Und über uns die Ewigkeit. F. John-Ferrer

Und über uns die Ewigkeit - F. John-Ferrer


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Vögelchen! Klasse!« Rudolf küsst seine Fingerspitzen. »Fliegt wie eine Eins.«

      »Hals- und Beinbruch damit!«

      Arm in Arm gehen sie hinaus zur Werfthalle hinüber. Hanke zeigt Rudolf seine startklare Maschine, klettert mit ihm hinein, startet die Motoren, lässt sie aufbrüllen, schaltet sie wieder ab.

      »Eigentlich schade, dass wir nicht in einer Formation fliegen«, bedauert Rudolf. »Aber wie ich hörte, fliegt die Sechste immer mit. Es wird also zu meiner schönsten Aufgabe zählen, dir den Tommy vom Hals zu halten.«

      »Kriegst sicher reichlich Gelegenheit dazu«, lacht Hanke. Sie fachsimpeln eine Weile. Der Regen prasselt auf das Kanzelglas. Es ist finster in der Maschine.

      Die beiden Leutnants sitzen noch immer nebeneinander. »Was ist eigentlich aus Doris geworden?«, fragt Rudolf den Freund.

      Hankes Miene verändert sich. Er umklammert das Steuerhorn und starrt auf das Armaturenbrett. »Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist. Wir haben uns getrennt.«

      »Nicht möglich!«

      »Doch!«

      »Wann denn?«

      »Im Mai dieses Jahres, während meines Urlaubs.«

      Kurzes Schweigen. Rudolf mustert den Freund. »Dann wird es dich ja nicht weiter berühren, wenn ich dir sage, dass ich Doris mit Heinz Berger gesehen habe.«

      »Nein, das berührt mich nicht.«

      Hankes Antworten haben so knapp und entschieden geklungen, als wäre er frei von allen Gefühlen.

      »Und ich dachte immer, aus euch beiden wird was«, bemerkt Rudolf. »Ihr kanntet euch ja immerhin …«

      »… zwei Jahre«, unterbricht Hanke ihn und nickt. »Dann aber brach der Krieg aus.«

      »Ist das der Grund?«

      Hanke lässt die Steuergriffe los und sagt: »Ja, das ist der Grund. Du weißt, ich habe niemanden, ich wollte auch niemanden um mich haben.« Hanke lehnt sich zurück und lächelt starr. »Man fliegt ein bisschen freier, wenn man keinen Anhang hat.«

      »Komische Ansichten«, brummt Rudolf. »An so was habe ich noch nie gedacht …«

      »Die meine wenigstens.« Hanke legt dem Freund die Hand auf die Schulter. »Reden wir nicht mehr darüber. Gehen wir ins Kasino und nehmen wir noch einen zur Brust.«

      Als die beiden aus der Maschine klettern, kommt Feldwebel Semmler mit dem Funker heran, gleich darauf auch Emmes, der Bordmechaniker. Hanke stellt sie der Reihe nach vor, und Rudolf schüttelt den Kampffliegern die Hände.

      »Prima Burschen«, sagt Hanke, als sie durch den Regen zum Kasino hinübergehen, das in einem alten Bauernhof untergebracht ist.

      »Also bist du doch nicht ganz frei, wenn du fliegst«, meint Rudolf. »Du hast denen gegenüber die Verantwortung, sie heil heimzubringen.«

      »Das ist etwas ganz anderes, Rudolf. Wir stehen schließlich alle unter einem Befehl und wissen genau, wohin wir fliegen.«

      Es wird spät an diesem Abend. Rudolf fährt erst gegen Mitternacht zu seiner Einheit zurück.

      Der nächste Tag bringt besseres Wetter. Früh am Morgen nehmen die Besatzungen die Einsatzbefehle entgegen. Minuten später starten die einzelnen Verbände.

      Hankes Einsatzbefehl lautet: Einflug in die Themsemündung. Tiefangriffe auf feindliche Flugplätze.

      Bis zur Küste fliegt Hanke im Verband der Kameraden. Dann scheren die Maschinen aus, um einzeln ihre Ziele zu suchen. Die Sicht ist hier noch gut, über England aber soll es bewölkt sein.

      Gleichmäßig Brummen die Motoren. Hanke horcht gespannt auf ihren Klang, kontrolliert die Instrumente, bespricht sich durchs Kehlkopfmikrofon mit Feldwebel Semmler, der den Kurs anweist und im Auge behält. Da meldet sich der Gefreite Schöner: »Eigene Jagdverbände übernehmen Jagdschutz.«

      Rudolf wird dabei sein, denkt Hanke und schmunzelt vor sich hin. Es ist ein schönes Gefühl, einen alten Kameraden in der Nähe zu wissen. Hoffentlich hat er Glück und holt einen oder zwei runter!

      Lustig ist es gestern abend zugegangen. Man hatte ziemlich viel getrunken und kam aus der Fachsimpelei nicht mehr raus. Später, als Hanke Rudolf zum Wagen brachte, kam die Rede noch einmal auf Doris Brandorff. Hanke schwor Stein und Bein, dass er mit der Geschichte endgültig fertig sei. Rudolf aber wollte das nicht glauben. War Hanke wirklich fertig mit der Sache? Natürlich! Schon lange! Deshalb flog er ja so kaltschnäuzig. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Oder doch?

      Der lange Feldwebel warf Hanke einen Blick zu. Hanke grinste aufmunternd. Und vorne in der Kanzel lag Emmes hinter dem MG, und hinten, fast Rücken an Rücken, hockt Schöller am Funkgerät, in Griffnähe das Heck-MG. Und der neue Motor singt so prächtig, und die Sonne scheint, und der Himmel ist mit einem Mal so blau und herrlich weit!

      Diese Kameradschaft, diese brav dahinfliegende Maschine, der erhaltene Kampfauftrag und das Wissen, sich wieder einmal als Mann bewähren zu müssen, das alles bedeutet mehr als ein blondes Mädchen mit grünen Augen und einem Mund, der … Nicht dran denken!

      Hanke schaut nach unten. Sie fliegen jetzt über dem Kanal. Weit vorn zeichnet sich ein heller Strich hinter dem Grau ab: England. Semmler gibt den neuen Kurs durch, und Hanke dreht nach Nordost ab.

      Ein paar Minuten später nähern sich von links drei rasend schnell heranschießende dunkle Striche: Jagdmaschinen. Kameraden! Ist Rudolf dabei? Ja! Dort!

      Hanke sieht die grüßende Hand hinter dem Plexiglas, sieht einen vermummten Kopf.

      »Mach’s gut, Casanova«, murmelt Hanke. Semmler hört das mit und grinst.

      Die drei Me 109 flitzen davon, fliegen einen weiten Bogen und verschwinden in einer hellen, lockeren Wolke. Gleich muss die feindliche Flak schießen. Man befindet sich bereits über England. Hier ist immer etwas los. Jeden Augenblick können feindliche Jäger auftauchen, und die Kurbelei beginnt. Um dies zu vermeiden, ist ja die sechste Jagdstaffel unterwegs. Wenn ein feindlicher Jagdverband gestartet ist, werden sie ihn stellen.

      Und wieder flitzt eine Staffel quer an der Ju vorbei. Die Maschinen schimmern im Sonnenlicht, das Glas der Kabinendächer funkelt auf.

      Es ist beruhigend, wenn man diese wendigen, wie Hornissen dahinjagenden Maschinen sieht. Bewährte Flieger sitzen an den Knüppeln. Fast jeder hat schon einen oder mehrere Gegner abgeschossen. Auch Rudolf wird heute zum Schuss kommen – Rudolf, der sich in Berlin so scheußlich gelangweilt und hartnäckig die Versetzung betrieben hat. Jetzt kann er beweisen, ob er fliegen kann, ob er eine ruhige Hand hat und eiserne Nerven!

      Da! Flakbeschuss. Kleine, giftigfarbene Wölkchen, links voraus, wachsen plötzlich in der Luft. Der Feind wehrt sich. Und es wird noch schlimmer zugehen, je tiefer man ins Land einfliegt.

      Die Ju brummt weiter. Die Spannung wächst mit jeder Minute. Dann und wann reißen die Wolken auf, und man kann hinabschauen. Tief unten rollt ein wunderlich grüner Teppich ab mit farbigen Punkten und quadratischen Mustern darauf. Jetzt verschwindet alles, und man fliegt über einen schweeweißen Lammfellteppich. Dann wieder ein Wolkenloch.

      »In einer Minute müssen wir tiefer gehen«, lässt sich Semmler vernehmen.

      Hanke nickt. Sie nähern sich dem Ziel: ein Flugplatz in der Nähe der Stadt Gravesend. Man vermutet dort ein großes Treibstofflager und eine Werft, in der beschädigte Maschinen überholt und repariert werden.

      Das Spritlager ist das wichtigste. Wird man es finden? Gewöhnlich werden solche Lager gut getarnt und stark bewacht. Mal sehen!

      Die Minute ist um. Hanke drückt die Maschine, und gleich darauf ist man in einer lichten Wolke. Augenblicke später ist sie durchstoßen, und tief unten rollt grünes Land vorbei. Dann sieht man eine Straße, die auf eine Stadt zuläuft, weit dahinter, in nördlicher Richtung, schimmert der breite Strom: die Themse. Alles schweigt, nur die Motoren dröhnen. Vorn in der Kanzel schwenkt


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