Niewetow. Karsten Stegemann
KARSTEN STEGEMANN ist 1963 in Pasewalk geboren und hat Medizin an der Charité in Berlin studiert. Er war Texter und Sänger in verschiedenen Studentenbands, Kulturredakteur und Autor der Zeitschrift Arranca und Autor für das Feuilleton der Zeitung junge Welt. Seit 2001 ist er freiberuflicher Autor vor allem im Theaterbereich; zu seinen aufgeführten Stücken gehören »Eva Braun Medea«, »Spartakus«, »Hoch Oben« und »Die Abenteuer des braven Soldat Schwejk« nach dem Roman Jaroslav Hašeks.
KARSTEN STEGEMANN
NIEWETOW
KRIMINALROMAN
Edition Nautilus GmbH
Schützenstraße 49 a
D - 22761 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
© Edition Nautilus GmbH 2020
Originalveröffentlichung
Erstausgabe Oktober 2020
Umschlaggestaltung:
Maja Bechert, Hamburg
Autorenporträt Seite 2:
Susanne Ulke
ePub ISBN 978-3-96054-237-7
Für Nina
Inhalt
1
Niewetow war in jenen Jahren der ideale Ort für Leute, die gern traurig sind. Beinahe jeden Abend hing Nebel über der Stadt auf der Insel, vor deren Küste die Reste der Kriegsmarine einer untergegangenen Armee vor sich hinrosteten, das trübe Brackwasser des Stromes schwappte gegen die Hafenmauern, und Sandkörner prasselten an die Fensterscheiben, wenn der Wind über verlassene Plätze und durch leere Straßen pfiff.
In jenen Tagen starb der Pier von Niewetow, verendete im Meer. Die stählernen Knochen einer riesigen Werkhalle auf dem Gelände der ehemaligen Werft senkten sich seitwärts in die See. Am Ende eines verkrauteten Kanals lagen alte Bauwagen im Wasser; sie waren dort hineingerollt, versunken, und hinter den Scheiben konnte man es wimmeln sehen: Fische und Krebse, die der Strom hierhertrug, bildeten in ihren selbstgewählten Aquarien neue Gemeinschaften; über ihnen das Tuckern der alten Fähre, die stündlich über den Strom aufs Festland setzte, und der Abgasgestank aus den alten Dieselmotoren konnte Übelkeit hervorrufen, so als wollte der einsam am Steuer stehende Fährmann den letzten Passagieren den Abschied von dem klapprigen Kahn erleichtern.
In einem jener seltsamen Jahre also, da der Nebel sich auch tagsüber niemals aufzulösen schien und das Klagelied des Windes nie verstummte, begegnete ich auf einer nächtlichen Fahrt mit der Fähre dem Tod und erkannte ihn nicht.
Es war eine regnerische Nacht, und ich saß über ein Buch gebeugt auf einem der überdachten Plätze an Deck auf der Fahrt vom Festland zurück auf die Insel. Ich wähnte mich allein mit dem Tuckern der Motoren und dem Fährmann, der hinten im Ruderhaus, eine Zigarette im Mundwinkel, die Fähre in der dunklen Fahrtrinne auf Kurs hielt.
Dass ein weiterer Gast mit mir zugestiegen war, bemerkte ich erst, als er schon eine Weile hinter mir hin- und hergeschwankt haben musste, unentschlossen, für welchen der freien Sitzplätze er sich entscheiden sollte. Doch dann hörte ich endlich, wie er sich niederließ, ich wusste, dass er da war, weil seine Kleidung den Geruch von kaltem Schweiß verströmte.
Ich