Joseph Roth: Gesamtausgabe - Sämtliche Romane und Erzählungen und Ausgewählte Journalistische Werke. Йозеф Рот

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das Kasino. Er meldete seinen Austritt in München und bat um neue Aufträge.

      Es war ihm, als hätte er letzte Hindernisse aus dem Wege geräumt.

      Eine Woche später verlobte er sich mit Fräulein v. Schlieffen. Geld für Geschenke, Blumen, eine Feier streckte Benjamin vor.

      Unerschöpflich schienen Benjamins Gelder.

      Fräulein v. Schlieffen tanzte nicht mehr. Auch ritt sie nicht mehr. Sie verlor plötzlich alle sportlichen Leidenschaften.

      Sie saß zu Hause und stickte Monogramme auf Hemden, Unterhosen, Taschentücher.

      Jeden Abend kam Theodor nach Potsdam.

      Der erste Schnee fiel. Feuer brannte im Kamin.

      Einmal brachte Theodor seine Schwestern mit.

      Sie saßen stumm und knicksten vor der Tante und gingen.

      Sie waren betäubt von dem Klang des Namens: Schlieffen.

      Theodors Mutter traute sich nicht einmal, nach der Braut zu fragen.

      Längst war Theodor nicht mehr im Hause der geringschätzig Geduldete. Wie gut hatte es Gott gewollt, daß er Theodor am Leben gelassen hatte.

      Wenn der selige Vater noch lebte! dachte die Mutter. Sie stickte auch Monogramme. Sie trieb mit einer roten Seide gereimte Sprüche in verschiedene Gegenstände.

      Der große Hilper hatte jetzt das Ministerium für Inneres. Er kannte ja Theodor. Ob er ihn kannte.

      Der Pressechef war jener kleine Redakteur des »Nationalen Beobachters«.

      Allen gefiel Theodor. Er war ein gefälliger Mensch und bescheiden trotz allen Verdiensten. Auch besaß er Kenntnisse. Er schien mit der Presse gut zu leben. Und er hatte gesellschaftliche Beziehungen.

      Keine Sünde war von ihm bekannt worden. Niemals hatten ihn Gerichte gesucht. Er besaß ein tadelloses Vorleben. Er war sogar Jurist.

      Weshalb sollte Theodor nicht in ein Amt kommen?

      Hilper beschloß, Theodor Lohse in ein Amt zu bringen. Er versprach es auch.

      Jetzt ging Theodor durch die Ämter, Geheimräte schüttelten seine Hand, sie wußten noch nicht, wozu er ausersehen war; aber daß er ausersehen war, wußten sie.

      Der Journalist Pisk brachte einmal seinen Freund Tannen mit. Der Name Tannen war ein Pseudonym. Aber Tannen selbst ein gesprächiger Mensch, ein lächelnder Mensch, er lächelte ein Berufslächeln wie Jongleure, wenn sie sich verneigen.

      Kleine Notizen brachte Tannen in die Zeitungen. Er berichtete, daß beim Staatssekretariat für öffentliche Sicherheit eine neue Stelle geschaffen würde: eine Art Relaisposten zwischen dem Ministerium des Innern und dem Staatssekretariat und der Polizei.

      Der Journalist Pisk ging zum Minister und erkundigte sich.

      »Ich habe noch nichts davon gehört!« sagte Hilper.

      Denn Hilper war ein einfacher Mann, ein westfälischer Oberlehrer und kein Diplomat.

      »Aber es wäre doch eine glänzende Idee«, sagte Pisk.

      Und dann erzählte Pisk, daß der Professor Bruhns von der Sternwarte seinen sechzigsten Geburtstag feierte.

      Der Minister war ein klassischer Philologe und verstand nichts von Astronomie.

      »Hat er Verdienste?« fragte der Minister.

      »Und ob!… Er ist einer der besten Meteorologen«, sagte Pisk. »Er hat ein zweibändiges Werk über Saturn geschrieben.«

      »So!« sagte der Minister. »Es ist gut, daß Sie mir das sagen. Soll ich schriftlich gratulieren? Oder einen Vertreter schicken?«

      »Einen Vertreter, Exzellenz«, sagte Pisk.

      Ihn ging der Professor gar nichts an, aber er mußte Brücken finden, Brücken zum Thema: Lohse.

      »Wissen schon«, sagte Pisk – er vermied direkte Ansprachen –, »daß Lohse heiratet?«

      »Ah!…« sagte der Minister. »Wen?«

      »Eine v. Schlieffen!…«

      »Schlieffen?! Guter Name!«

      »Große Karriere eigentlich!« sagte Pisk.

      »Reich?«

      »Sie soll reich sein!«

      »Donnerwetter!« sagte der Minister, der ein armes Mädchen geheiratet hatte, als er noch Professor gewesen.

      »Gescheiter Junge!« sagte Pisk.

      »Und bescheiden!« fügte der Minister hinzu.

      Und dann sprachen sie noch von Professor Bruhns.

      Und Pisk schrieb:

      »Die Nachricht von der neuen Stelle beim Staatssekretär für öffentliche Sicherheit wird von zuständiger Seite bestätigt. Als kommender Mann ist ein in den letzten Wochen oft genannter ehemaliger Offizier in Aussicht genommen.«

      Im Jänner war die Hochzeit.

      Zum erstenmal ging Benjamin Lenz zu einer Trauung. Er ging nicht, er glitt im Auto vor das Portal der Kirche, er trug zum erstenmal Zylinder und Frack, und später saß er an einem Tisch mit Offizieren und alten Damen und trank Wein, den er selbst gekauft hatte.

      Es war eine großartige Hochzeit. Theodor trug Paradeuniform. Kameraden in Paradeuniformen glänzten, klingelten, rasselten. Aus den Potsdamer Fenstern sahen die Leute, vor der Kirche standen sie, trotz der Kälte.

      Der Oberst hielt eine Rede, auch Major Lübbe sprach und erwähnte einmal den Grafen Zeppelin, nur aus Gewohnheit, ohne besondere Notwendigkeit. Elsa drängte Theodor zur Dankrede, aufstehen mußte er und sprechen, und es verwirrte ihn der schräg zu ihm aufsteigende Blick seiner Braut. Eine große Liebe für alle Anwesenden überflutete sein Herz, ein paarmal stand er auf, um Benjamin Lenz die Hand zu drücken, der ihm gegenüber saß.

      Benjamin freute sich. Das war die europäische Hochzeit. An seiner Seite saß die Majorswitwe Strubbe und erzählte von Kattowitz, wo sie ihre schönsten Jahre verlebt hatte. Benjamin hörte nicht, Benjamins tiefer Blick verglomm irgendwo im Weiten, er dachte an Lodz, an die schmutzige Barbierstube seines Vaters und sah den einzigen, blindgewordenen Spiegel im Laden. Wie einfach und weise waren die Reden alter Juden in Lodz, wie treffend ihr Witz, maßvoll ihr Gelächter, schmackhaft ihre Speisen, die Speisen der verachteten, geschlagenen, in Barbarei lebenden Juden, die keine Helme trugen und nicht glänzen und nicht scheppern konnten.

      Das war die europäische Hochzeit, hier heiratete einer, der ohne Sinn getötet, ohne Geist gearbeitet hatte, und er wird Söhne zeugen, die wieder töten, Europäer, Mörder sein werden, blutrünstig und feige, kriegerisch und national, blutige Kirchenbesucher, Gläubige des europäischen Gottes, der Politik lenkte.

      Kinder wird Theodor zeugen, buntbebänderte Studenten, Schulen werden sie bevölkern und Kasernen. Und Benjamin sah den Stamm der Lohse. Es gab Arbeit. Sie werden einander morden.

      Und Benjamin lauschte den Telegrammen, die Major Lübbe vorlas. Glückwünsche kamen von Pisk, von anderen Journalisten, vom Minister Hilper und von Geheimräten, und auch von Efrussi. Dann machte Major Lübbe eine Pause, atmete hörbar und las ein Telegramm Ludendorffs vor.

      Und jedesmal sprach einer Worte, papierne Worte, europäische Worte. Es war Benjamin, als hätte er selbst diese Hochzeit bestellt, ihm führten die Europäer ein lächerliches Stück ihres Lebens vor, damit er sich amüsiere.

      Er amüsierte sich. Über den Pfarrer, der mit Ergebenheit, als ließe er Schreckliches über sich ergehen, jedesmal neuen Wein in sein Glas goß und immer schweigsamer wurde


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