Mit Segenskreuz und Handy. Joachim Schroedel

Mit Segenskreuz und Handy - Joachim Schroedel


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Lande«, nicht zuletzt auch, um unseren Gemeindegruppen (Kinder, Jugendliche, Senioren, ausländische Besucher) eine Art »Pfarrhaus« zu geben – und ganz egoistisch auch für mich, der nach dem Stadtleben in einer 20-Millionen-Stadt genug von den Abgasen und dem ständigen und krankmachenden Lärm hatte. Wer in sog. »Mega-Citys« lebt weiß; lange Wege zurücklegen gehört zum Alltag.

      Gegen 23:00 Uhr fuhr ich also durch die Nacht zu meiner »gated community«, einem Ensemble von 14 Häusern hinter einem mehr oder weniger effektiven Zaun und mit Wächtern, die sich in Schichten abwechseln und ihre Runden drehen.

      Die Straßen außerhalb der Stadt sind meistens unbeleuchtet. Etwa einen Kilometer vor meinem Ziel wurde die Straße durch drei junge Männer blockiert. Eine Kalashnikov (ich kannte diese Waffe, denn kurz nach der Revolution vom 25. Januar 2011 hatten die Sicherheitskräfte unserer Häuser mehrere davon, und auch ich musste mich an der Waffe üben …) sprach Bände. Die beiden anderen Burschen sahen auch nicht unbedingt sehr friedlich aus. Noch bevor ich von ihnen aufgefordert wurde, mein Auto zu verlassen setzte ich, über das Handy, noch eine Facebook-Nachricht ab: »Werde gerade überfallen!«

      Dann aber stieg ich aus. Der Blick der Jungen, zunächst eher martialisch und drohend, änderte sich schlagartig. Plötzlich sahen sie verdutzt und betroffen aus. Was war geschehen? Ich selbst hatte nicht daran gedacht: Ich war in meiner paspelierten Monsignore-Soutane mit purpurnem Zingulum unterwegs! Und bei meinen fast 1,90 m wurden sie eher ängstlich. Vor allem; sie hatten erkannt: Mein Gott, ein Abuna (abuna, arabisch: mein Vater, also die Bezeichnung für einen christlichen Geistlichen)! Das Segenskreuz in meiner Hand (Lateiner kennen dies eher nicht, aber für orientalischen Christen ein wichtiges Zeichen!) verriet ihnen noch mehr: Jetzt galt es für sie, auf der Hut zu sein, denn es begegnete ihnen »ein Mann Gottes«.

      Meinen Mut zusammen nehmend fuhr ich sie an, was das solle, jemanden auszurauben. Und ich sagte kurz: »Rabbina zaalaan giddan!« – Gott wird sehr traurig/wütend sein. Sicher verstörte sie Einiges. Ein offensichtlich doch ausländischer Abuna, der mit ihnen einige Worte Arabisch spricht und sie zudem auf ihre Sünde aufmerksam macht. Mit »ahna asfin« – wir entschuldigen uns – machten sie mir den Weg frei, nicht ohne zu bemerken: wa-lakin ahna muslimin quayyesin – wir sind gute Muslime. Und beim Einsteigen sagten sie noch deutlich: »Sorry«.

      Die dritte Geschichte macht frohen Mut.

      Hilfe in der Nacht

      Wieder einmal wurde es ein langer Tag, und ich fuhr spät über meine mir eigentlich bekannte Straße nach Hause. Urplötzlich tauchte aus dem Dunkel der Nacht vor mir ein großer Müllberg auf! Häufig kommt es leider vor, dass, wegen fehlender Müllabfuhr, besonders auf dem Land, der Müll einfach an den Straßenrand gekippt wird. Diesmal hatte ich die besondere Freude, über einen Berg Bauschutt zu rattern. Ich konnte zwar etwas ausweichen, aber das Geröll des Bauschutts beschädigte wohl einige wichtige Motorteile – und ich blieb, mitten auf der Straße gegen Mitternacht mit einem Motorschaden liegen. Ich war etwa 5 Kilometer von meinem Ziel entfernt. Der Mond schien nicht, Straßenbeleuchtung, wie fast immer, funktionierte nicht.

      Man sagt zwar, in Kairo wäre 24 Stunden pro Tag »etwas los«, es sei eine der Städte der Welt, die niemals schlafen – aber dies trifft eben nicht für Kairos ländliche Gebiete zu. Ich stelle mich auf eine etwas längere Wartezeit ein und hatte zudem ein »mulmiges Gefühl«. Einmal war ja ein versuchter Überfall gut ausgegangen, aber würde das die Regel sein?

      Nach 10 Minuten kam ein Motorrad, darauf drei (!) junge Männer. Sie fuhren zunächst einige Meter an mir vorbei, dann kehrten sie um und fragten, ob ich Hilfe bräuchte. Doch eigentlich hatten sie es schon gesehen: »al arrabiya atlana« – der Wagen ist defekt! Sie fragten mich, wo ich wohnte. Und nach meinen Erklärungen sagte sie: »Wir helfen Dir!« Zwei hatten schwarze Plastiktüten in Händen. Sie baten, ob sie die in mein Auto legen könnten. Ich stimmte zu, und so landeten 3 Flaschen »Stella local« (die traditionelle Biermarke Ägyptens) auf meinem Rücksitz. Sie seien wohl Christen, fragte ich vorschnell. »Natürlich nicht«, sagten sie eilfertig. Und mit dem Blick auf die Tüten meinten sie: »Wir haben heute viel gearbeitet, sind Bauarbeiter. Das macht Durst!«

      Dann banden sie ein Seil von ihrem Motorrad ab und befestigen es an meinem Auto. Die Drei setzten sich auf ihr Motorrad und zogen so mein armes Gefährt bis vor meine Haustür. Niemals hatte ich gehört, dass ein kleines Motorrad ein Auto abschleppen kann. In Ägypten zumindest gelang es.

      Ich war glücklich und wollte meinen Helfern ein Bakshish (Trinkgeld) geben. Und ich war sicher, dass sie es dankbar annehmen wollten. Aber: Weit gefehlt! Mehrfach lehnten sie energisch ab! Sie können kein Geld nehmen, denn sie hätten doch eine gute Tat getan, und kein Geschäft gemacht. Und außerdem: Von einem Priester wollen sie ebenso wenig Geld nehmen, wie von einem Scheich! Bete für uns – sagten sie beim Abschied. Ich habe sie niemals wieder gesehen, meine treuen Helfer ….

      Was sagen mir diese drei Geschichten?

      DAS ZENTRUM MEINES DIENSTES – BEGEGNUNG

      Dieses Büchlein bleibt ein zutiefst persönliches Werk. Es sind biographische Notizen. Denn es beschreibt mein Erleben – in 20 Jahren Ägypten

      Durch einen »Zufall« kam ich eigentlich wieder in die Region zurück, die mir seit fast 40 Jahren am Herzen liegt. Dass meine flapsige Äußerung gegenüber meinem Religionslehrer-Kollegen, vielleicht werde ich auch mal im Nahen Osten sterben, noch einmal wirklich auch brisant werden könnte, hatte ich damals noch nicht geahnt. Aber wohl liegt meinem Dienst im Nahen Osten, ja, meinem ganzen priesterlichen Dienst seit meiner Weihe im Jahre 1983 zugrunde, mein Leben einzusetzen für die Wahrheit und Gerechtigkeit.

      BEGEGNUNG – so heißt unser, zusammen mit der evangelischen Gemeinde herausgegebenes Informationsheft. Und das FEST DER BEGEGNUNG als Fest der Begrüßung und des Kennenlernens zu Beginn eines jeden »Ägypten-Jahres« Ende September/Anfang Oktober ist zentrales und wichtigstes »weltliches« Fest der »Deutschsprachigen Katholischen Markusgemeinde Kairo«. Begegnung ist kein Alleinstellungsmerkmal unserer Gemeinde. Vielmehr sollte es integraler Bestandteil jeder Seelsorge sein. »Alles wirkliche Leben ist Begegnung« (Martin Buber). Doch gerade im Ausland spielt Begegnung nochmals eine andere Rolle. In meiner zweiten kleinen Geschichte schien es zunächst eine Begegnung, die dramatisch verlaufen könnte. Und doch hat eine gute Wende stattgefunden; aus den Gangstern wurden Menschen, die sich entschuldigten.

      Und die dritte Geschichte zeigt nochmals und verstärkt: Begegnung mit Angst Machendem kann sich in eine Erfahrung mit großer Freude wandeln. Und: Begegnungen mit Muslimen halten Überraschendes bereit …

      »Mit Segenskreuz und Handy«? Beide Gegenstände sind bereits in den kleinen Geschichten aufgetaucht. Jeder orientalische Priester hat ein »Handkreuz«, das sein ganz besonderes Attribut ist. Er segnet damit, die Gläubigen küssen es demütig (erst das Kreuz, dann die Hand des Priesters), und es ist eben DAS Zeichen der Christenheit schlechthin. In hoc signo vinces - in diesem Zeichen wirst Du siegen. Mit diesem Ruf beginnt die öffentliche Wirksamkeit des Christentums. Ich trage es gern bei mir! Denn ich teile so das orientalische Priestertum mit dem meinen – und ich erlebe, wie dankbar viele Christen, besonders die Kopten, für dieses Zeichen sind.

      Als ich nach Kairo kam, gab es noch keine mobile Kommunikation – man kann es sich heute kaum mehr vorstellen! Aber eben der »Durchbruch« des Mobiles (nur wir Deutschen nennen es »Handy«) hat gerade die nahöstliche Welt total verändert. Und heute scheint normales Leben nicht mehr vorstellbar ohne dieses Gerät …

      »Mit Segenskreuz und Handy«? Beides trage ich häufig mit mir. Beides ergänzt sich – und ist zugleich so widersprüchlich, ja: gegensätzlich.

      Das Segenskreuz ist Symbol des von Gott und seinem Segen abhängig Seins. Zeichen für die Überlegenheit des Schöpfers über seine Schöpfung. Aber auch: Zeichen für seine Liebe, die er uns in Christus und den Tod des Gottessohnes unwiderruflich geschenkt hat.

      Ein Handy ist Zeichen der neuen Selbständigkeit des Menschen, seiner dauernden Erreichbarkeit, seiner Macht (aber manchmal auch Ohnmacht) über die Zeit und oft auch über Menschen.

      Aber in genau dieser Spannung leben wir im Orient: Zwischen Tradition und Moderne,


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