Leni Behrendt Staffel 3 – Liebesroman. Leni Behrendt
sind die niedlichen Marjellchen dir böse. Oder sind sie etwa nicht niedlich?«
»Sehr niedlich, Umi«, gebrauchte er die Bezeichnung, die Trutzi für die Urgroßmutter prägte und die von den anderen zärtlich angewendet wurde. »Und gerade deshalb mag ich mich nicht in Gefahr begeben.«
»Du hast’s nötig«, versetzte die alte Dame trocken und zeigte dann auf die Nichte, die vergnügt näher trat. »Aha, da ist ja auch unser liebes Brunchen. Will mich nicht wundern, wenn sich auch noch Ragnilt einfindet, auf daß die Familie komplett werde. Wo steckt der Irrwisch überhaupt?«
»Der sitzt in der Klemme im wahrsten Sinne des Wortes«, gab Brunhild lachend Auskunft. »Und zwar hat sie eine Dame, die gut und gern zweieinhalb Zentner wiegt, in die Ecke gedrängt.«
»Ah, die Tante Auguste«, schmunzelte Ackermann dazwischen. »Also aus der Klemme geht die Frau Baronin nur als perfekte Strickerin hervor, denn bevor sie dem strickwütigen Gustchen nicht ein Examen abgelegt hat, kommt sie nicht aus der Ecke – es sei denn, ich befreie sie und bringe sie hierher.«
Damit erhob er sich und ging davon, um einige Minuten später wieder zu erscheinen, in jeder Hand eine entkorkte Sektflasche, während Ragnilt die Gläser trug. Rasch wurden diese gefüllt, dann ließ die junge Baronin sich auf einem Fußstühlchen nieder und leerte ihr Glas bis zum letzten Tropfen.
»Na, du hast vielleicht einen Zug«, meinte die Großmutter anerkennend. »Was wolltest du denn ersäufen, wie?«
»Maschen, Umi, Maschen«, kam es so komisch verzweifelt von den jungroten Lippen, daß es eine Lachsalve auslöste. »Hin und her, kreuz und quer, rechtsherum, linksherum, von oben gestrickt, von unten gestrickt. Du lieber Himmel, ich habe bisher gar nicht gewußt, daß das, was unsere Piedestale umschließt, in seiner Herstellung so kompliziert sein kann. Hat diese – gewichtige Dame etwa eine Strumpffabrik, für die sie Reklame machen muß, Herr Ackermann?«
»Eine Fabrik wäre in den Augen der braven Auguste ein Nuschtwerk«, kam es schmunzelnd zurück. »Selbst ist der Mann – in diesem Fall sind es ihre Grübchenhände. Was die am laufenden Band herstellen, besteht nur aus guter, reiner Schafwolle. Diese soliden Gebilde werden unter der Verwandtschaft verteilt, und ich nehme an, daß die Socken, die heute auf dem Gabentisch liegen, fürs ganze Leben des Ehepaares ausreichen.«
»Und mir ist das nächste Paar zugedacht, welches das spaßige Gustchen gleich morgen in Angriff nehmen wird«, erklärte Ragnilt lachend.
*
»Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus«, sang die Reiterin, die mit verhängten Zügeln ihr Rößlein traben ließ. Sie waren beide so versunken, daß sie hinter sich nicht das Auto bemerkten, horchten erst auf, als der Mann am Steuer die Weise mitpfiff.
»Ja, Gisbert, wo kommst du denn so plötzlich her?« rief Ragnilt ihm verwundert entgegen, und singend kam es zurück, während der Wagen neben dem Pferd abstoppte:
»Da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus…«
Verdutzt brach er ab und horchte gleich der Reiterin auf die Fortsetzung des Liedes, das von irgendwo herüberwehte.
»Wie die Wolken dort wandern, am himmlischen Zelt, so steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.«
»Das ist Trutz«, lachte Ragnilt. »Denn so ergreifend falsch singen kann nur er.«
Und tatsächlich tauchte er in einer Schneise auf, hoch zu Roß. Und als dieses sich zu seinem Artgenossen gesellte, sang Gisbert begeistert:
»Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun, drum Brüderchen: Ergo bibamus.«
»Das Studentenlied beweist, daß du von einer Maifeierkneipentour kommst«, unterbrach Trutz ihn schmunzelnd. »Und nun fährst du einen Kater spazieren, um ihn in Brechten zur Ruhe zu legen, stimmt’s?«
»Beinahe, Schwagerherz«, kam es vergnügt zurück. »Nur, daß mein Kater nicht der Ruhe bedarf, sondern nach einem sauren Hering und einem Glas schäumenden Bieres verlangt.«
»Beides sei dir gastlich gewährt«, tat Ragnilt großartig. »Nun laß deinen PSchen freien Lauf, weil sie ja schneller sind als die unseren.«
Da flitzte der Wagen ab, und langsam folgten die Reiter, die zwei prächtige Trakehner ritten – sie einen Schimmel, er einen Rappen. Beide Tiere stammten aus Brechtener Zucht, bei der man dort schon längst eine glückliche Hand bewies.
»Wie lange bist du eigentlich schon unterwegs?« fragte der Mann seine Begleiterin.
»Seit einer guten Stunde. Es hielt mich einfach nicht länger im Bett beim Einzug des Götterknaben Mai, der so prächtig erschien, wie ihn die Dichter gern besingen. Und den Einzug mußte ich unbedingt mitmachen.«
»Nanu, das hört sich ja beinahe so an, als hättest du dir dazu die Nacht um die Ohren geschlagen.«
»Nicht ganz«, lachte sie. »Denn bis kurz vor Sonnenaufgang schlief ich fest. Was mich dann weckte und aus dem Bett trieb, war Harmonikamusik und Gesang.
Und gerade als ich den Altan betrat, stieg die Sonne am Horizont empor, strahlend schön, alles ringsumher mit goldrotem Schein überflutet, so daß der Park wie ein Märchenland anmutete, zumal noch die Tautropfen auf Blumen und Blättern wie Millionen Diamanten glänzten und gleißten. Die Blumen dufteten so süß, dazu Musik und Gesang, der wie ein Hauch zu mir hinüberwehte – ach, Trutz, es war so wonnig schön, daß ich es gar nicht in Worte fassen kann.«
Jäh brach sie ab und senkte beschämt das heißerglühte Gesicht.
»Verzeih, Trutz, daß ich mich vergaß und dich mit meiner Faselei belästigte. Es soll bestimmt nicht wieder vorkommen.«
Damit ließ sie ihrem Pferd freien Lauf, während der Mann das seine absichtlich zurückhielt. Denn was sie ihm gesagt, war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen, hatte ihn in peinlichste Verlegenheit gebracht, über die er erst hinwegkommen mußte, bevor er der Gattin wieder begegnete. Also waren in ihrem Hirn die ersten fünf Ehewochen doch nicht so ganz ausgelöscht, in denen sie oft von ihm hatte hören müssen, daß sie ihn mit ihren süßen Sentiments um Himmels willen verschonen möge, so ein sanftsäuselndes Gefasel sei ihm nun mal ein Greuel.
Wie immer, wenn er daran dachte, stieg ihm auch jetzt wieder die Röte der Beschämung ins Gesicht. Einfach scheußlich hatte er sich diesem weltfremden, sensiblen Geschöpf gegenüber benommen.
Als Trutz später am Frühstückstisch mit Ragnilt zusammentraf, war sie harmlos wie eh und je. Sie strahlte förmlich vor Fröhlichkeit und neckte sich mit Gisbert, was den anderen großen Spaß machte. Sie mochten ihn alle gern, den frischen jungen Mann, dem so jede Blasiertheit fernlag. Und auch er hing an den Swindbrechts und suchte sie auf, sofern es nur seine Zeit erlaubte, denn er studierte Volkswirtschaft und mußte gehörig büffeln, wie er es selbst bezeichnete.
Da seine Mutter ihm einen noblen Monatswechsel zukommen ließ, konnte er sich unbeschwert dem Studium hingeben. Und es sprach für seine Gutherzigkeit, daß er minderbemittelten Studenten stets von seinem Geld abgab. Er schränkte sich ihnen zuliebe sogar manchmal ein, was wirklich anerkennend war.
Was die hübschen Mädchen betraf, war der schneidige Gisbert Hedding gewiß kein Freund von Traurigkeit. Er trieb es jedoch nie so weit, Herzeleid heraufzubeschwören.
Ragnilt liebte er, war aber vernünftig genug, um sich zu sagen, daß diese Liebe nie Erfüllung finden konnte. Denn erstens sah die junge Baronin in ihm nichts weiter als einen Bruder, und dann war er ein viel zu anständiger Mensch, um sich an eine Frau heranzuwagen, die den Ehering trug – und das tat Ragnilt unentwegt. Sie hatte ihn nicht erbittert abgestreift, als der Gatte sie herzlos verließ und es ungewiß war, ob er jemals zu ihr zurückkehren würde.
Ob sie den Ring nun aus Treue am Finger ließ oder aus Gewohnheit, das konnte man nicht ergründen. Aber man hütete sich wohl, die junge Frau danach zu fragen, weil man fürchtete, damit eine Wunde aufzureißen, die sich nach der schweren Krankheit langsam zu schließen begann und nach der Geburt des Kindes vernarbte.
»Meine