Kaiserin Elisabeths Fitness- und Diät-Programm. Gabriele Praschl-Bichler
weshalb es nötig war, die »Jugend an die mit dem Wehrdienst verbundenen Strapazen zu gewöhnen«. Hauptsächlich stellte Turnen aber auch für ihn – wie schon für Rousseau – »eine Bewegung … zur körperlichen und sittlichen Erziehung zum Staatsbürger« dar. (alles in: Wildt, S. 18f.)
Wenn die Ideen Jahns bis dahin also hauptsächlich praktischen Charakter hatten, so waren sie nur an die unteren Gesellschaftsschichten gerichtet. Denn weder Fürstenkinder noch junge Mitglieder aus Adels- oder Großbürgerkreisen hatten Aufsicht oder diese Form der Soldatenerziehung nötig. Daß Herzog Max in Bayern also etwa zwanzig Jahre nach dem Erscheinen von Jahns Büchern denselben Ideen huldigte und seine Kinder derart sportlich erzog, hat in Fürstenkreisen daher viel Aufsehen erregt. Allerdings kam diese Art der intensiven körperlichen Betätigung seinen munteren Söhnen und Töchtern sehr entgegen. Allen voran dem ihm ähnlichsten Kind Elisabeth. Das Mädchen war Feuer und Flamme für alles, was ihm Bewegung verschaffte und es aus der Studierstube befreite. Im Unterschied zu den Vorstellungen Jahns, der dachte, die besten Sportler wären auch die besten Schüler, verhielt es sich bei den Wittelsbachern – und wie ich meine auch heute noch – aber völlig anders. Denn die Sportlichsten unter den jungen Prinzen und Prinzessinnen waren wie die junge Elisabeth die schlechtesten Schüler (sonderbarerweise machte die spätere Kaiserin auch in ihrem weiteren Leben kaum eine geistige Weiterentwicklung durch, wurde aber eine immer eifrigere Athletin. Mehr darüber ist in dem Buch »Mythos und Wahrheit« nachzulesen, s. dazu auf S. 208).
Kaiserin Elisabeth war zeit Lebens eine vom Sport Besessene. Etliche Stunden des Tages waren mit dieser ihrer Lieblingsbeschäftigung ausgefüllt. Nicht einmal in den Wohnungen mochte die Kaiserin auf das tägliche Training verzichten, weshalb in allen Schlössern, die sie bewohnte, Gymnastikräume mit Sprossenwänden, Leitern, Ringen und anderen Turngeräten zu finden waren. Elisabeth nutzte jede freie Minute, um sich körperlich zu ertüchtigen und absolvierte ihr Programm noch vor Bällen und Empfängen. So erwähnte ihr Griechischlehrer in seinen Erinnerungen, daß er sie einmal sogar in einer Abendrobe turnen sah: »An der offenen Tür zwischen dem Salon und ihrem Boudoir waren Seile, Turn- und Hängeapparate angebracht. Ich traf sie gerade, wie sie sich an den Handringen erhob. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid mit langer Schleppe von herrlichen schwarzen Straußfedern umsäumt … Auf den Stricken hängend machte sie einen phantastischen Eindruck wie ein Wesen zwischen Schlange und Vogel …« (Christomanos, S. 67)
Ein witziges Dokument aus »nach-jahnschen« Zeiten: Zum Ausgleich für militärische Strapazen spielen Soldaten im Kasernenhof Tennis (um die Jahrhundertwende).
Am berühmtesten war Elisabeth zweifellos als Reiterin. »Wenn sie nicht Kaiserin gewesen wäre, würde sie die erste Kunstreiterin der Welt und die ausgezeichnetste Lehrerin der Reitkunst gewesen sein. Autoritäten auf diesem Gebiete haben erklärt, daß sie ein einzig dastehendes Geschick besaß, sich, wenn sie ritt, in unmittelbare, fast magnetische Verbindung mit dem Pferde zu sehen. Ihre feine Frauenhand leitete die unlenkbarsten Tiere mit erstaunlicher Sicherheit; sie verstand es, unter den schwierigsten Umständen ihre Macht über dieselben zu bewahren. Und selbst die bösartigsten Pferde ließen sich von ihr gern klopfen.« (Tschudi, S. 84) Das hielt eine der ersten Biographinnen nach dem Tod der Kaiserin fest. Die Beschreibung von Elisabeths außerordentlichem Reittalent hatte aber schon zu ihren Lebzeiten eine Menge Seiten von mehr oder weniger ernsthaften Publikationen gefüllt. Sogar in Lehrbüchern wurde die österreichische Kaiserin als besonderes Vorbild gepriesen. »Noch vor nicht zu langer Zeit sah man nur wenige Damen zu Pferde; je mehr man aber den Wert aller körperlichen Übungen auch für das weibliche Geschlecht erkannt … hat … faßte nach und nach das Reiten festeren Fuß in der Zahl derjenigen Kunstfertigkeiten, welche dem Mädchen ebenso wie Tanzen, Schwimmen, Turnen u.s.w. neben der wissenschaftlichen Ausbildung zu seiner Erholung und seiner Gesundheit nach den geistigen Anstrengungen dienlich sind. Vorbilder wie die Kaiserin von Österreich und die Kronprinzessin des Deutschen Reiches (gemeint ist die erste Ehefrau des späteren Kaisers Wilhelm II., geborene Prinzessin Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein), auf welche die Augen aller gerichtet sind, tragen unendlich viel zur Verbreitung des Reitens bei …« (von Heydebrand, S. 8)
Schloß Schönbrunn, die kaiserliche Sommerresidenz (damals außerhalb von Wien gelegen), besaß wie die meisten Schlösser, die Kaiserin Elisa beth bewohnte, ein eigenes Turnzimmer.
Interessant in diesem kurzen Ausschnitt aus einem Lehrbuch zur »Einführung in das Gebiet der edlen Reitkunst für Damen« ist die Bemerkung, daß »das Reiten … ebenso wie … Schwimmen, Turnen« gegen Ende des 19. Jahrhunderts sogar Mädchen empfohlen wurde. Das ist als besonderer Erfolg zu werten, bedeutet allerdings noch nicht, daß es sich dabei um die damals landläufig gültige Meinung handelte. Aber immerhin hatte sich da seit der Jugend Kaiserin Elisabeths in den gesellschaftlich höherstehenden Kreisen und in den gebildeten Schichten einiges getan. Denn während ihrer Jugend waren weder das Turnen noch das Schwimmen geeignete Sportarten für Mädchen oder Frauen. Daß das Buch um die Mitte der achtziger Jahre überhaupt in großer Auflage veröffentlicht werden konnte, stellte einen schon mächtigen Fortschritt dar. Denn die Damenliteratur der Epoche war bis dahin beinahe ausschließlich von Hausfrauenweisheiten und religiösen Inhalten geprägt. Über Dinge zu schreiben oder zu sprechen, die menschliche Körperteile betrafen, war – wie früher schon erwähnt – unstatthaft.
Mädchen, das mit Hanteln trainiert (aus dem damals sehr fortschrittlichen Lehrbuch zur »Einführung in das Gebiet der edlen Reitkunst für Damen«). Denn selbst gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Gymnastik für Mädchen eine noch ziemlich unstatthafte Angelegenheit.
Wahrscheinlich werden viele Leser denken, daß es eigentlich unwichtig ist herauszufinden, ab wann genau sich Frauen öffentlich sportlich betätigen oder bilden durften. Für die an Kaiserin Elisabeth Interessierten hat die Sache allerdings eine andere und wesentlich größere Bedeutung. Denn wenn das Ausüben verschiedener Sportarten für adelige oder bürgerliche Frauen ein Tabu darstellte, dann galt das für eine Kaiserin um so stärker. Aber Elisabeth hielt sich eben nicht an die Regeln der Gesellschaft. Das macht die Sache so recht spannend und verleiht dem Band über sie und ihre sportlichen Betätigungen einen besonderen Reiz. Da sie vor allem so gerne und ausgiebig Gymnastik betrieb, das Turnen zu ihrer Zeit aber eine mehrfach »verrufene« Sportart darstellte, soll im Folgenden noch einmal genauer auf die Entwicklung eingegangen werden. Denn außer den sittlichen Bedenken, die Puritaner angesichts der spärlich bekleideten »Gymnastiker« empfanden, traten der immer stärker um sich greifenden Bewegung auch die meisten europäischen Herrscher mit äußerster Vorsicht entgegen. Denn …
*) Rousseau hatte 1762 den zukunftsweisenden Roman »Emile oder über die Erziehung« veröffentlicht, womit er sozusagen über Nacht eine neue Ära der Kindererziehung einleitete.
Turnen war eine politisch anrüchige Sache
Wie im vorherigen Kapitel schon kurz angedeutet, hatte sich die im 18. Jahrhundert mit Rousseau beginnende Turnbewegung*) über die Vermittlung von GuthsMuth und Jahn im 19. Jahrhundert in verschiedenen Bahnen entwickelt. Während sich die Anhänger der beiden Erstgenannten hauptsächlich um ihre Gesundheit und den Sport als Ausgleich kümmerten, verwickelten sich die Schüler und Anhänger Jahns in immer stärkere politische Tätigkeit. Schließlich wurden aus einigen von ihnen tatsächlich Aufrührer und Rebellen. Denn sie hatten sich nicht nur die neue Körperkultur ihres Lehrers zum Vorbild genommen, sie hatten auch seine Schriften*) gelesen und wollten nun die Theorie in die Tat umsetzen.