Fesseln des Verlangens. Kelly Stevens
schnappe ich nach Luft. Jetzt ist er derjenige, der den Kuss vertieft, mich gegen die Bartheke drängt, bis ich zwischen seinem warmen Körper und dem harten Holz gefangen bin. Das Blut rauscht in meinen Ohren, ich habe die Augen geschlossen, um die Menschen um uns herum auszublenden. In diesem Moment gibt es nur noch diesen fremden Mann und mich. Was als kleines Spiel begonnen hat, ist völlig außer Kontrolle geraten.
Es ist Louis, der mich abrupt freigibt. Ich blinzele desorientiert, bis mir wieder klar ist, wo ich bin: die Bar, die fremden Menschen um mich herum, die Gespräche, die verstummt zu sein scheinen.
Während mein Herz immer noch doppelt so schnell schlägt wie normal und ich völlig durcheinander bin, sieht Louis kühl und überlegen aus.
»Ich würde mich gerne mit einer Einladung revanchieren. Ruf mich an.« Er schiebt mir seine Karte zu. Darauf steht nur sein Vorname und eine Handynummer, nichts weiter. Kein Logo, kein Firmenname, keine Adresse, nichts.
Einen Moment beäuge ich die Karte misstrauisch, aber er kann mich schließlich nicht zwingen, ihn anzurufen. Er hätte auch nach meiner Nummer fragen können, aber die hätte ich selbstverständlich nicht ohne Weiteres rausgerückt. Ich bin misstrauisch – das hat mein Job mit sich gebracht. Selbst, wenn ich gerade mitten in einer Bar geküsst worden bin, dass ich immer noch weiche Knie habe.
»Danke«, antworte ich so neutral wie möglich und stecke die Karte ein. Natürlich werde ich ihn nicht anrufen. Selbst wenn er ein gutaussehender, glutäugiger Spanier mit sexueller Anziehungskraft ist, der genau mein Typ ist!
Ich rufe keine fremden, liierten Männer an!
Missmutig betrachte ich Louis’ Visitenkarte. Zu Hause hatte ich endlich Zeit, sie mir in Ruhe anzuschauen, aber auch die Rückseite war leer. Das Papier ist strukturiert und fühlt sich edel an, die schwarze Schrift auf weißem Grund ist schwungvoll, aber unprätentiös. Ich versuche, seinen Vornamen zusammen mit seiner Handynummer zu googeln, bekomme aber keine Treffer.
Nach einem letzten Blick stecke ich die Karte in meinen Kalender. Ich besitze tatsächlich noch einen schön verzierten Kalender in Buchform, in den man richtig hineinschreiben kann und der eine Tasche hat, in der man Notizen, Fahrkarten und ähnliches aufbewahren kann. Mein eigenes Smartphone ist mir schon mehrfach gestohlen worden, meistens bei der Arbeit, weil ich es nicht immer mit mir herumtragen darf. Mein buntes Notizbuch hingegen hat mir noch nie jemand geklaut. Es ist individuell, genau wie ich. Meine Kollegen haben zwar liebevolle Späße darüber gemacht, dass ich noch nicht ganz in der Neuzeit angekommen bin, aber das stört mich nicht. In Spanien gehen die Uhren langsamer als in London, es ist insgesamt weniger hektisch und stressig. Mein Notizbuch passt zu diesem Lebensgefühl.
Dass ich immer mehr in Spanien ankomme, zeigt sich auch daran, dass ich endlich beginne, mich nach einer Yogaschule umzusehen. Beim Yoga kommt es mir sehr auf die Umgebung, den Raum, die Gerüche, die allgemeine Atmosphäre an und natürlich auf die Yogalehrer, ihre Stimme, ihr Unterrichtsstil. Ich fühle mich sowohl bei ruhigem Yin Yoga als auch bei kraftvollem Ashtanga Yoga oder beim dynamischem Vinyasa Yoga wohl. Jedes zu seiner Zeit. Manchmal ist mir mehr nach einem langsamen, meditativen Stil, manchmal will ich mich einfach nur auspowern.
Schließlich finde ich tatsächlich ein Studio, das bis spätabends Kurse anbietet. Es liegt am Meer, und von den Unterrichtsräumen aus hat man durch die großen Glasfronten einen phantastischen Blick aufs Wasser. Zwar ist es eher hochpreisig, aber dafür ist es nicht völlig überfüllt wie einige andere Studios, die ich ausprobiert habe. Das Beste ist, es liegt fußläufig zu meinem Appartement.
Entsprechend laufe ich eines Abends nach meiner Stunde an der Strandpromenade entlang, meine Yogamatte eingerollt über der Schulter, als ich vor mir ein Paar endlos lange Beine in Jeansshorts sehe. Dies allein ist in Barcelona kein ungewöhnlicher Anblick, aber in Verbindung mit ihren langen dunklen Locken bin ich mir sicher, dass es sich um die junge Frau handelt, die Louis am Flughafen erwartete. Ein Blick in ihr Gesicht bestätigt dies. Heute trägt sie ein weich fallendes, zitronengelbes Top und sehr hohe High Heels, die ihre Beine noch länger erscheinen lassen.
Von Louis fehlt allerdings jede Spur. Stattdessen ist sie mit einer Gruppe junger Männer unterwegs.
Sie geht mich nichts an, sage ich mir, während ich in eine Seitenstraße einbiege, die zu meiner Wohnung führt. Mein Job hat mir die Augen geöffnet, dass es jede Menge Menschen gibt, die sich aus Not oder anderen Gründen ausbeuten lassen – sei es, dass sie für einen Hungerlohn arbeiten, sei es, dass sie sich in illegale Geschäfte verstricken lassen oder eben, dass Frauen sich von Männern aushalten lassen.
Trotzdem muss ich zugeben, dass die junge Frau sich ehrlich gefreut hatte, Louis zu sehen, und er sie. Vielleicht ist es zwischen ihnen ja doch wahre Liebe. Wünschen würde ich es ihnen.
Wieso denke ich überhaupt immer noch über Louis nach? Mein Plan, mich auf den nächsten glutäugigen Spanier zu stürzen, war sowieso Quatsch.
Selbst, wenn er phantastisch küssen kann.
Keine drei Tage später, als ich gerade von der Mittagspause zurückkomme, sehe ich Louis erneut. In einer so großen Stadt schon ein ungewöhnlicher Zufall, aber vielleicht wohnt oder arbeitet er in der Nähe des Cafés?
Heute trage ich keine Yogamatte. Dafür hat er eine große Kameratasche bei sich. Wieder ist er alleine unterwegs.
»Sieh an, die Yogaschülerin, die mich geküsst hat. Du hast mir gar nicht deinen Namen gesagt.«
Ich werde rot. Geschieht ihm wahrscheinlich nicht alle Tage, dass ihn eine fremde Frau küsst. Kein Wunder, dass er sich daran erinnert.
Einen Moment zögere ich, weil mein Name wirklich nicht alltäglich ist. Normalerweise stelle ich mich flüchtigen Bekanntschaften, von denen ich ausgehe, dass ich sie nie wieder sehen werde, mit Anna oder Marie oder einem anderen Allerweltsnamen vor. Doch aus irgendeinem Grund, der mir selbst nicht klar ist, mache ich bei Louis eine Ausnahme. »Phuong.«
»Phuong.« Er lässt sich den fremdländischen Klang auf der Zunge zergehen, als wolle er ihn schmecken. »Du hast mich nicht angerufen, Phuong.«
»Das ist richtig.« Ich will mich weder erklären noch verteidigen müssen.
Er mustert mich. »In Spanien ist es unhöflich, Einladungen nicht anzunehmen.«
Ich runzele die Stirn. Stimmt, er hatte sich mit einer Einladung revanchieren wollen, aber ich war mir nicht sicher, ob das nicht nur eine Floskel war. »In anderen Ländern sagt man so etwas, ohne es zu meinen. Etwa im Stil von ‚bis bald‘.«
»Hast du deshalb nicht angerufen, weil du dachtest, ich hätte es nicht ernst gemeint?«
Es ist mir lieber, dass er das denkt, als irgendetwas anderes. »Tut mir leid. Ich bin wohl noch nicht lange genug hier, um mich mit allen spanischen Sitten und Gebräuchen auszukennen.« Nur, dass Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen werden, das habe ich schon mitbekommen. Leider erst, nachdem ich ihn in der Bar geküsst hatte.
Er nickt, als würde er mir zustimmen. Um gleich darauf zu sagen: »Gib mir deine Nummer.«
»Nein, ich habe deine Karte, und jetzt, wo ich weiß …«, beginne ich.
»Gib mir deine Nummer.«
Seine Stimme klingt einschüchternd und erweckt genau damit meinen Widerstand. Mein Blick bleibt an seinem Mund hängen, diesen Lippen, mit denen er mich geküsst hat. Schon wieder beschleunigen sich mein Herzschlag und meine Atmung, meine Brustwarzen ziehen sich zusammen. Trotzdem bleibe ich hart. »Nein.«
»Nein?«
»Ich werde dich anrufen.« Mit unterdrückter Rufnummer, notiere ich innerlich.
Louis zieht seine Kamera aus der Tasche und überprüft irgendetwas. Heutzutage, wo fast jeder mit einer kleinen Digitalkamera oder seinem Smartphone fotografiert, fällt das Riesenteil