointe meist aus der Infantilität und Naivität Bobbys. Mit von der Partie sind häufig die ebenfalls nicht real existierenden Graf Rudi, Baron Mucki, Graf Poldi und Baron Scheidl, die Bobby an Dümmlichkeit um nichts nachstehen.
Die ambivalente Beziehung des Österreichers zu seinem Land und vor allem des Wieners zu seiner Heimatstadt schwankt zwischen Hass und Liebe. Karl Kraus brachte es auf den Punkt: »Ich, der Heimat treuer Hasser, will aus dieser Gegend weg – blau war nie das Donauwasser, doch die Spree hat noch mehr Dreck!« Und Sigmund Freud ließ sich zu dieser Bemerkung hinreißen: »Österreich, das ist ein Land, über das man sich zu Tode ärgert und in dem man trotzdem sterben möchte.« Oder Helmut Qualtinger, der scharfzüngige Ur-Wiener: »Das Problem für jeden Wiener: man kann es in Wien nicht mehr aushalten, aber woanders auch nicht.« Und noch schärfer: »In Wien musst erst sterben, damit sie Dich leben lassen, aber dann lebst lang.« »Wie schön wäre Wien ohne die Wiener«, formulierte Georg Kreisler und Fritz Kortner sprach: »Anderswo machen die Leute aus ihrem Herzen eine Mördergrube, in Wien machen sie aus ihrer Mördergrube ein Herz.« Auch Alfred Polgar äußerte sich zu diesem Thema: »Wien bleibt Wien – und das ist wohl das schlimmste, das man über diese Stadt sagen kann.«
Aus dieser Mentalität erwuchsen Satire, Kabarett, Witz, Anekdote und Karikatur als zeitgeschichtliche Dokumente. Das gilt sowohl für die Demokratie, in der die freie Meinungsäußerung nicht mit einem Begräbnis endet, wie auch für die Diktatur, in der man tun und lassen kann, was die Regierung vorschreibt und in der man zu allem, was nicht verboten ist, gezwungen wird. Österreich hat in den 100 Jahren seit 1918 beides erlebt. In Österreich, das sich von Deutschland hauptsächlich durch die gleiche Sprache unterscheidet, entwickelte sich eine eigene Nestroy’sche Art, autoritären Standesstaat, Nazidiktatur und Demokratie zu glossieren.
Jede Phase in den zurückliegenden hundert Jahren hat ihre Witze. Dem Bürger als Zaungast der Politik bleibt oft nur die Flucht in den Humor. Wie schrieb Karl Kraus so treffend: »Ich halte die Politik für eine mindestens ebenso vortreffliche Manier, mit dem Ernst des Lebens fertig zu werden, wie das Tarockspiel, und da es Menschen gibt, die vom Tarockspiel leben, ist der Berufspolitiker eine durchaus verständliche Erscheinung. Umso mehr, als er immer nur auf Kosten jener gewinnt, die nicht mitspielen. Aber es ist in Ordnung, dass der Kiebitz zahlen muss, wenn das geduldige Zuschauen seinen Daseinsinhalt bildet. Gäbe es keine Politik, so hätte der Bürger bloß sein Innenleben, also nichts, was ihn ausfüllen könnte.«
Doch wovor müssen sich Politiker hüten? – Vor freien Wahlen, vor freien Meinungsäußerungen, vor Fanatikern. Und vor Witzen. In einer Diktatur kann ein Politiker Wahlen verfälschen, Meinungsäußerungen verbieten, Fanatiker kaltstellen. Nur gegen Witze kann er sich nicht wehren. Aber auch in einer Demokratie eignet sich niemand besser als Ziel von Witzen wie der Politiker. Er ist der Buhmann der Nation, auch wenn er von ebendieser gewählt wurde.
Was ist der Unterschied zwischen einer Telefonzelle und der Politik? – In der Telefonzelle muss man erst zahlen und darf dann wählen, in der Politik darf man erst wählen und muss dann zahlen.
Gerhard Bronner hat Recht, wenn er sagt, die Zahl der guten Witze sei wesentlich kleiner als die Zahl guter Romane. Es gebe eben in der Literaturgeschichte mehr Romanautoren als Humoristen: »Die meisten Witze werden in der Praxis nicht erfunden (oder erdacht), sie passieren einfach irgendwie. Sie müssen nur als Witz erkannt, vielleicht ein bisschen umformuliert werden, sie gehen von Mund zu Mund, fast jeder Erzähler fügt etwas hinzu (oder lässt etwas weg) und schon ist ein neuer – manchmal sogar ein guter – Witz entstanden. Und damit sind wir übergangslos bei der Anekdote angelangt. Das Wort stammt natürlich aus dem Griechischen – wie vieles andere auch. ›Anekdoton‹ heißt, wörtlich übersetzt, ›das nicht Herausgegebene‹. Wieso? Ein gewisser Prokopios verfasste im 6. Jahrhundert ein Werk mit kritischer Tendenz und zahllosen Indiskretionen über den Kaiser Justinian – ein Werk, das allerdings