Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas Suchanek

Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King - Andreas Suchanek


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fühlte, Billy blutete immer noch, Shannon schluchzte unaufhörlich vor sich hin, und er selbst fühlte sich einfach nur leer und ausgelaugt.

      »Sie ist tot«, sagte er zum wiederholten Mal. Vielleicht konnte er es eher begreifen, wenn er es nur oft genug sagte? Marietta ist tot. In dieser Sekunde wurde Jamie klar, was er noch für Marietta empfunden hatte. Er liebte sie noch immer, hatte er immer, würde er immer, und es gab keine Möglichkeit mehr, ihr das zu sagen.

      »Folgt mir, bitte«, sagte ein junger Deputy. Sie gehorchten mechanisch. Jamie war froh, dass jemand die Führung übernommen hatte, dass er nur noch reagieren musste. Geh links, er ging links, geh rechts, er ging rechts.

      Der Deputy zeigte auf einen Warteraum mit Glaswänden. Ein Wasserspender stand in der Ecke. Jamie hätte ihn am liebsten angesetzt und den ganzen Kübel auf einmal leer getrunken. »Willst du ein Glas Wasser?«, fragte er Shannon.

      Sie nickte.

      »Wie geht es jetzt weiter?«, fragte sie.

      »Wir werden alle verhaftet und wegen Mordes angeklagt«, sagte Billy, der als letzter den Raum betrat. Er fuhr sich durch die Haare, lief einmal quer durch das Zimmer und sah aus, als wollte er gleich losschreien. »Du hast es doch gehört. Sie wollen einen Schuldigen, und da kommen wir gerade recht.«

      »Mein Dad wird das hinbekommen«, sagte Harrison. »Er hat genügend Erfahrung mit solchen Dingen. Wir müssen ihm einfach vertrauen und das tun, was er sagt. Also erst einmal die Aussage verweigern. Hört ihr? Das ist wichtig.«

      »Vor allem müssen wir uns absprechen, damit wir bei einer Geschichte bleiben«, sagte Billy.

      »Was willst du denn absprechen?«, fragte Shannon. »Herrgott, Jamie und ich waren nicht einmal in der Nähe, als Marietta umgebracht wurde!«

      »Nein, vermutlich habt ihr irgendwo rumgeknutscht.«

      Shannon biss sich auf die Lippen, schlug die Hände vors Gesicht und fing wieder an zu heulen. Jamie legte den Arm um ihre Schulter und zog sie an sich. »Toll, Billy. Echt toll.«

      »Ich sag nur, wie es ist.« Billy hielt vor einer Wand an und schlug so fest darauf ein, dass der Putz abbröckelte. »Verdammte Scheiße!«, schrie er.

      Jamie hätte am liebsten mitgeschrien. Er konnte Billy verstehen. Alles was sie gewollt hatten, war eine Chance bei dem Wettbewerb morgen zu haben, und nun war eine von ihnen tot.

      Er drückte Shannon fester an sich und betete, dass seine Eltern bald eintreffen würden. Vielleicht wussten sie, was zu tun war, denn er konnte keine Entscheidungen mehr treffen.

      Ende des 2. Teils

      III

      Eine verhängnisvolle Erfindung

      von Ute Bareiss

      Rektorat der Barrington High

      Das Sekretariat wurde nur vom Licht der Straßenlaternen und der mageren Funzel erhellt, die Marietta in der Hand hielt. Gespenstische Schatten tanzten an den Wänden. Billy wischte die vor Aufregung schweißfeuchten Hände an seiner Jeans trocken und versuchte erneut vergeblich, den Schlüssel, den Shannon hatte nachmachen lassen, im Schloss der Tür zum Rektorat zu drehen.

      Verdammt! Irgendwie schien ihr ganzer Plan, die Prüfungsfragen für morgen kurz und unkompliziert abzugreifen, in die Hose zu gehen.

      »Hast du eine Nagelfeile in deiner Tasche?«

      Marietta reagierte nicht auf seine Frage, blickte nur gedankenverloren zur Tür, durch die Jamie und Shannon Arm in Arm verschwunden waren.

      Er stupste sie an. »Hallo! Nagelfeile?« Sie feilte doch öfter im Unterricht unter dem Pult die Nägel, bestimmt hatte sie auch jetzt eine dabei.

      Marietta zuckte zusammen, legte die Taschenlampe auf das Sideboard und machte sich daran, in ihrer bunten Stofftasche zu wühlen. »Glaubst du, das funktioniert?«

      Billy zuckte die Schultern. »Einen Versuch ist es allemal wert. Ich denke, es wird nicht viel fehlen, dass er passt, die Kopie des Schlüssels kann ja nicht so falsch sein.«

      Außerdem musste er sich irgendwie beschäftigen, während Jamie und Shannon nach dem Ersatzschlüssel suchten. Die nächtliche Stille im Schulgebäude, das Wissen um das Verbotene, das sie taten, die Schatten an den Wänden – das alles verursachte ein Grummeln in seiner Magengegend.

      Auch Marietta wirkte nervös, ihre Hand zitterte, als sie ihm die Nagelfeile reichte.

      Der Schlüssel wurde warm in seiner Hand. Billy wischte mit dem Daumen ein paar Metallspäne weg und hobelte mit der feinen Seite der Feile die Unebenheiten glatt.

      Warum hatte Marietta den beiden so wehmütig nachgesehen?

      »Macht es dir was aus, dass deine beste Freundin jetzt mit Jamie zusammen ist?« Am liebsten hätte er sich auf die Zunge gebissen – was war das denn für eine bescheuerte Frage?

      Marietta kicherte fast schrill. »Wie kommst du denn darauf?«

      Billy hoffte, dass die Hitze, die in seine Wangen schoss, im Halbdunkel nicht zu sehen war. Er beugte den Kopf und ließ die schulterlangen dunklen Locken über sein Gesicht fallen, während er eingehend die Schlüsselkanten prüfte. »Nur so. Du hast so geguckt.«

      Marietta pustete ihren Pony aus dem Gesicht. »Quatsch. Im Gegenteil. Ich hoffe, die beiden werden glücklich.«

      Billy hätte beinahe den Schlüssel fallenlassen, den er gerade wieder zur Probe ins Schloss stecken wollte. Damit hätte er nun definitiv nicht gerechnet.

      Als würde sie eher mit sich selbst sprechen, fuhr sie, mit dem Blick gegen die Decke gerichtet, fort. »Jeder hat doch sein Glück verdient …« Sie brach ab und das darauffolgende Lachen klang verbittert.

      »Was …« Mitten im Satz erstarrte Billy. War da ein Geräusch auf dem Flur gewesen? Geistesgegenwärtig legte er seine freie Linke auf Mariettas Mund und deutete mit dem Kopf gegen die Tür. Ihm wurde eiskalt.

      »Das sind doch bestimmt Shannon und Jamie«, hauchte sie fast lautlos.

      Billy schüttelte den Kopf. Die wären doch lauter, Jamie kannte keine Vorsicht. Fieberhaft schaute er sich um, sein Blick flog über den großen, penibel aufgeräumten Schreibtisch, die Sideboards, einige Aktenschränke an den Wänden, eine große Zimmerpalme. Es gab kein vernünftiges Versteck.

      Wieder dieses seltsame Scharren.

      »Unter den Schreibtisch«, wisperte er.

      Hoffentlich würden diese verfluchten Rollen nicht quietschen, wenn er den Stuhl zurückzog. In einem Bruchteil von Sekunden, der ihm wie Stunden erschien, zog er den Stuhl unter dem Schreibtisch hervor. Millimeter um Millimeter. Das leichte Kratzen auf dem Linoleum erfüllte den kompletten Raum. Billy biss die Zähne zusammen, bis sie knirschten. Endlich konnte er den Stuhl anheben und beiseitestellen.

      Falls ihnen jemand auf die Schliche kommen wollte, verhielt­­ sich derjenige jedenfalls äußerst leise. Wieder nur ein Klacken, es schien von draußen zu kommen. Gerade so, als wollte ihnen jemand auflauern. Warum gab sich derjenige nicht zu erkennen, wenn er sie erwischen wollte? Das war das Unheimlichste, was Billy je in seinem Leben widerfahren war. Es schlug die Story um Längen, als ihn auf dem Friedhof um Mitternacht plötzlich eine Katze von hinten angesprungen hatte.

      Billy quetschte sich zwischen Marietta und den Papierkorb unter den Schreibtisch. Sie war nicht groß, aber er musste seinen Kopf gewaltig einziehen. Plötzlich überkam ihn die Angst, sein lautes Herzklopfen könnte bis auf den Flur zu hören sein.

      Was, wenn sie erwischt wurden? Würden sie alle von der Schule fliegen? Collegepläne adieu? Was war das eigentlich für eine


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